International

ITTF-Geschäftsführer erwägt Abschaffung der Einzel-WM

2015, 17 und 19 war an Ma Long bei der WM kein Vorbeikommen. Wie oft darf er seinen Titel noch verteidigen? (©Thomas)

15.04.2020 - Einen deutschen Einzelweltmeister hat es sowohl bei den Damen als auch bei den Herren seit der ersten Tischtennis-WM im Jahr 1926 noch nicht gegeben. Womöglich bleibt das auch so - zumindest im herkömmlichen Sinn. ITTF-Geschäftsführer Steve Dainton wandte sich vor wenigen Tagen in einer langen Nachricht an die Tischtenniswelt, in der er über mögliche Anpassungen nach der Coronakrise nachdenkt. Eine davon könnte die Abschaffung der alle zwei Jahre stattfindenden Einzel-WM sein.

Für die Topspieler ist sie eines der großen Highlights im Turnierkalender: die alle zwei Jahre stattfindende Individual-WM. Hier trägt man sich in die Geschichtsbücher ein, wenn man das Kunststück vollbringt, eine Medaille oder gar einen Titel zu ergattern. Bis ganz nach oben schaffte es in der fast hundertjährigen Geschichte des Events im Einzel noch kein Deutscher, das letzte Mal im Finale standen Eberhard Schöler und Gabriele Geißler im Jahr 1969, Timo Boll erspielte sich 2011 Bronze. Möglicherweise wird es nicht mehr viele Gelegenheiten geben, sich zu ihnen zu gesellen. Denn wie ITTF-Geschäftsführer Steve Dainton in einem Brief an die Tischtenniswelt schrieb, wird offenbar mit dem Gedanken gespielt, die Individual-WM über kurz oder lang abzuschaffen.

‚Grand Smashes‘ werden genauso groß oder größer

Dainton erklärt in seinem ausführlichen Brief, dass die aktuelle Zwangspause auch die Chance bietet, zu reflektieren und Baustellen anzugehen, die bisher hintenangestellt wurden. So möchte er ein Update geben, woran die ITTF gerade arbeitet, um die Krise gut zu überstehen, und von ein paar längerfristigen Ideen erzählen, von denen er glaubt, dass sie dem Tischtennissport helfen werden, wenn die Krise vorüber ist. Zu Letzteren zählt vor allem die bereits vor der Pandemie geplante Umstrukturierung des ITTF-Turniersystems, die ab 2021 unter dem Namen „World Table Tennis“ (WTT) für eine bessere Vermarktung des Sports sorgen soll. Dazu gehören höhere Preisgelder, eine professionellere TV-Produktion und eine neue Wettbewerbsstruktur, an deren Spitze künftig drei bis vier Highlight-Turniere, genannt ‚Grand Smashes‘, stehen werden. Bisher wurde die Weiterführung der jährlichen Weltmeisterschaften nicht in Frage gestellt. In seinem Brief erwägt Dainton nun aber, dass zumindest die Einzel-WM durch die Einführung des neuen Systems überflüssig werden könnte.

„Aktuell haben wir jedes Jahr eine Weltmeisterschaft. Ich glaube, es könnte an der Zeit sein, darüber nachzudenken, ob es für die Zukunft nicht besser wäre, nur noch eine Team-WM zu haben“, erklärt der ITTF-Geschäftsführer. Der Individualsport soll vor allem in den „World Table Tennis“-Events stattfinden, in denen die einzelnen Sportler in den Fokus gerückt werden und die Chance haben, zu Stars geformt zu werden. Während sich die Spieler darauf konzentrieren, sollen die Team-Events und die Olympischen Spiele - mit dem Mannschaftswettbewerb als Schlüsselkomponente - im Fokus der nationalen Verbände stehen. „Warum sollte man die Einzel-WM abschaffen, fragen Sie sich? Die Idee ist einfach, dass wir in der neuen WTT-Struktur drei bis vier ‚Grand Smashes‘ pro Jahr planen“, erläutert Dainton. „Diese Events werden genauso groß oder noch größer als die Einzel-WM sein. Mit drei bis vier ‚Grand Smashes‘ pro Jahr würden wir den Kalender und Markt überlasten und verwirren, wenn wir zusätzlich noch eine Einzel-WM hätten.“ Diese drei bis vier Hauptturniere pro Jahr werden laut Dainton ein größeres Publikum erreichen und erfolgreicher sein, als eine WM, die einmal alle zwei Jahre stattfindet. Trotzdem soll es auch künftig einen Einzel-Weltmeister geben - wenn auch nicht so ermittelt wie in der Vergangenheit: „Auf der Grundlage dieser Events würden wir außerdem in der Lage sein, einen Einzel-Weltmeister zu definieren.“

Jan-Ove Waldner ist gegen Abschaffung

Einen prominenten Gegner hat die von Dainton vorgetragene Idee schon einmal. Der zweifache schwedische Weltmeister Jan-Ove Waldner äußerte sich unter anderem auf seiner Facebookseite zu dem Thema: „Meine Meinung ist, dass die WM nicht durch eine Tour mit vier Grand-Slam-Turnieren ersetzt werden soll.“ Wie weit fortgeschritten die Überlegungen in diese Richtung beim Weltverband bereits sind, lässt sich aus Daintons Brief schwer herauslesen. Klar ist, dass sich die Turnierstruktur ab dem neuen Jahr verändern wird, aber auch, dass die ITTF noch mit einigen verschobenen Wettbewerben zu kämpfen hat, die sie in den bestehenden Kalender integrieren muss. „2020 und 2021 werden ein kompliziertes Puzzle“, glaubt Dainton. „ Zum jetzigen Zeitpunkt erwarten wir, dass eine gewisse Normalität erst 2022 in unsere Kalender zurückkehren wird.“ Spätestens dann wissen wir wahrscheinlich, wie lange auch noch eine Einzel-WM Teil des Turnierkalenders sein wird.

Hier geht's zum Statement des ITTF-Präsidenten Thomas Weikert zum Thema

(JS)

Kommentar schreiben

Um weiterhin qualitativ hochwertige Diskussionen unter unseren Artikeln zu gewährleisten, haben wir uns dazu entschlossen, die Kommentarfunktion mit dem myTischtennis.de-Login zu verknüpfen. Wenn Sie etwas kommentieren möchten, loggen Sie sich einfach in Ihren Account ein. Die Verwendung eines Pseudonyms ist weiterhin möglich, der Account muss jedoch einer realen Person zugeordnet sein.

* Pflichtfeld

Copyright © 2024 myTischtennis GmbH. Alle Rechte vorbehalten.