Alle Hände voll zu tun hat Dimitrij Ovtcharov nicht nur beim Training, sondern auch beim Unterschreiben (©Facebookseite Dimitrij Ovtcharov)
29.11.2018 - Dimitrij Ovtcharov kehrte heute von einer besonderen Mission aus China zurück. Der Weltranglistenfünfte ist in dieser Saison als einziger Ausländer in der Super League aktiv und spielte dort bisher eine Bilanz von 2:2. Wir haben ihn gestern Abend kurz vor Abflug noch gesprochen und erfahren, wie anders der Ligaalltag in China verläuft, wie groß die Masse an unbekannten, aber starken Spielern ist und warum Ovtcharov trotz des Ausländerverbots überhaupt spielen darf.
myTischtennis.de: Es hieß ja eigentlich, dass die Chinesen in der Super League unter sich bleiben wollen. Und tatsächlich bist du der einzige Ausländer bei den Herren. Wie kam es, dass du dort überhaupt spielen durftest?
Dimitrij Ovtcharov: Genau, ausländische Spieler sind in der chinesischen Liga eigentlich verboten. Ich habe aber im Jahr 2014, als wir mit einem Underdog-Team Vizemeister geworden sind, einen Fünf-Jahres-Vertrag mit dem Verein, in dem ich spiele, Jiangsu Zhongchao Cable, unterschrieben. Also für die Jahre 2015 bis 2019. Da der Vertrag vor der Zeit unterschrieben wurde, als das Verbot kam, wurde das respektiert und ich darf spielen.
myTischtennis.de: Wer dir auf den Social-Media-Plattformen folgt, konnte schon Bilder von den großen Stadien und Bussen mit Tischtenniswerbung, unter anderem auch mit dir, sehen. Erzähl doch mal ein bisschen vom Alltag eines Super-League-Stars.
Dimitrij Ovtcharov: (lacht) Ja, das Leben hier ist schon ein bisschen anders. Dass hier in China so viel Tischtennis gezeigt wird, ist natürlich schon mal der erste große Unterschied. Es ist schon speziell, wenn man zum Beispiel um 15:30 Uhr ein Match hat und am Abend dann noch mal eine Wiederholung des Spiels im Fernsehen sieht. Vorher lief das Match live im größten Sportsender CCTV5. Oder nimm diesen Bus mit den vielen Tischtennisspielern drauf, der neben uns stand, als wir in Shenzhen zum Hotel gefahren sind - auch so was erlebt man in Europa natürlich nie, das ist schon was Besonderes. Zudem fassen die Hallen teilweise fast 10.000 Zuschauer. Beim Heimspiel hatten wir fast 3000 Zuschauer in der Halle, in Shanghai waren es nur 500, heute, glaube ich, gut 1000. Also die Zuschauerzahlen, die Fernsehübertragungen, aber auch einfach die Qualität der Hallen, die Organisation und überhaupt der Stellenwert des Sports sind im Vergleich zu Europa einfach eine ganz andere Liga. Es ist natürlich schön für uns Tischtennisspieler, hier so wahrgenommen zu werden.
myTischtennis.de: Welche Unterschiede siehst du bei deiner alltäglichen Arbeit, also im Training und bei Spielen?
Dimitrij Ovtcharov: Aus Europa kennt man zum Beispiel, dass man, wenn man jetzt ein hartes Spiel am Abend hatte, erst mal einen Tag pausieren kann. Hier wird, wenn das Heimspiel um 22 Uhr vorbei war, am nächsten Morgen um 8:30 Uhr wieder trainiert. Es steht gar nicht im Raum, mal zu pausieren. (lacht) Hier ist ganz klar immer Training, Training, Training. Und bei Auswärtsspielen ist die Trainingszeit von 7:30 Und bis 9 Uhr. Auch da sind wir Europäer eher gewöhnt, am Spieltag etwas weniger zu machen. Aber ich habe hier noch keinen Spieler gesehen, der die Einheit um 7:30 Uhr ausgelassen hat - egal ob es Xu Xin ist oder ein Chinese, den man nicht kennt. Alle sind sehr motiviert.
myTischtennis.de: Gerade die Chinesen, die man hier nicht kennt, finde ich äußerst spannend. Wie muss man diese Spieler aus der zweiten oder dritten Reihe einschätzen?
