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Jans Blog: Gelingt diesmal die große WM-Sensation?

Gibt es auch in Halmstad Grund zum Jubeln? (©Stosik)

23.04.2018 - Jahr für Jahr geistert dieselbe Frage vor Weltmeisterschaften in der Tischtennisszene herum: Könnten es die deutschen Herren diesmal schaffen, an den Chinesen vorbeizuziehen und so für die große Sensation zu sorgen? Auch in diesem Jahr wird wieder kräftig spekuliert - schließlich ist Deutschland vor China an Position eins gesetzt. Unser freier Redakteur Jan Lüke analysiert die Ausgangslage der DTTB-Herren in seinem Blog.

In diesem Jahr feiert die deutsche Herren-Nationalmannschaft ein rundes Jubiläum. Seit nunmehr zehn Jahren versuchen die DTTB-Männer, den Branchenprimus China zu besiegen. Im Finale der Olympischen Spiele von Peking hatten sich Timo Boll, Dimitrij Ovtcharov und Christian Süß 2008 erstmals in ein Duell mit China begeben – und 0:3 verloren. Seither rennen die Deutschen immer wieder erfolglos gegen die Übermacht aus China an. Eines haben sie nun zumindest geschafft: Deutschland ist die Nummer eins im Herren-Tischtennis. Das zumindest sagt die Setzliste der Mannschafts-Weltmeisterschaft, die Ende der Woche im schwedischen Halmstad beginnt. Dort thront Deutschland über allen – auch über China. In der Gruppe A, ganz oben.

Diesmal ‚nur‘ die Setzung bestätigen

Jahrelang hätten die Deutschen nichts dagegen gehabt, wenn sich die Setzlisten der großen Turniere nicht bestätigt hätten. Denn die schickten stets China als Favoriten in den Wettbewerb – und Deutschland als Herausforderer. Diesmal ist es anders: Wenn die deutschen Herren ihre Setzung bestätigen, werden sie in der nächsten Woche zum ersten Mal in der Geschichte Mannschafts-Weltmeister. Doch wie viel Aussagekraft hat die Setzliste für Halmstad, die vor allem durch die neue Weltranglisten-Berechnung zustande kam? Ist Deutschland diesmal tatsächlich an der Reihe? Fällt das unbesiegbar erscheinende China?

In den vergangenen Jahren haben die deutschen Herren viel Kreativität aufbringen müssen, um immer wieder Gründe zu finden, warum es ‚diesmal‘ klappen sollte mit einem Sieg über China. Mal war es der Druck, der vor den eigenen Zuschauern auf China lastete (Olympische Spiele in Peking 2008). Mal war es die Euphorie, mit der die Deutschen vom eigenen Publikum getragen wurden (Mannschafts-WM in Dortmund 2012). Doch die schlussendliche Bilanz war ernüchternd: In den sieben großen Mannschaftswettbewerben der vergangenen Dekade scheiterte Deutschland fünfmal an China – zweimal bei den Olympischen Spielen (2008 im Finale, 2012 im Halbfinale) und dreimal im WM-Endspiel (2010, 2012, 2014). Zumeist waren die Niederlagen deutlich. Das schmälerte nicht die großartigen Erfolge der deutschen Herren, die Medaille um Medaille einsammelten. Und doch liegt es in der Natur der Sache, dass es quälend ist, immer wieder so kurz vor dem großen Titelgewinn abgefangen zu werden – zumal vom immer gleichen Konkurrenten.

Zwei wiedererstarkte Deutsche

Als die Hoffnung der deutschen Männer auf den großen Coup allmählich zu schwinden begann, passierte im vergangenen Jahr Unerwartetes: In der zweiten Jahreshälfte nach der WM in Düsseldorf, die Ma Long und Fan Zhendong noch dominiert hatten, schwächelte China plötzlich. Headcoach Liu Guoliang verlor überraschend seinen Posten, die Spieler waren verunsichert oder verletzt – oder gleich beides. Damit nicht genug. Denn Kapital aus der ersten Schwächephase der chinesischen Topspieler seit Jahren zogen ausgerechnet wiedererstarkte Deutsche: Dimitrij Ovtcharov spielte die beste Saison seiner Karriere und Timo Boll, als sei er die 15 Jahre jüngere Kopie seiner selbst. Sie gewannen Turnier um Turnier – und besiegten dabei auch die besten Chinesen. Ovtcharov etwa Fan Zhendong bei den German Open im November in Magdeburg, Boll den Weltmeister Ma Long beim World Cup im Oktober in Lüttich. Plötzlich mischten gleich zwei Deutsche in der Weltrangliste wieder um den Spitzenplatz mit, zeitweise gar vor den besten Chinesen.

Vor dem Start in die WM-Tage von Halmstad darf man daraus keine falschen Schlüsse ziehen: Deutschland ist auch diesmal nur Außenseiter und Herausforderer von China. Das betonten auch die Verantwortlichen und Spieler des DTTB an den Tagen vor dem Turnierstart immer wieder. Wenn der Wettbewerb seinen zu erwartenden Verlauf nimmt, verteidigt China seinen Titel und wird zum neunten Mal (!) in Folge Mannschaftsweltmeister. Zuletzt hatten sich die chinesischen Topspieler wieder stabilisiert: Fan Zhendong dominiert das Welttischtennis. Ma Long ist auf dem Weg zur alten Stärke. Und auch Xu Xin, Chinas wohl weiterhin gesetzte Nummer drei, kann man bei Weitem nicht als anfällig bezeichnen. 

China ist schlagbar

Und doch dürfen sich Deutschlands Herren diesmal berechtigte Hoffnung auf den WM-Titel machen. Zwar haben Timo Boll (nach Wettkampfpause zu Jahresbeginn) und Dimitrij Ovtcharov (mit Rückenbeschwerden) in diesem Jahr bisher wenige Wettkämpfe auf dem Niveau des vergangenen Jahres bestritten. Wenn aber Ovtcharovs gesundheitliche Beschwerden rechtzeitig abklingen, wird das erfahrene DTTB-Spitzenduo in guter Verfassung in Halmstad an die Tische gehen. Ovtcharov und Boll wissen längst, wie sie ihr Spiel zu den Saisonhighlights auf Topniveau hieven. Das gilt auch für den Rest des deutschen Kaders, in dem der formstarke Patrick Franziska derzeit wohl der Favorit auf die dritte Position in den entscheidenden Spielen sein wird. Passend, dass er jüngst auch gegen Chinas Nummer drei Xu Xin ansprechende Gegenwehr leistete.

Entscheidend aber könnte in Halmstad werden, dass die vergangene Saison auch bei den chinesischen Superstars Spuren hinterlassen haben wird. Die Dellen in den Formkurven sind zwar beseitigt, das Selbstvertrauen aber sicherlich noch nicht das alte. Die Konkurrenz weiß wieder, dass China schlagbar ist – und China weiß das auch. Gerade in den Drucksituationen der letzten WM-Runden könnte das für die Deutschen, aber auch die Japaner zum Vorteil werden. Sie haben es in die Köpfe der lange unbesiegbaren Chinesen geschafft. Was aber noch längst nicht bedeutet, dass sie es deshalb auch ganz oben aufs Treppchen schaffen.

(Jan Lüke)

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