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Phasendrescher: Der abwesende Student

Wenn die akademische Karriere ruft, ist der Heimatverein schnell vergessen (©Laven)

10.02.2020 - Wenn der geordnete Schul-Alltag mit den obligatorischen Hobbys abgeschlossen ist, zieht es so manches Tischtennistalent zum Studieren in die nächstgelegene Großstadt. Doch was wird dann aus dem Engagement im Heimatverein? Das beleuchtet 'Phasendrescher' Philipp Hell in seinem Blog zur fünften Phase einer typischen Amateurspielerkarriere wie gewohnt schonungslos ehrlich.

Ein neuer Lebensabschnitt bringt jede Menge Veränderungen mit sich, selbst für den passionierten Kreisliga-Tischtennisspieler Chrissy: Er verlässt gegen Ende seiner Teenagerjahre die Schule und seine Kleinstadt und zieht fürs Studium in die nächstgrößere Metropole. Da er sich um allesmögliche Andere als sein Lieblings-Hobby kümmern muss und in der neuen Heimat noch dazu keinen Tischtennisspieler kennt, bleibt er seinem Jugendverein natürlich vorerst erhalten. Außerdem will er seine 'Jungs' doch nie im Stich lassen - großes Ehrenwort! Den seit Jahren immer wieder äußerst knapp und unglücklich verpassten Bezirksliga-Aufstieg schaffen wir schließlich nur gemeinsam.

Knick in der TTR-Kurve

Da Chrissy nur am Wochenende nach Hause fährt (Mama kocht am besten und wie eine  Waschmaschine funktioniert, muss er auch erst noch herausfinden), kommt er natürlich unter der Woche nicht regelmäßig zum Trainieren. Dies wirkt sich leider sofort auf seine Leistung aus: Die bisher so steile TTR-Kurve eines talentierten und trainingseifrigen Jugendlichen erfährt einen jähen Knick, während seinem Kumpel Andy (der Azubi in der örtlichen Sparkasse geworden ist und weiter sieben Tage die Woche zu Hause wohnt) sogar der kaum erwartete Sprung in die erste Mannschaft gelingt.

Chrissy hingegen kann nur freitags spielen – und das auch nur, wenn er nicht gerade die ultimative Erstsemesterparty in der Großstadt verpassen würde, keine extrem coole Projektarbeit seine Zeit frisst und keine wichtige Klausur ansteht, auf die er sich in nächtlichen Sessions tagelang intensiv vorbereiten muss. Das Studium – und damit die Zukunft – muss da schon ein bisschen Vorrang haben vor Amateur-Sport in der Kleinstadt, klar, das versteht auch jeder. Nur schade halt für alle, dass trotz Chrissys gegenteiliger Beteuerungen zu Saisonbeginn ständig ein Ersatzspieler gebraucht wird und vom avisierten Aufstieg bereits an Halloween keine Rede mehr ist.

Chrissy macht sich rar

Im zweiten Jahr reduzieren sich Chrissys Wochenendbesuche dann bereits merklich. Mamas  Kochkünste können doch nicht mit all den hippen großstädtischen Burger-Läden mit veganen  Avocado-Bratlingen mithalten und das Studentenwohnheim hat tatsächlich eine funktionierende Waschküche, deren Bedienung für einen angehenden Akademiker mittelfristig kein Problem darstellt. Hinzu kommt, dass beim Uni-Sport tatsächlich Tischtennis auf ansprechendem Niveau gespielt wird und Chrissy sich somit direkt vor Ort sportlich betätigen kann, ohne stundenlang mit der Bummelbahn nach Hause ins Ländliche gondeln zu müssen. Zu guter Letzt: Jedes Wochenende steht eine andere legendäre Uni-Party an – und da gilt natürlich, was für Seminare höchstens ab und zu gilt: Anwesenheitspflicht! Als Chrissy selbst die ihm bisher so heilige Vereinsmeisterschaft am Samstag vor Weihnachten sausen lässt, ahnt Abteilungsleiter Franz bereits nichts Gutes.

Im dritten Jahr kommt es, wie es kommen muss: Dank seiner neuen Großstadt-Freundin kommt Christian (wie er inzwischen genannt werden will) außer zu Weihnachten am Wochenende praktisch nicht mehr in die alte Heimat. Längst haben seine Jungs einen siebten festen Spieler in die Aufstellung schreiben müssen und erneut frühzeitig den Aufstieg verpasst, Christians Amt als dritter Kassenprüfer wurde neu besetzt und die letzten Vereins-Zugänge kennt er höchstens noch dem Namen nach aus dem Spielbericht im Internet – wenn überhaupt, denn die Zeit ist wirklich knapp für so einen Vollzeit- und Vollblutstudenten. 

Mausetote Karteileiche

Zwar schaut Christian dann doch mal auf einen Sprung zum Abteilungs-Sommerfest vorbei (Freibier!), doch kennt er weder die Abschlussplatzierungen seiner ehemaligen Mitkämpfer noch kann er in den Gesprächen mit ihnen besonders gut verbergen, dass er die meisten davon mittlerweile eigentlich für Einfaltspinsel vom Lande hält, während in ihm ein hochgebildeter Weltbürger heranwächst – und das nach einem maximal mittelguten Abschluss als BWL-Bachelor, für den gerade einmal ein Modul in Philosophie im Nebenfach belegt werden musste, um den eigenen Horizont zu erweitern.

Spätestens nach zwei weiteren Jahren als mausetote Karteileiche trudelt Abteilungsleiter Franz dann unangekündigt ein Wechselantrag auf den Schreibtisch. Für eine Vorwarnung per Textnachricht hat es wohl leider nicht mehr gereicht. Noch nicht einmal ein "Alles Gute beim neuen Verein" kann Franz ?seinem ehemaligen sportlichen Ziehsohn hinterherschicken – anscheinend hat sich außer seinem Charakter zuletzt auch noch Chrissys Handynummer geändert.

Zur ersten Phase "Der TT-Knirps"
Zur zweiten Phase "Das talentierte Kind"
Zur dritten Phase "Der pubertierende Jugendliche"
Zur vierten Phase "Der übermotivierte 17-Jährige"

(Philipp Hell)

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