Buntes

Prause: "Deutschland auch nach Boll und Ovtcharov konkurrenzfähig"

Richard Prause mit Timo Boll während der WM 2018 (©Schillings)

07.08.2018 - Acht Viertelfinals erreichten deutsche Spieler in diesem Jahr bei der Jugend-EM, daraus resultierten allerdings 'nur' zwei Bronze-Medaillen: die der deutschen Jungen im Mannschafts-Wettbewerb und die von Mike Hollo im Schüler-Einzel. Im myTischtennis-Interview spricht DTTB-Sportdirektor Richard Prause über das Turnier, die Nachwuchsförderung in Deutschland und anderen Ländern und über die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Spieler in einer Zeitrechnung nach Boll und Ovtcharov.


myTischtennis.de: Gibt es Bestrebungen, den Nachteil des geringeren Trainingsumfangs gegenüber der ausländischen Konkurrenz auszugleichen?

Richard Prause: Nur die allerbesten kommen oben an, haben Chancen, aus dem Sport einen Beruf zu machen. Deshalb ist eine duale Karriere nach wie vor erstrebenswert. Die Entwicklungsphase, in der junge Spieler Fortschritte im technischen Bereich machen, läuft zur gleichen Zeit ab wie die, in der sie sich in der Schule entwickeln. Es ist kein Zufall, dass Spieler wie Benedikt Duda und Ricardo Walther etwas später den großen Schritt gemacht haben, weil sie erst dann ihr Trainingspensum erhöht haben.

myTischtennis.de: Über die 'Zweitgenerationenspieler' haben wir schon gesprochen. Die haben auch in diesem Jahr einen Teil der deutschen Jugend-EM-Teilnehmer ausgemacht. Wie bewerten Sie den Einstieg für Kinder und Jugendliche aus Nicht-Tischtennis-Familien in den Sport: Gibt es auf der untersten Ebene genug qualifizierte Trainer, die frühzeitig technisch korrekte Grundlagen legen oder findet qualifiziertes Training häufig erst auf den unteren Stützpunktebenen statt?

Richard Prause: Die Herausforderung liegt darin, dass man schon für Kinder im frühen Alter, für Fünf-, Sechs-, Siebenjährige Trainingsgruppen anbietet. Es ist so, dass eher später begonnen wird. Erstrebenswert ist es natürlich, dass man möglichst viele A-Lizenz-Trainer an der Basis hat. Der nächste Schritt soll der Leistungssportübertrag sein: Wie kriege ich schon bei einer Gruppe von Grundschülern den Leistungsgedanken mit untergebracht? Das ist etwas anderes, als wenn ich möglichst breit sichte. Es gibt die Idee der Talentscouts. Diese wird der DTTB gemeinsam mit den Verbänden noch einmal intensivieren. In der frühen Phase, in der man viel lernt, muss eine breite Basis geschaffen werden, die über eine saubere Technik verfügt. Da wird die Frage sein: Wie viel können wir unseren jungen Spielern zumuten und wie sieht so ein Training im Detail aus? Die Eltern der Zweitgenerationenspieler machen das mit ihren Schützlingen spielerisch – jeden Tag. Das auch innerhalb einer Gruppe anzustreben, wäre das Ziel.

myTischtennis.de: Wie viel Aussagekraft hat eine Jugend-Europameisterschaft mit Blick auf die internationale Wettbewerbsfähigkeit im Erwachsenenbereich? 

Richard Prause: Viele Spieler im Erwachsenenbereich haben auch schon Medaillen im Jugendbereich gewonnen. Es ist aber nicht automatisch so, dass Medaillen im Nachwuchsbereich die Garantie für eine Karriere im Damen- und Herrenbereich sind. Es ist wichtig, dass man sieht: Die jungen Spieler sind international konkurrenzfähig, taktisch und technisch gut. Wenn man noch keine Medaille gewonnen hat, aber entwicklungsfähig ist und schon ein gewisses Level erreicht hat, hat das Bedeutung, kann man eine Tischtenniskarriere ins Auge fassen. Viele, die im Jugendbereich um eine Medaille spielen, gewinnen diese nicht zwangsläufig. Wichtig ist der Fingerzeig, den man bekommt – ob ein Spieler technisch sauber ausgebildet und in der Lage ist, Tischtennis richtig zu verstehen. 

myTischtennis.de: Ist das Anspruchsdenken der deutschen Tischtennisfans vielleicht auch zu groß geworden durch die Erfolge in den letzten 10, 15 Jahren? Hat man sich zu sehr an solche Erfolge gewöhnt und nicht im Blick gehabt, dass z. B. Boll und Ovtcharov Ausnahmetalente sind und es nach ‚stärkeren’ Jahrgängen eben auch mal ‚schwächere’ gibt?  

Richard Prause: Keine Frage, es wird immer stärkere und schwächere Jahrgänge geben. Unser Anspruch ist es, immer Medaillen zu gewinnen. Tischtennis ist eine komplexe Sportart, die von vielen erst spät richtig erlernt wird. Boll und Ovtcharov sind herausragende Talente, die in diesem Fall eine Ausnahme bilden. Selbst die Jungen-Finalisten Ioannis Sgouropoulos und Truls Moregard sind noch nicht so weit, den direkten Sprung unter die Top 30 oder Top 40 der Herren zu schaffen. Natürlich haben wir uns an unsere Talente gewöhnt. Man muss aber auch im Hinterkopf behalten, dass ein Spieler ohne EM-Titel in seiner Jugendzeit, dafür aber durch harte Arbeit später trotzdem nach ganz oben kommen kann. In Deutschland haben wir den Anspruch, Medaillen zu gewinnen, wir sind dahingehend schon verwöhnt. Abgerechnet wird aber nicht am Ende des Jugendbereichs, sondern in den zwei, vier, sechs Jahren danach im Erwachsenenbereich. Dort zeigt sich dann, wohin die Entwicklung geht. Mit Boll und Ovtcharov haben wir zwei Spieler in den Top 10, das ist schon eine Ausnahmeerscheinung, das muss man zugeben.

myTischtennis.de: Wird Deutschland seine ‚Vormachtstellung’ im europäischen Tischtennis auf Dauer verlieren, wenn diese beiden den Schläger mal an den Nagel hängen sollten? 

Richard Prause: Ich bin zunächst mal nicht bange, weil wir immer wieder Spieler haben, die sich nach vorne gespielt haben und in den Top 50 bewegen. Selbst ohne Boll und Ovtcharov haben immer noch eine schlagkräftige Truppe, die sicherlich bei einer EM als Mitfavorit gehandelt würde. Das muss das Ziel auch in den weiteren Jahren sein. Es gibt verschiedene Varianten, Titel zu gewinnen: Einmal herausragende Spieler zu haben, einmal eine geschlossene Mannschaft ohne große Leistungsunterschiede zu haben. Vor Deutschland hatte Schweden in Europa die Nase vorn. Die Schweden haben sich nach einer Durststrecke wieder herangekämpft. Deutschland wird auch in den nächsten Jahren konkurrenzfähig sein, selbst nach Boll und Ovtcharov. Im Moment sind wir aber noch froh, beide im Boot zu haben.  

(DK)

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