Buntes

Prause: "Deutschland auch nach Boll und Ovtcharov konkurrenzfähig"

Richard Prause mit Timo Boll während der WM 2018 (©Schillings)

07.08.2018 - Acht Viertelfinals erreichten deutsche Spieler in diesem Jahr bei der Jugend-EM, daraus resultierten allerdings 'nur' zwei Bronze-Medaillen: die der deutschen Jungen im Mannschafts-Wettbewerb und die von Mike Hollo im Schüler-Einzel. Im myTischtennis-Interview spricht DTTB-Sportdirektor Richard Prause über das Turnier, die Nachwuchsförderung in Deutschland und anderen Ländern und über die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Spieler in einer Zeitrechnung nach Boll und Ovtcharov.

myTischtennis.de: Nach einem für den DTTB sehr erfolgreichen Turnier 2017 lag die Medaillenausbeute bei der Jugend-EM in diesem Jahr, mit Blick auf die Statistiken dieses Wettbewerbs seit 1955, im Mittelfeld. Zum ersten Mal seit 1983 war Deutschland in keinem Finale vertreten. Außer 2015 gewann die deutsche Auswahl in den letzten 22 Jahren immer mindestens einen Titel. Auch das war in diesem Jahr nicht der Fall. Was lief diesmal nicht so gut und wie bewerten Sie das Abschneiden der deutschen Spieler?

Richard Prause: Genauso, wie es in der Frage dargestellt ist: als eine mittelmäßige EM. Wir haben nicht alle Chancen genutzt, wir hatten uns mehr vorgenommen und hätten sicherlich gerne noch die ein oder andere Medaille mehr gewonnen. Was am Ende bleibt, ist, dass einige Matches mehr als vernünftig waren. Bei einer Jugend-EM geht es nicht nur um Medaillen, sondern um Perspektive. Ein paar Chancen haben wir trotz vorhandener Matchbällen verspielt oder haben Sätze nur mit zwei Punkten Unterschied verloren. Warum man Führungen nicht nach Hause gebracht hat, muss man sich im Einzelfall anschauen. Für uns sind Europameisterschaften keine Meisterschaften, bei denen immer nur auf Medaillen geschaut wird, sondern darauf: Wie haben sich Spieler entwickelt? Auch diese Jugend-EM hat uns ein paar wichtige Fingerzeige gegeben. Diesmal hatten andere Nationen die Nase vorn. 

myTischtennis.de: Viele Sportarten haben mit einem Rückgang an Mitgliedern zu kämpfen. Im Schnitt sind die Mitgliederzahlen bei den Kindern und Jugendlichen bis 18 Jahre im Tischtennis laut DOSB-Statistik in den 15 Jahren zwischen 2002 und 2017 um 40 % gesunken. Gab es z. B. im Jahr 2002 noch 89.998 in den Vereinen verzeichnete männliche Tischtennisspieler zwischen 7 und 14 Jahren, waren es im Jahr 2017 nur noch 60.809, also rund 32 % weniger. Der weibliche Nachwuchsbereich ist in den drei Alterskategorien sogar mit Rückgängen zwischen 40 und 48 % betroffen. Wie stark wirkt sich solch ein Rückgang auf das Niveau der Jugendspieler im Spitzenbereich aus? Fehlt es auch deshalb an großen Talenten?

Richard Prause: Je mehr Masse man hat, desto einfacher ist es, solche Talente zu finden. Wenn ich nach China schaue, dann führt die breite Masse dort auch zu einer breiten Spitze. Es gibt mehr potentielle Talente und es ist leichter, sie zu finden. Grundsätzlich ist es eine Herausforderung, Talente früh zu finden und dann auch zu halten. Es lässt sich feststellen, dass sich manche Spielerinnen und Spieler früh aus dem Sport zurückziehen. Die Zahl derer, die dauerhaft im Sport bleiben, nimmt ab. Es ist kein Zufall, dass wir in unseren Reihen einige Spieler (Franziska Schreiner, Anastasia Bondareva, Kay Stumper, Fan Bo Meng) haben, die das Gen quasi mit der Muttermilch aufgesogen haben. Die bleiben dem Sport dann auch erhalten.

myTischtennis.de: Haben andere größere Nationen mit ähnlichen Rückgängen zu kämpfen? 

