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Jans Blog: Königsklasse nicht mehr königlich

Der amtierende deutsche Meister aus Ochsenhausen entschied sich gegen die Teilnahme (©Roscher)

20.01.2020 - Im Fußball - und auch in anderen Sportarten - stellt die Champions League die Krönung der europäischen Ligawelt dar. Im Tischtennis fliegt die ‚Königsklasse‘ dagegen selbst für Tischtennisfans unter dem Radar, beobachtet Jan Lüke. In seinem Blog beschreibt er, worunter die beste europäische Liga aktuell leidet, und überlegt, wie man der Champions League wieder einen Ruck in die richtige Richtung geben könnte.

Die Champions League ist um eine Posse reicher: Am letzten Spieltag der Champions-League-Vorrunde benötigte der französische Vertreter VS Angers TT nur noch einen Pflichtsieg gegen das nicht konkurrenzfähige Irun Leka Enea TDM (Spanien), um als Gruppenzweiter ins Viertelfinale des Wettbewerbs einzuziehen. Doch Angers, in der Vorsaison immerhin Champions-League-Halbfinalist, bot gegen die Basken eine Mannschaft mit zwei Amateurspielern auf. Die Kurzfassung: Angers verlor mit Absicht (2:3). Später erklärten die Vereinsverantwortlichen freimütig, der finanzielle Aufwand für eine Teilnahme an der K.o.-Phase wäre für den Klub zu hoch gewesen und man hätte seine Saison im europäischen Tischtennis lieber als Gruppendritter im ETTU-Pokal fortgesetzt. Aus dem Vorhaben wurde nichts: Der europäische Verband ETTU sperrte Angers für den ETTU-Pokal und verhängte zusätzlich eine Strafe von 5000 Euro gegen den Traditionsklub, weil Angers einen der Grundwerte des Sports verletzt habe: nicht gewinnen zu wollen.

Nicht die 'Königsklasse'

Fernab der Tatsache, dass das Gebaren der Franzosen unsportlich und sanktionswürdig ist, hat der absurde Fall einen neuerlichen Beweis für die Probleme des vermeintlich bedeutendsten Vereinswettbewerbs im europäischen Tischtennis geliefert. Während die Champions League im Fußball, aber auch im Handball oder Basketball für Vereine und Zuschauer tatsächlich die 'Königsklasse' ihrer Sportart darstellt, fliegt der Wettbewerb im Tischtennis sogar innerhalb der eigenen Community unter dem Radar. Mehr noch als bei nationaler Liga oder Pokal nehmen in Deutschland nur Insider den Wettbewerb wahr.

Die Gründe sind vielfältig: Der Stellenwert des Wettbewerbs scheint für viele Vereine mäßig. Während sich mit Angers einer der stärksten Klubs im europäischen Tischtennis gerne freiwillig aus dem Wettbewerb verabschieden möchte, verzichten deutsche Spitzenklubs wie die TTF Ochsenhausen von vornherein freiwillig. Schon in der zweiten Saison findet die Champions League ohne den letztjährigen deutschen Double-Gewinner statt. Stattdessen steht mit dem Post SV Mühlhausen, der von der skurrilen Niederlage des VS Angers TT gegen Irun profitierte, derzeit ein Team im Viertelfinale der Champions League, das im vergangenen Jahr als Sechster die Play-offs in der TTBL verpasste. Nur manche Vereine, wie etwa der deutsche Rekordmeister Borussia Düsseldorf, nehmen den Wettbewerb so ernst, wie man es von einer Champions League erwarten könnte. Für Klubs mit Sponsoren, die auf dem internationalen Markt agieren, besitzt die Champions League einen besonderen Wert in der Vermarktung. Ihre Reichweite generiert der Wettbewerb vor allem über seine Verbreitung im Internet.

Termine, Termine, Termine

Eine Herausforderung für die Vereine stellt der immer dichtere Terminkalender dar, in dem die Champions-League-Partien untergebracht werden müssen. Auch hier lieferte der diesjährige Wettbewerb ein skurriles Ereignis: Weil der 1. FC Saarbrücken TT für das Rückspiel gegen Portugals Vertreter GDSC Juncal wohl Reiseprobleme aufgrund eines Flugstreiks zu erwarten gehabt hätte, trugen die beiden Teams kurzerhand Hin- und Rückspiel an einem Abend aus. In der Summe solcher Ereignisse bleibt der Eindruck, dass die Champions League bei den besten Vereinen Europas, deren Spieler ohnehin unter hohem Termindruck stehen, nicht höchste Priorität besitzt. 

Das mag auch daran liegen, dass das sportliche Niveau in der Champions League sehr wechselhaft ist, das sportliche Gefälle innerhalb des Wettbewerbs mittlerweile immens ist. Mannschaften wie Juncal, TTC Ostrava oder Ping Pong Club Villeneuvois haben nicht annähernd TTBL-Niveau, während die russischen Titelfavoriten Fakel Gazprom Orenburg oder TTSC UMMC sich Jahr für Jahr starke Mannschaften für die Endrunden des Wettbewerbs zusammensuchen. Nicht zuletzt deshalb steht die Champions League nun vor einer Reform, die die Belastung für Vereine und Athleten reduzieren soll. Der Weg zum Titel soll für die Favoriten in Zukunft wohl kürzer ausfallen, dementsprechend seltener sollen Topstars wie Timo Boll an die Tische müssen. 

Ob das ausreicht, um dem kriselnden Wettbewerb einen Turnaround zu geben? Das bleibt unklar. Für Tischtennis als Vereins- und Mannschaftssport wäre es allerdings wünschenswert, wenn es nicht länger heißt: Stell‘ dir vor, es ist Champions League, und kaum einer bekommt’s mit. 

(Jan Lüke) 

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