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Daniels EM-Blog: Große Turniere aus Amateurspieler-Sicht

Redakteur Daniel bei der Arbeit in Budapest (©Fabig)

24.10.2016 - Vor einer Woche brachen Fotograf Simon und Redakteur Daniel von Düsseldorf nach Budapest auf, um vor Ort über die Individual-Europameisterschaften zu berichten. Heute ging es zurück nach Deutschland. In seinem Blog möchte unser Redakteur nun eine Beschreibung wagen, wie er Turniere wie die EM erlebt – und dabei diesmal vor allem auf die Perspektive des Amateurspielers eingehen.

Montagvormittag gegen 11 Uhr, Flughafen Düsseldorf. Wir sind gut gelandet und erst einmal froh, dass der Flug nicht ausgefallen ist. In Erwartung eines möglichen Eurowings-Streiks hatten wir am Samstag noch eine E-Mail bekommen, unser Flug für Montagmorgen sei annuliert worden. Kurze Zeit später Entwarnung an der Hotline, später dann die Info in der App, die Streiks seien kurzfristig abgesagt worden. Glück gehabt. Aber nicht nur wir: Auch Spieler wie Han Ying, Shan Xiaona, Kristian Karlsson oder Anton Källberg, die in derselben Maschine saßen...

Sechs erlebnisreiche wie anstrengende Tage in Budapest liegen nun also hinter uns. Während ich im EM-Blog im letzten Jahr auf die Arbeitsbedingungen für Journalisten vor Ort in Jekaterinburg und bei vorherigen Europameisterschaften eingegangen bin, will ich diesmal beschreiben, wie ich ein solches Turnier als Journalist, aber vor allem auch als Amateurspieler wahrnehme.

Leistungssprektrum größer als in anderen Sportarten?
Fangen wir mit dem Naheliegendsten an: Wie erlebt man die Spiele als Amateurspieler? Ich zumindest auch beim sechsten großen Turnier als Teil der myTischtennis-Redaktion immer noch mit Staunen, – wenn man manche Spiele in der Qualifikation ausklammert, in der auch Teilnehmer starten, die vielleicht gerade einmal deutsches Verbands- oder Oberliga-Niveau haben. Die Ballwechsel, die hier sonst im Allgemeinen gespielt werden, sind unfassbar gut. Manchmal kann man sich bei der Dynamik, Schnelligkeit und Reaktionsfähigkeit des ein oder anderen Spielers nur an den Kopf fassen.

Mein persönliches Empfinden: Die Abstufung in Sachen Spielniveau im Tischtennis von den besten europäischen Spielern (oder weltweit besten Spielern, also den Topchinesen) bis zu den schlechtesten Spielern bei diesem Turnier weiter zu den oberen Amateurliegen, schließlich hin zu den eher mittleren bis niedrigen Amateurklassen, die ich aus eigener Erfahrung als Stamm- oder Ersatzspieler erlebt habe (Kreisklassen, Bezirksklassen, Landesliga) ist enorm, das Leistungsspektrum vielleicht größer als bei anderen Sportarten? Na klar, das hängt mit den Trainingsumfängen zusammen, aber dennoch kommen mir die Unterschiede zwischen den Spielern im Tischtennis im Allgemeinen, d.h. wer in der Lage ist, wen zu schlagen – und das eben nicht nur im Profibereich – groß vor.

Wie lässt sich diese Faszination transportieren?
Um am Punkt anzuknüpfen, wie sprachlos mich manche Ballwechsel im Profi-Bereich machen: meist nur dann, wenn ich Tischtennis live vor Ort sehe, wie es in Budapest der Fall war. Dass sich die Schnelligkeit des Sports nicht leicht in Live-Übertragungen transportieren lässt, würde ich so unterschreiben. Auch bei anderen Sportarten macht es natürlich mehr Spaß, live dabei zu sein. Aber beim Tischtennis finde ich den Unterschied eklatant.

Das liegt meiner Meinung nach bei den gängigen Übertragungen vor allem an den Kameraperspektiven. In Budapest saßen wir an den ersten Tagen in der 'Pole Position', hatten eine leicht erhöhte Sicht aus schrägem Winkel, hier in Trainingsszenen zu sehen. Ein tolles Erlebnis (möglich natürlich auch bei Bundesligaspielen und Co.), Tischtennis so nah aus dieser Position zu schauen. Warum wird diese Perspektive nicht bei Übertragungen verwendet? Zumindest im Internet-Livestream zeigte man die EM-Spiele aus einer Art Vogelperspektive.