Richard Prause: Ja. Es gibt andere Nationen, die auf anderer Basis noch stärker zentralisieren, z. B. Russland. In Orenburg finden Trainingseinheiten mit 60 Tischen statt. Da steckt eine unglaubliche Manpower hinter. Dem laufen wir etwas hinterher. Wir haben gute Talente, aber nicht die ganz breite Masse wie Russland, China oder vor allem Japan. Wir versuchen gemeinsam mit unseren Bundesstützpunkten verstärkt auf Schul- und Kindergartenprojekt zu setzen. Damit wird frühzeitig eine Basis geschaffen, was mitunter eine große Herausforderung ist.

myTischtennis.deDass das Schulsystem in Deutschland nicht den Trainingsumfang wie in anderen Ländern zulässt, wird als weiteres Hindernis für Erfolge im Jugendbereich ausgemacht. Hat die Verkürzung der Schulzeit für das Abitur auf 12 Jahre, die zum Teil nun wieder rückgängig gemacht wird, das Ganze spürbar noch einmal verschärft? 

Richard Prause: Das war nicht unbedingt eine hilfreiche Sache. Natürlich ist die duale Karriere insgesamt wichtig, sind die Eliteschulen des Sports wichtig. Dort kann zum Teil mehr als einmal am Tag trainiert werden. Und Tischtennis ist eine sehr trainingsintensive Sportart. Wichtig ist das frühe Sichten von Spielern, das frühe Einsteigen ins Training. Den Trainingsumfang, den ‚Zweitgenerationenspieler’ aus Tischtennis-Familien haben, als Standard zu etablieren, stellt die Herausforderung dar. Japan und China sind uns aber weiterhin ein paar Schritte voraus.

myTischtennis.de: Wie groß ist der Trainingsumfang der DTTB-Jugendlichen, die an einer Jugend-EM teilnehmen, denn im Durchschnitt? 

Richard Prause: Das lässt sich nicht pauschalisieren. In den Ferien ist die Trainingszeit natürlich größer. Wenn ein Spieler auch in der Schule gute Leistungen bringen will, dann ist zweimal tägliches Training schon eine Herausforderung. Ein Frühtraining in den Internaten findet in der Regel zwischen 7 und 8.30 Uhr statt. Eine Einheit dauert aber normalerweise mehr als 1,5 Stunden. Wenn man morgens also eine normale Einheit trainieren würde, dann müsste sich die Schule noch mehr danach richten. Jede Sportart hat unterschiedliche Bedürfnisse. Deshalb muss man sich als Tischtennisspieler an die Schule anpassen. Das zu ändern, ist ein Prozess, der angestoßen ist und teilweise schon gut funktioniert.

myTischtennis.de: Was wissen Sie über die Jugendarbeit beispielsweise in Russland und Frankreich. Wird dort gänzlich anders trainiert als in Deutschland?

Richard Prause: Das Schulsystem in Russland ist doch deutlich flexibler. Hier gibt es im Nachwuchsbereich viele Top-Athleten. Auch in Frankreich gibt es viele Spieler, die in jungen Jahren schon in anderen Ländern leben und trainieren oder dann eben schon früher auf die Karte Tischtennis setzen. Das dortige Schulsystem erscheint flexibler, den hundertprozentigen Einblick dort habe ich aber nicht. Irvin Bertrand z. B. lebt schon seit zwei Jahren in Ochsenhausen. 

Den Ansatz, den Lehrer mitzuschicken oder Skype-Unterricht für Spieler abzuhalten, wie es von manchen Ländern praktiziert wird, haben wir auch. Bis man das umsetzt, braucht es aber noch Zeit. In jedem Bundesland gibt es andere Lehrpläne, während in Frankreich alles zentral gesteuert wird.

Richard Prause auf Seite zwei über die Nachwuchsförderung in Deutschland und die internationale Wettbewerbsfähigkeit deutscher Spieler im Erwachsenenbereich

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