Buntes

Boomende Outdoor-Szene: "TT als Zentrum der Verbindung"

An Hannovers Outdoor-Tischen lässt man sich auch nicht vom Einbruch der Dunkelheit abhalten (©Nick Neufeld)

15.04.2021 - Nicht erst seit Ausbruch der Pandemie, aber gerade auch durch das Coronavirus erlebt das Tischtennisspielen im Freien seit über einem Jahr einen regelrechten Boom. Längst ist die Zusammenkunft an der Steinplatte zu mehr geworden als reiner Freizeitbeschäftigung und Sport. Das zumindest wird deutlich, wenn man sich mit Bastian Heger (streetTT, Köln) und Henri Nellenschulte (Plattentanz, Hannover) unterhält. Was hinter streetTT und Plattentanz steckt und wie das Thema in manchen TT-Verbänden gesehen wird, erfahren Sie hier.

In Zeiten des Amateursport-Verbots und geschlossenen Hallen haben viele Menschen das Spazierengehen, Radfahren und Joggen für sich (wieder-)entdeckt. Wer in diesem Zuge an Parks und Spielplätzen vorbeikommt, dem dürften die dort fast rund um die Uhr belegten Outdoor-Tischtennisplatten wohl kaum entgehen. Gerade in großstädtischen Parkanlagen ist das nicht erst seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie vor über einem Jahr der Fall (zu Jan Lükes Blog "Die Steinplatte und Co. als Chance" aus dem Jahr 2016). Doch hat dieser Umstand den Trend zum Outdoor-Tischtennis noch einmal verstärkt. 

Aus der Schweiz nach Freiburg herübergeschwappt
Bestätigen können das auch Bastian Heger und Henri Nellenschulte. Heger wohnt seit einigen Jahren in Köln und ist einer der Macher von www.streettabletennis.com, einer Plattform für die Outdoor-Tischtennis-Community, über die sich TT-begeisterte Leute verbinden und zum Spielen an den öffentlichen Platten ihrer Stadt verabreden können. Jeder kann dabei selbst bestimmen, wann, wo und wie oft er spielen möchte und ob er sich mit anderen in der streetTT-Liga seiner Stadt messen oder nur zum Spaß spielen möchte. Die Idee brachte Heger nach seinem Umzug aus Freiburg mit. Die dortige Outdoor-TT-Szene organisierte sich über die Plattform "spood.me", die über Tischtenniskontakte aus der Schweiz nach Freiburg herübergeschwappt war. Nach Abschaltung der schweizerischen Seite waren sich Heger und seine Tischtennisfreunde in Köln schnell einig, dass wieder ein vergleichbares Netzwerk her müsse, und so startete er gemeinsam mit seinem Freund Max Teufel, der über die notwendigen IT-Kenntnisse verfügt, das Projekt streettabletennis. Ein halbes Jahr später zum Start der neuen Outdoor-Saison stand dann die passende Website, die seitdem von den beiden Machern mit viel Liebe zur Sache kontinuierlich weiterentwickelt wird.

Die streetTT-Plattform dient dazu, dass einzelne Freunde des Outdoor-Tischtennis zueinanderfinden und eine Community in ihrer Stadt bilden können. Bereits bestehende Communities können sich über die Plattform organisieren und kompetitiv in einer streetTT-Liga spielen, in der man sich anhand eines Elo-Werts mit anderen Spielern vergleichen kann. "Die Leute sollen sich connecten. Tischtennis soll – egal welches Alter, welches Geschlecht oder welchen sozialen oder kulturellen Hintergrund man hat – zum Zentrum der Verbindung werden", findet Heger, der in seinem Beruf als Projektleiter des Kidsclubs des 1. FC Köln tätig ist. Durch die von Heger und seinen Tischtennisfreunden organisierten "Städte-Battles", bei denen Outdoor-TT-Spieler aus verschiedenen Städten zusammenkommen, verbindet streetTT tischtennisbegeisterte Menschen auch über Städtegrenzen hinaus. Inzwischen sind auf streetabletennis.com Ligen in rund 20 deutschen und schweizerischen Städten verzeichnet, von kleineren Communities mit einem Dutzend Spielern über Ligen mit mehr als 50 Teilnehmern (wie in Berlin oder Hamburg) bis hin zur "Keimzelle" von streetTT Köln mit weit über 200 registrierten und 60 sehr aktiven Spielern. Hier wurden bisher rund 500 Spiele pro Saison gespielt.  

