Buntes

Alexander Iskin: Vom Europameister zum Künstlerstar

Alexander Iskin (Mitte) im Kindesalter neben Dimitrij Ovtcharov (rechts) und als Künstler. (©privat/Christoph Neumann)

02.05.2020 - Alexander Iskin gehörte in der Jugend zu den begabtesten Tischtennisspielern in Deutschland. Der 30-jährige Berliner war der Profikarriere ganz nah und stand einst gemeinsam mit Dimitrij Ovtcharov und Patrick Franziska am Tisch. Heute bestimmt nicht der Sport, sondern die Kunst sein ganzes Leben. Iskin schuf mit dem ,Interrealismus‘ eine eigene Richtung. Seine Werke werden weltweit ausgestellt. Doch der lange Weg vom Fast-Profi zum Künstlerstar war für das Multitalent nicht immer leicht.

Wenn sich Alexander Iskin an seine „alte Liebe“ Tischtennis zurückerinnert, dann tut er das nur allzu gerne. 1992 immigrierte die russische Einwandererfamilie aus Moskau ins niedersächsische Seesen. Viel Zeit verstrich nicht, bis sich bei Alexander im Alter von drei Jahren die Begeisterung für den Sport entfachte. Die „Allwetterplatte“ aus dem Flüchtlingsheim reichte schnell nicht mehr aus. Seinem Heimatverein MTV Seesen schloss er sich 1996 an. Unter Hartmut Röttger erlebte Iskin seine Anfänge am Tisch, ehe er sich zwei Jahre später für einen Wechsel zum VfL Oker entschied.

Im D-/C-Minikader mit Patrick Franziska

Der ehemalige bulgarische Nationalspieler Marin Kostadinov erkannte und förderte das Talent des damals Achtjährigen sofort. Sabine Böttcher berief Alexander Iskin wenig später in den niedersächsischen Landeskader. Mikhail Ovtcharov, ein nach wie vor guter Freund seines Vaters, war dort einer seiner Trainer. In der Regionalliga angekommen war er gerade 13 Jahre alt. Im D/C-Minikader traf Alexander Iskin auf Patrick Franziska. „Er ist zwei Jahre jünger als ich. Damals habe ich sogar gegen ihn gewonnen. Es ist Wahnsinn, was er für einen Sprung gemacht hat“, sagt Iskin über seinen alten Weggefährten.

Ganz so voll wie die Trophäenvitrine des heutigen Nationalspielers wurde die von Alexander Iskin zwar nicht. Dabei hätte es durchaus so kommen können. Im Teenageralter mauserte sich der Ausnahmespieler von Erfolg zu Erfolg. Iskin wurde Landesmeister, nahm an deutschen Meisterschaften und Top-48-Turnieren teil und schaffte es sogar in den erweiterten Kreis der Schülernationalmannschaft. Da es stetig bergauf ging, waren Rückschläge bis dahin nie ein Thema. Das änderte sich mit Vollendung seines 16. Lebensjahres auf einen Schlag:

Romantischer Start in die Kunst

Iskin verletzte sich schwer an Schulter und Handgelenk, auch sein Vater musste ins Krankenhaus. Beim Nachdenken kamen erste Zweifel auf. „Das hat mich damals alles total mitgenommen. Es war eine schwierige Zeit. Ich wollte aus dem Leistungssport raus“, berichtet der Künstler heute. Mehr und mehr verlor er die Lust, die Entscheidung, das Kapitel Tischtennis endgültig abzuschließen, schleppte er allerdings noch eine Weile mit sich herum. Der Plan, Profi zu werden, hatte sich jedoch zerschlagen.

2007 ereignete sich dann der wohl größte Wendepunkt, der einen neuen Lebensabschnitt beginnen ließ. Alexander Iskin lernte eine Künstlerin kennen und verliebte sich Hals über Kopf in sie. Was auf den ersten Blick wie eine klassische romantische Liebesgeschichte klingen mag, veränderte den damals Siebzehnjährigen maßgeblich. Wie gerufen und voller Faszination zog es ihn in eine völlig neue Welt. „Ich habe gedacht, dass ich jetzt auch Künstler werden muss, um meine Bedürfnisse ausleben zu können“. Von der Sporthalle zur Malerei: ein Quantensprung. Iskin probierte sich monatelang aus und lernte viele neue Leute kennen.

