Hans Wilhelm Gäb wünscht sich die Rückkehr zu einer seitlicheren bzw. diagonaleren Kameraperspektive (©Roscher)
06.08.2015 - Nicht nur mit ITTF-Marketingchef Steve Dainton sprachen wir über die vermeintlich beste Kameraperspektive für Tischtennis-Übertragungen, auch DTTB-Ehrenpräsident Hans Wilhelm Gäb kommt zu Wort. Im Interview kritisiert er die ITTF für das Festhalten an der derzeit meist genutzten Position, die das Geschehen aus dem Rücken des Spielers auffängt, und wünscht sich die Rückkehr zu einem seitlicheren bzw. diagonaleren Blickwinkel.
myTischtennis.de: Herr Gäb, was sagen Sie zu den Ansichten der ITTF?
Hans Wilhelm Gäb: Die Aussagen von Steve Dainton stimmen in der Tendenz mit dem überein, was mir TMS-Geschäftsführer Anders Thunström („Die Kamera im Rücken der Spieler ist für die Sichtbarkeit der Werbelogos auf den Stirnseiten am besten.“) schon früher erklärt hat, und diese Erklärungen machen mich fast fassungslos.
Es kann doch nicht darum gehen, den Vorstellungen von tischtennisfremden TV-Leuten zu folgen oder den Wünschen der Sponsoren, sondern es geht darum, Tischtennis realistisch in seiner ganzen Klasse zu zeigen und für unsere Sportart so die optimale Werbung zu machen. Wer das tut, vergrößert die Freude am Tischtennis, gewinnt neue Sportfans für unsere Sache und bringt damit auch den Sponsoren einen Mehrwert.
Jeder Betrachter am Schirm muss von unserem so komplexen und schnellen Spiel so viel wie möglich sehen und verstehen können. Nur dann entsteht Interesse, nur dann Begeisterung, nur dann wird die Zahl der Zuschauer über uns Insider hinaus beim und durch das Internet-Streaming steigen können.
myTischtennis.de: Was bemängeln Sie besonders?
Hans Wilhelm Gäb: Eine Kamera im Rücken der Spieler verkürzt die Perspektiven, unterschlägt die Distanzen zwischen den Spielern, verfälscht das wirkliche Tempo des Spiels, blendet die phantastischen, athletischen Leistungen der Akteure aus, lässt nicht erkennen, ob Aufschläge lang oder kurz kamen, ob sie kurz oder lang zurückgespielt wurden, ob die Bälle mitten im Tisch landen oder gefährlich an der Grundlinie. Und so weiter.
Die Darstellung aus den jetzt gewählten Perspektiven kann selbst für den Insider nur erahnen lassen, was da abgeht. Ein „normaler“ Sportfan am Rechner oder Bildschirm aber erkennt nur ein hektisches Hin-und Her von Spielern, die sich auf zweieinhalb Metern gegenüber zu stehen scheinen. Unsere jetzigen Kameraeinstellungen können keine neuen Zuschauer gewinnen. Sie pervertieren geradezu unseren Sport.
Stellen Sie sich das weltweite Gelächter vor, wenn beim Fußball eine einzige Kamera übertragen müsste und FIFA und DFB würden die hinter dem Tor platzieren!
Das Spiel aus einem eher seitlichen Blickwinkel betrachtet (©privat)
myTischtennis.de: Warum sind Sie in dieser Frage so entschieden?
Hans Wilhelm Gäb: Weil die Möglichkeit, Tischtennis über das Internet global zu präsentieren, für Tischtennis eine unglaubliche und einzigartige Kommunikationschance ist. Die bei weitem größte, die unser von den Medien weitgehend übersehener Sport überhaupt noch hat. Sie wird aber seit Jahren völlig verpasst, weil die jetzige Lösung unseren Sport zu seinem Nachteil völlig verfälscht.
myTischtennis.de: Könnte der Einsatz von mehr Kameras die Situation verbessern?
Hans Wilhelm Gäb: Selbstverständlich. Bei zwei oder drei großen Turnieren im Jahr wird dieser Aufwand betrieben. Aber in der Regel, ob in der Bundesliga oder bei den Events der ETTU oder normalen internationalen Meisterschaften, wird aus Kostengründen mit einer einzigen Kameraposition gearbeitet. Und da Tischtennis wirtschaftlich nicht stark genug ist, mehr Aufwand selbst zu finanzieren, und das Fernsehen, wenn es denn mal kommt, bei uns in der Regel kostensparend mit einer Kamera hantiert, müssen ITTF, ETTU und DTTB dafür sorgen, dass diese Kamera wenigstens richtig steht.
myTischtennis.de: Was ist Ihre Lösung?
Hans Wilhelm Gäb: Würde man – wie wir es beispielsweise bei der Weltmeisterschaft 1989 in Dortmund durchgesetzt haben - das Spiel aus einer leicht erhöhten Kameraposition von der Seite oder von der Diagonalen zeigen, könnte man unseren Sport realistisch sehen, normale Sportfans begeistern und damit aus der Enge unseres Insider-Publikums ausbrechen. Ist es denn nicht unser großes Problem, dass wir als Sport zu sehr von der Menge unserer eigenen Spieler und Vereinsanhänger leben? Hat der normale Sportfan Tischtennis überhaupt noch auf dem Schirm? Müssen wir aber nicht genau diesen normalen Sportfan als Zuschauer gewinnen, wenn wir erfolgreicher werden wollen?
myTischtennis.de: Und wie wollen Sie die Wünsche der Sponsoren nach Platzierungen auf den Stirnseiten erfüllen?
Hans Wilhelm Gäb: Die Sponsoren wollen doch nur eines: mit ihrer Werbung im Blickfeld der Führungskamera sein. Es ist doch überhaupt kein Problem, die Hauptsponsoren bei einer Änderung der jetzigen Positionierung dort zu platzieren, wo die Kamera ihre zentrale Blickrichtung hat, also etwa an den Längsseiten oder bei Diagonalen in den Ecken des Spielfelds. Dann haben die Sponsoren genau das, was sie jetzt haben – mit dem Unterschied, dass die richtige Darstellung unseres Sports neue Fans und Zuschauer gewinnt, also den Werbewert für die Unternehmen steigert.
myTischtennis.de: Was ist Ihre Botschaft an unsere Leser?
Hans Wilhelm Gäb: An alle Fans habe ich eine einfache Frage: Wenn Sie in eine Halle zum Spiel gehen und die freie Wahl haben, setzen Sie sich dann in den Rücken der Spieler oder lieber seitlich?? Wer diese Frage ehrlich beantwortet, wird erkennen, dass Tischtennis mit den jetzigen Kameraperspektiven völlig falsch liegt und der eigenen Sache Schaden zufügt. Und wer diese Erkenntnis hat und seinen Sport liebt, der sollte laut seine Meinung sagen.
Hier können Sie aus einer Auswahl von acht Kamerapositionen darüber abstimmen, welche Ihnen am besten gefällt!
(DK)
Um weiterhin qualitativ hochwertige Diskussionen unter unseren Artikeln zu gewährleisten, haben wir uns dazu entschlossen, die Kommentarfunktion mit dem myTischtennis.de-Login zu verknüpfen. Wenn Sie etwas kommentieren möchten, loggen Sie sich einfach in Ihren Account ein. Die Verwendung eines Pseudonyms ist weiterhin möglich, der Account muss jedoch einer realen Person zugeordnet sein.
Copyright © 2025 myTischtennis GmbH. Alle Rechte vorbehalten.