Dimitrij Ovtcharov: Es ist wirklich faszinierend, dass Spieler, von denen man noch nie was gehört hat, ich selbst auch nicht, hier so stark aufspielen. Ein Teamkollege von mir zum Beispiel, Sun Wen, - den kennt sicherlich niemand in Europa - hat 3:0 gegen Fan Zhendong gewonnen. Und das nicht, weil Fan Zhendong einen schlechten Tag hatte, sondern weil Sun Wen einfach ein sehr hohes Niveau hat. Ein anderer Teamkollege von mir hat gegen Lin Gaoyuan gewonnen, der, glaube ich, letztes Jahr der beste Spieler der Liga war. Die Masse der Leute, die man nicht kennt und die trotzdem so gut sind, ist wirklich beeindruckend. Und sie spielen hier zu Hause natürlich auch noch mal eine Klasse besser, als wenn sie zu einem World-Tour-Turnier geschickt werden, weil sie dann, glaube ich, schon auch Angst haben, nicht mehr eingesetzt zu werden, wenn sie verlieren.
myTischtennis.de: Lass uns noch einmal auf die Ligaspiele eingehen. Laufen die ähnlich ab wie in Europa?
Dimitrij Ovtcharov: Man kommt etwa 1:45 Stunde vor dem Spiel in die Halle, ähnlich wie in Europa. Der einzige Unterschied ist, dass sich beide Mannschaften an einem Tisch einspielen. Zwölf Leute, ein Tisch - da machst du gefühlt einen Ballwechsel in zehn Minuten. Nein, es sind schon ein paar Ballwechsel hintereinander, aber dann hast du halt wieder acht bis zehn Minuten Pause. (lacht) So viel Einspielzeit gibt es hier also nicht, aber gerade so was tut mir auch gut. Ich bin jemand, der immer alles ganz genau machen will, immer nach Plan. Hier musst du dich einfach mehr anpassen, mal aus deiner Komfortzone rauskommen. Das ist sehr spannend. Es ist ja jetzt schon mein viertes Jahr in der Super League und die Erfahrung ist wieder sehr wertvoll für mich.
myTischtennis.de: Kannst du einschätzen, wie viel mehr dich das Training dort weiterbringt als hier?
Dimitrij Ovtcharov: In all den Jahren, in denen ich in der Super League gespielt habe, habe ich im Anschluss bei internationalen Turnieren immer extrem gut performt. Vor allem in der Schnelligkeit, Fitness und Genauigkeit im Aufschlag-/Rückschlagspiel habe ich da immer große Sprünge gemacht. Die Spieler sind hier alle sehr sicher und sehr schnell. Und gerade dieses Tempo tut mir gut. Ich merke, dass ich schon an Speed zugelegt habe, und bin mir sicher, dass das gerade aktuell, wo es in letzter Zeit schlechter lief, sehr gut für mich ist. Im Dezember fliege ich ja wieder zurück und hoffe, hier einen Grundstein zu legen und 2019 wieder richtig durchzustarten.
myTischtennis.de: Lass uns noch einen Blick auf deine Bilanz werfen. Du hast bisher zwei Spiele gewonnen und zwei verloren, unter anderem auch gegen Xu Xin. Wie zufrieden bist du mit deiner Leistung bisher?
Dimitrij Ovtcharov: Ich glaube, 2:2 ist eine absolut solide Bilanz, ich bin damit eigentlich zufrieden. Die zwei Siege waren deutlich und verdient. Die Niederlage gegen Xu Xin war ebenso verdient. Aus solchen Spielen lernt man viel, auch weil es jetzt schon wieder fünf Jahre her war, dass ich gegen ihn gespielt habe. Das Match gegen Zhou Yu wurmt mich ein bisschen, weil ich da mehr drin war, aber es ist kein Beinbruch. Ich bin hier, um viele Spiele zu haben, gut zu trainieren und mein Niveau zu steigern. Von daher bin ich happy, wie es hier in den ersten zehn Tagen gelaufen ist.
myTischtennis.de: Bis zum 19. Dezember hast du ja jetzt erst mal Pause. Was machst du in der Zeit?
Dimitrij Ovtcharov: Ich lande Donnerstagmorgen in Frankfurt, am Freitag ist Champions League in Mühlhausen - so ganz frei habe ich also auch nicht. In der Woche darauf ist wieder Champions League in Orenburg, allerdings hätte ich nichts dagegen, wenn ich für dieses Spiel frei bekommen würde. Es wäre schön, mal zweieinhalb Wochen am Stück zu Hause zu sein, denn ich war jetzt echt viel unterwegs und freue mich auf die Zeit mit der Familie. Aber natürlich werde ich auch täglich trainieren und mich auf den zweiten Abschnitt in der Super League vorbereiten. Ich hoffe, dass ich das Ganze am Ende mit einer leicht positiven Bilanz abschließe und mit Selbstvertrauen ins neue Jahr gehen kann.
(JS)
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