Inspiration durch bekannte Künstler

Irgendwann bekam er Besuch von zwei bekannten Stars aus der Szene. „Skandalkünstler“ Jonathan Meese und „Genie-Junkie“ Herbert Volkmann nahmen ihn an die Hand, lehrten ihn mit Techniken und Wissen über Philosophie und Kunstgeschichte. Die Einladung zum Malen nach Berlin nahm er ohne große Überlegungen an. In Volkmanns Atelier niedergelassen, fühlte sich Iskin pudelwohl und wollte fortan nicht mehr weg – bis heute hält es ihn und seine Arbeit in der Bundeshauptstadt. Mit dem Schläger in der Hand war das Wohlbefinden des 30-Jährigen längst nicht mehr so wie früher. Um sein Taschengeld aufzubessern, blieb er dennoch am Ball und spielte für den MTV Hattorf und den TTC Düppel Dentalspace in der Regionalliga. „Irgendwann hat die Kunst gegen den Sport gewonnen“, sagt Iskin, der mit dem Europameistertitel bei den Makkabi-Spielen 2015 letztmals am Tisch stand. Ein krönender Abschluss.

Von diesem Zeitpunkt bestimmten Galerien und Museen den neuen Alltag. Ein großer Kontrast, der ihm die Kehrseite des Lebens näherbrachte. Nichtsdestotrotz sind die Parallelen zum Sport größer als gedacht. „Man braucht viel Durchhaltevermögen“, weiß Alexander Iskin.Während die für den Lebenswandel verantwortliche Frau nicht mehr an seiner Seite steht, ist die Leidenschaft für die Kunst geblieben. Und das obwohl er zu Schulzeiten nie sonderlich begabt war. Mit Mitte 20 konnte Alexander Iskin von seinen verkauften Bildern schon gut leben. Der Durchbruch gelang ihm kurz vor dem Tod seines Begleiters und Mentors Herbert Volkmann, als er die neue Kunstrichtung des ,Interrealismus' ausrief. Eine Art Geistesblitz.

Next Stop New York – Duell mit Timo Boll?

Dabei bewegt sich Iskin zwischen der analogen und digitalen Welt. Neben klassischen Ölgemälden, Objekten und Strukturen liegt ein Schwerpunkt auch in der multimedialen Welt. „In der Gesellschaft eröffnen sich ständig neue technologische Sphären. Die inspirieren mich und meine Kunst immer wieder.“ Von jeglichen Social-Media-Kanälen hält er sich trotzdem fern. Einerseits aufgrund der weniger starken Wirkung der Bilder, andererseits wäre ihm die Aufmerksamkeit zu groß. Als Autor von Kurzgeschichten schreibt er zu zudem Gastartikel für diverse Fachmagazine. Alexander Iskin erweitert sein Profil, indem er als Schauspieler und Co-Produzent im Film ,Yung‘ mitwirkt, der die Berliner Subkultur genauer beleuchtet (zum Trailer).

Mit jede Menger harter Arbeit hat sich das einstige Tischtennistalent einen Namen in der Künstlerszene gemacht, dem Mut, alles auf eine Karte gesetzt zu haben, sei Dank. Internationale Kontakte nach Miami, Los Angeles oder Dubai wurden geknüpft – seine Werke werden auf der ganzen Welt ausgestellt. Für die Zukunft hat der 30-Jährige bereits Visionen: Alexander Iskin möchte nach New York reisen und den ,Interrealismus* in der Weltstadt verbreiten. Mit Hilfe eines Stipendiums erhofft er sich, diesen Traum im kommenden Jahr verwirklichen zu können.

Richtige Entscheidung getroffen

„Und ich würde wahnsinnig gerne mal mit Timo Boll spielen. Für ihn würde ich die Kelle nochmal anrühren“, scherzt Iskin, der den Topsport weiterhin im Blick hat und genau verfolgt. „Ich bin voll der Fan geblieben.“ Alexander Iskin wagte im jungen Alter einen Schritt in ein spannendes, neues Leben. Einer, der sich gelohnt hat. Dabei hat er seine einstige große Leidenschaft von damals nie aus den Augen verloren, auch wenn er sich für ein Leben entscheiden musste. Schon sein Mallehrer sagte: „Wenn du zwei Hasen hinterherläufst, fängst du keinen.“ Ein Spruch, der auf das Leben von Alexander Iskin bestens zutrifft.

Zur Homepage von Alexander Iskin

Einen Einblick in seine Arbeit bekommen Sie im Clip der ZDF-Sendung ,aspekte'

Alle Infos zu unserer Serie ,Tischtennisspielende Multitalente'

(©Johanna Laleh von Holst)

(FKT)

 

Kommentar schreiben

Um weiterhin qualitativ hochwertige Diskussionen unter unseren Artikeln zu gewährleisten, haben wir uns dazu entschlossen, die Kommentarfunktion mit dem myTischtennis.de-Login zu verknüpfen. Wenn Sie etwas kommentieren möchten, loggen Sie sich einfach in Ihren Account ein. Die Verwendung eines Pseudonyms ist weiterhin möglich, der Account muss jedoch einer realen Person zugeordnet sein.

* Pflichtfeld

Copyright © 2024 myTischtennis GmbH. Alle Rechte vorbehalten.