Als wir der Sache mit der Perspektive vor einem Jahr auf den Grund gingen, hieß es von Seiten der ITTF, dass der Hintergrund bei schrägerem und tieferem Blickwinkel zu unruhig sei und die 'herkömmliche' Position am leichtesten umzusetzen sei. Mich würden jubelnde Zuschauer, Trainer oder Fotographen im Bild jedenfalls nicht zu sehr stören, Sie vielleicht?

Der Gang zum Unterlegenen
Soviel zur – man kann es vielleicht ‚Spielersicht’ nennen – jetzt dann also doch noch ein paar Dinge zu Aspekten, die auch die Arbeit als Journalist betreffen, sich aber mit Erstgenanntem überschneiden. Da wäre z.B. der Gang zum Spieler, der gerade verloren hat, in den häufigsten Fällen aus dem Turnier ausgeschieden ist. Das kann dann Partien betreffen, bei denen der Spieler von einem Ausscheiden ausgegangen ist, weil er klarer Außenseiter war oder z.B. das Spiel eine klaren Ausgang genommen hat, also einfach nicht mehr drin bzw. der andere deutlich besser war. Einen solchen Spieler dann um eine kurze Analyse zu bitten oder mit Fragen zu löchern, fällt leicht.

Anspruchsvoller ist meiner Meinung nach der Gang zu einem Spieler, der gerade knapp ausgeschieden ist, vielleicht noch mit einem Kantenball im Entscheidungssatz (Extrembeispiel). Natürlich darf man auch nach solchen Niederlagen seine ‚journalistischen Pflichten’ nicht vernachlässigen. Auch wenn der Spieler vielleicht nicht seine beste Leistung gezeigt hat, ist nach meinem Empfinden nach aber zumindest ein wenig Empathie und Einfühlungsvermögen angebracht. Wie sehr ärgere ich mich, ärgern wir uns schon über Niederlagen in der Amateurliga? – Und hier bei den Profis geht es um Größeres, in manchen Fällen sogar um die berufliche Zukunft. Wenn es um die ‚Informationsbeschaffung’ nach einem solchen Spiel geht, würde ich zumindest zwischen angebrachten kritischen Fragen und weniger angebrachten kritischen Fragen unterscheiden. Zu letzterer Variante fällt mir das Eistonnen-Interview des Fußballers Per Mertesacker nach dem WM-Spiel gegen Algerien ein. Der gleiche Frageninhalt bei anderer Formulierung hätte sicherlich die deutlich negative Reaktion Mertesackers verhindert. Nicht immer ist es also leicht, den richtigen Ton zu treffen.

Trainer-Ansprachen nach Niederlagen
Was mir bei der EM in Budapest einmal mehr aufgefallen ist, aber sonst ohnehin nach Niederlagen der Profispieler auffällig ist: Wie sehr manche Trainer direkt an der Box noch auf den Spieler einreden. Zehn, teilweise fünfzehn Minuten kann das dauern – für uns Amateurspieler nach Niederlagen doch undenkbar, oder? (...den Job würde natürlich eher der Mitspieler übernehmen, weil wir in der Regel keinen Trainer haben...;) Ist der Spieler kurz nach einer Niederlage denn überhaupt schon so aufnahmefähig, dass er das alles verinnerlichen kann? Ich jedenfalls wäre es nicht und kann mir auch nicht vorstellen, dass jeder Profi es ist.

Natürlich könnte ich bei weiteren Dingen, die mir aufgefallen sind, auch die zum Teil falschen Aufschläge der Spieler nennen, was immer wieder Thema im Tischtennis und oft auf unserer Seite ist. In diesem Jahr hatte es aber immerhin den Anschein, als ob sich die Schiedsrichter Mühe geben würden, stärker dagegen vorzugehen. Zumindest wurden deutlich mehr Aufschläge moniert als noch in den letzten Jahren, so mein Empfinden, – sogar Timo Boll war im zweiten Satz gegen Daniel Habesohn davon betroffen und bekam einen Punkt abgezählt...(in diesem Fall meinten die Schiedsrichter es vielleicht zu gut, den Aufschlag habe ich leider nicht gesehen und auch noch keinen Zusammenschnitt, in dem er auftaucht...)

Und eine letzte Feststellung, die ich für eigene Spielsituationen mitnehmen könnte: Wenn ich mich mal wieder gegen Spieler mit langen Noppen mit ‚Hackblocks’ schwertue (kommt leider zu oft vor...), erinnere ich mich daran zurück, dass es selbst Profis so gehen kann, wie z.B. Kristin Silbereisen im Spiel gegen die 53-jährige Luxemburgerin Ni Xialian, man solche Spiele mit der richtigen Taktik aber auch noch drehen kann. ;)

(DK)

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