"Energie des Tischtennissports nutzen"
Gerade seit Ausbruch der Pandemie nahm das TT-Geschehen in Hannover derweil an Fahrt auf. In der losen Sportgruppe "Plattentanz" kannten sich die meisten Spielerinnen und Spieler vor einem Jahr noch nicht. „Inzwischen gibt es einen festen Kern von 30, 40 Aktiven, die sich regelmäßig zum Spielen an der frischen Luft treffen. Der Tischtennissport ist das Mittel zum Zweck, um die Vorteile des Sports in der lebendigen Nordstadt in Hannover tiefergehend zu verwurzeln“, berichtet Henri Nellenschulte. Die Energie und den Zusammenhalt dieser chaotischen Zeiten wolle man nutzen, um in den Bereichen Jugendarbeit, Integration und Inklusion zukünftig unterstützend mitzuwirken.

Eine kooperierende Initiative sei beispielsweise "Unter einem Dach". Dabei stellen ehemals geflüchtete Menschen in einer Hinterhof-Näherei aus ausrangierten Werbebannern Taschen her (Maesh Bags). In Kürze erscheint die erste Maesh-PingPongBag. Auch eine Zusammenarbeit mit der vom ehemaligen Jugend-Nationalspieler Ole Markscheffel gegründeten Tischtennis-Bekleidungsmarke "Ping Pong People", mit der auch streettabletennis kooperiert, soll bald dabei helfen, den Sport weiter nach außen zu tragen. Spielergebnisse werden in Hannover bevorzugt bei "Court Culture" eingetragen. Das ist eine kostenfreie, webbasierte App (courtculture.cc), die den Sport an öffentlichen Plätzen fördert. „Die perfekte Plattform für den Freizeitsport. Mithilfe einer Live-Map, Spielstatistiken und einem wunderschönen Design werden sowohl Wettkampfgedanke als auch das Gemeinschaftsgefühl gleichermaßen gestärkt“, erläutert Nellenschulte.

Geräuschkulisse und lebhafte Umgebung als größter Unterschied
Geht es nach dem 28-Jährigen, so bestünde in und nach Corona-Zeiten die einmalige Chance, die Brücken zwischen Vereins- und Freizeitsport zu schlagen. Augenzwinkernd versucht der Plattentanz, den Tischtennissport aus seinen "kurzärmligen Poloshirts und den Hallen zu holen". Obwohl immer und überall Tischtennis gespielt werde, sei der Vereinssport immer noch eine Randerscheinung. "Wir möchten den Charme einer losen Sportgruppe beibehalten, dennoch vereinsähnliche Strukturen entwickeln." Als Sparte werden sich die Freizeitspielerinnen und -spieler vom Plattentanz ab 1. Mai einem befreundeten Verein angliedern. Trotz des Angebotes, zukünftig in Hallen spielen zu können, wird der Sport an der frischen Luft weiterhin im Vordergrund stehen. „Der Plattentanz wurde im Park geboren“, scherzt Nellenschulte.

Das Spielen in der Halle und im Verein reizt Bastian Heger, der mehrmals in der Woche am Outdoor-Tisch steht, wiederum weniger. Zumindest "noch" sei er kein Vereinsspieler. Er habe zwar mal ein Turnier in der untersten Startklasse in der Halle gespielt, den "einzigartigen Vibe draußen an der Outdoor-Platte" möchte er aber nicht missen. Die mehr als 250 Outdoor-Platten in Köln würden allerdings auch durchaus Vereinsspieler anlocken, die normalerweise in der Bezirksliga oder sogar höheren Ligen am Tisch ständen. "Die müssen sich natürlich auch erst einmal an die Gegebenheiten im Freien gewöhnen", sagt Heger. Auch in Hannover passiere es laut Nellenschulte regelmäßig, dass Vereinsspieler gegen erfahrene Straßenspieler mit ihren teilweise eigenwilligen Spielstilen den Kürzeren zögen. Neben Wind und Wetter, der Tischoberfläche und dem Metallnetz machen Nellenschulte und Heger die lebhafte Umgebung mit z. B. nebenan spielenden Kindern und die Geräuschkulisse als größten Unterschied zur Halle aus. 

Merkmale eines guten Outdoor-Tischs
Gespielt wird in den Städten dabei im Übrigen längst nicht mehr nur auf Steinplatten, sondern auch auf Kunststofftischen. Beide Varianten hätten ihren eigenen Charme, sagt Bastian Heger. Die Kunststofftische seien vielleicht noch einmal etwas glatter und schneller und kämen dadurch näher an klassische Tische in der Halle heran, in der das Spiel natürlich spinniger und schneller sei. "Wichtig ist meiner Meinung nach bei einem Outdoor-Tisch die richtige Höhe, dass die Oberfläche gerade und glatt ist, keine Löcher enthält, die Umgebung um den Tisch gepflastert und genug Platz da ist. Bei manchen Platten ist nämlich eine Mauer oder Bank im Weg", so Heger, der auch gerne etwas weiter hinter der Platte verteidige. Ein Problem sei zudem, dass sich einige Platten auf Spielplätzen befänden, die man als Erwachsener, wenn nicht als Aufsichtsperson mit Kind, eigentlich nicht betreten dürfe. "Hier sollte ein Angebot für alle geschaffen werden", fordert der 35-Jährige, der mit der Stadt zu diesem Zweck in Kontakt steht. Der 28-jährige Nellenschulte erklärt zudem: "Wichtig ist auch das Vorhandensein von mehreren Tischen an einem Ort, für kleinere Events."

Entgangen ist der Outdoor-Boom der letzten Jahre natürlich auch den Tischtennis-Vereinen und -Verbänden nicht. So veranstaltet beispielsweise der nordrhein-westfälische TTV Waltrop in diesem Jahr zwischen Mai und August die zweite Auflage der 'Turnierserie' Moselbach TT-Cup und bietet dabei verschiedene Startklassen an, von den eigenen Vereinsmeisterschaften über Familienstartklassen bis hin zu Hobbyklassen. Der Westdeutsche Tischtennisverband WTTV hat unterdessen vor kurzem unter dem Slogan "Hol dir die volle Outdoor-Power" eine Handreichung entworfen, die heruntergeladen werden kann. Hier ist beschrieben, wo man Outdoor-Tische findet, was bei der Nutzung zu beachten ist und welche Veranstaltungsmöglichkeiten es gibt. Zudem steht eine Checkliste für die Durchführung und Vorbereitung von Aktionen bereit sowie Materialien für die Pressearbeit, Spiel- und Turnierpläne. Auch beim DTTB beschäftigt man sich mit dem Thema, in dieser Woche hat eine Online-Sitzung stattgefunden, auf die ein Konzept mit Angeboten und Anleitungen folgen soll. 

Potentielle Mitglieder für Tischtennisvereine?
Ist der Outdoor-Sport nun aber auch eine Möglichkeit, Spieler in die Vereine zu bekommen? Udo Sialino, Referent für den Vereinsservice beim Tischtennisverband Niedersachen, sagt trotz guter Gespräche mit der Hannoverschen Outdoor-Szene um Plattentanz: "Ich denke, es wäre eher Zufall, wenn sich von diesen Spielern jemand im Verein anmeldet. Auch beim jährlichen 'Tag der Niedersachsen', bei dem wir als Verband einen Mitmachstand anbieten, ist die Resonanz zwar groß, weil keine Berührungsängste mit Tischtennis bestehen und es jeder schon mal irgendwo gespielt hat. Im Verein meldet sich von diesen Menschen dann aber kaum jemand an." Potential sieht Sialino dennoch. Er denkt langfristig und sieht eine Schleife, die man durch solche Aktionen und mit Blick auf die Outdoor-Szene gehen muss: "Viele sind um die 30 Jahre jung, haben schon Kinder oder werden Kinder haben, die sich für das Hobby ihrer Eltern interessieren werden. In diese Richtung gehen zumindest auch Rückmeldungen, die wir von Vereinen bekommen haben, wenn es um den 'Tag der Niedersachsen' geht."

Aber auch mit Plattentanz werde der Verband zusammenarbeiten. "Wenn die z. B. ein größeres Turnier ausrichten wollen, dann könnte die nahegelegene 'Akademie des Sports' eine Ausweichmöglichkeit sein, um solch ein Turnier zu realisieren." Mit "größeres Turnier" spielt Sialino auf die Pläne von Plattentanz und streettabletennis an, nicht nur städteübergreifende Events, sondern demnächst auch – wenn Corona es zulässt – internationale Turniere auszurichten. Denn vernetzt ist man in der Szene gut. Nach Zoom-Meetings mit Outdoor-Tischtennisfreunden, die in BerlinHamburgFreiburgKopenhagenBasel und Zürich ebenfalls Tischtennisprojekte auf die Beine gestellt haben, ist der Wunsch nach einem internationalen Events groß, das die z. B. in Köln und Hannover ohnehin schon stattfindenden Turniere ergänzt. "Aus dieser Community soll ein Ping-Pong-Kollektiv entstehen, das andere Leute inspiriert", wünscht sich Heger ebenso wie Nellenschulte für die Zukunft. 

Im letzten Jahr testete "tischtennis"-Redakteur Jan Lüke das Training an der Steinplatte zusammen mit Kölns Zweitligaspieler Lennart Wehking. Zur (kostenpflichtigen) E-Paper-Ausgabe von Juli 2020.

(DK)

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