WM 2017

Die WM hinterm Zählgerät: „Der Schiri ist immer der Böse“

Wenn Lars Czichun im Einsatz ist, kriegt er von anderen Tischen nichts mit (©Fabig)

05.07.2017 - In unseren Expertengesprächen haben wir nun schon mit einigen Persönlichkeiten gesprochen, die die WM auf der Tribüne verfolgen. Nun wollen wir jemanden zu Wort kommen lassen, der selbst an der WM teilnimmt, wenn auch nicht sportlich: Blue Badge-Schiedsrichter Lars Czichun, der uns von uneinsichtigen Stars und Schiris im Tunnel erzählt sowie von seinen ersten Eindrücken von Tomokazu Harimoto, den er voriges Jahr wegen zu lauten Jubels ermahnen musste.

myTischtennis.de: Du hast ja schon einige Weltmeisterschaften und internationale Turniere besucht. Was sind denn deine Eindrücke von der WM in Düsseldorf?

Lars Czichun: Die Organisation ist perfekt. So ein Turnier habe ich persönlich noch nicht erlebt.

myTischtennis.de: Woran machst du das fest?

Lars Czichun: Zum Beispiel sind genug Leute da, die sich um die Organisation kümmern. Der Schiedsrichtereinsatzplan, der für uns ja immer ganz wichtig ist, ist immer zeitnah da. Es gibt genug Ersatzleute, die zur Stelle sind, wenn es in der anderen Halle zu Verzögerungen kommt. Es wird viel miteinander gesprochen. Dadurch gibt es wenige Komplikationen und das Ganze ist wesentlich entspannter.

myTischtennis.de: Welche Spiele hast du selber schon gezählt?

Lars Czichun: Vorgestern habe ich zum Beispiel hier in der Haupthalle das Doppel Shibaev/Skachkov gegen Jeoung Youngsik/Lee Sangsu gezählt. Ansonsten hatte ich auch noch Emmanuel Lebesson gegen Ovidiu Ionescu und ein spannendes Siebensatzspiel zwischen Panagiotis Gionis und Wang Yang. 

myTischtennis.de: Täuscht der Eindruck, dass in den ersten Runden auffällig viele Aufschläge abgezählt wurden? Seid ihr darauf noch einmal besonders hingewiesen worden?

Lars Czichun: Nein, wir haben hier einfach ein sehr hohes Niveau, was die Schiedsrichterei angeht. Das hängt mit der Zusammenstellung der Schiris zusammen. Ein Drittel der 145 Leute sind ausländische Schiedsrichter aus 43 Nationen, ein Viertel sind deutsche Blue Badge-Schiedsrichter und der Rest setzt sich vor allem aus deutschen internationalen Schiedsrichtern zusammen. Und viele der Letzteren sind weitaus besser am Tisch als so mancher ausländischer Schiri. Deswegen ist das Niveau hier prinzipiell sehr hoch.

myTischtennis.de: Wie muss man sich einen typischen Tag für euch Schiedsrichter in den ersten Runden vorstellen?

Lars Czichun: Ich bin hier ja der einzige Heimschläfer, fahre dann um 7:30 Uhr von Zuhause los, weil ich durch den Berufsverkehr muss und um 9:30 Uhr müssen wir schon an den Tischen sein. Und dann hat man abwechselnd ein Spiel und frei - bis abends 21:00 Uhr. 

myTischtennis.de: Und geht man dann noch zusammen einen trinken? Man kennt sich ja von vielen anderen Turnieren…

Lars Czichun: An den ersten Tagen setzen sich die Europäer meistens noch zusammen - das ist wohl eher eine europäische Gepflogenheit, dass man die 30 Euro, die man am Tag bekommt, abends auf den Kopf haut. Viele ausländische Schiedsrichter, vor allem aus Asien, bleiben auf ihren Zimmern. Aber auch andere - denn so ein Tag steckt einem schon in den Knochen. Ein Spieler macht am Tag maximal zwei Spiele. Wir sitzen hier von morgens bis abends und sollen sowohl morgens um 10 Uhr als auch abends um 21 Uhr die gleiche gute Leistung abliefern. Das ist schon eine Herausforderung.

myTischtennis.de: Gab es denn bis jetzt auch schon unangenehme Momente, die dir im Gedächtnis geblieben sind?

Lars Czichun: Unangenehm wird es halt manchmal, wenn man Aufschläge abzählt. Denn der Schiedsrichter ist immer der Böse - es sind immer externe Faktoren für das eigene Versagen verantwortlich. Und das Schlimme ist für mich die Uneinsichtigkeit, die ich überhaupt nicht verstehen kann. Denn das sind ja Profis, die eigentlich wissen müssten, wie es funktioniert. Bei den ‚niederrangigen‘ Spielern ist das auch gar kein Thema. Die akzeptieren es einfach, wenn du was sagst.

myTischtennis.de: Hast du dir auch schon Spiele als Zuschauer auf der Tribüne angeschaut?

Lars Czichun: Nein. Wir sind hier ein wenig abgeschottet, haben unsere Lounge, in der wir uns zwischen unseren Einsätzen aufhalten und schon wieder aufs nächste Spiel vorbereiten. Wir haben eigentlich gar nicht die Chance, viel von dem aufzusaugen, was hier sonst noch so passiert. Die Ergebnisse kriegst du halt auf dem Bildschirm mit, aber man schaut nicht drauf, weil man interessiert ist, wie das Spiel ausgegangen ist, sondern weil man wissen will, ob die eigene Partie pünktlich beginnt. Die Schiedsrichter sind da wie die Schweiz, neutral.

myTischtennis.de: Das heißt, du drückst hier tatsächlich niemandem die Daumen?

Lars Czichun: Natürlich freut man sich, wenn ein Deutscher vorne landet, aber ich sage einfach mal: Der Beste soll gewinnen. Es gibt auch Leute, die sagen, ich verzichte gerne auf meinen Einsatz im Finale, wenn dafür Timo Boll ins Endspiel kommt. Aber da bin ich schon eher egoistisch, da wünsche ich mir mehr, dass ich das Finale zählen darf. Das heißt nicht, dass ich gegen Timo Boll wäre, nein, es soll einfach der Bessere gewinnen.

myTischtennis.de: Was sagst du denn zu Tomokazu Harimoto?

Lars Czichun: Ich habe das selbst gar nicht richtig mitbekommen, sondern erst bei Spiegel Online gelesen. Das hört sich vielleicht blöd an, aber man ist ja genau so auf seine Partien konzentriert wie die Spieler. Man kriegt einfach nicht mit, was an den anderen Tischen passiert. Ich habe ihn erst einmal gesehen, letztes Jahr in Österreich, und da haben wir ihn wegen seiner Emotionen ein wenig einzubremsen versucht, weil sein Jubel mehr als störend war.

myTischtennis.de: Ist denn zum Thema Jubel irgendwas im Regelwerk vermerkt?

Lars Czichun: Das liegt im Ermessen des Schiedsrichters am Tisch. Natürlich ist es wünschenswert, dass Emotionen gezeigt werden, aber dies halt auch in einem gewissen Rahmen. Man kann nicht die ganze Halle zusammenschreien. Aber ich weiß nicht, ob er das immer noch macht. Ich habe ihn hier, wie gesagt, noch nicht gesehen. Damals kam das ‚Cho‘ in einer Lautstärke, bei der du das Schiri zusammengezuckt bist. Wir haben ihn deswegen dann ermahnt und ihm auch eine gelbe Karte gezeigt, woraufhin er sich ungerecht behandelt fühlte. Aber wir bewerten und beurteilen ja nur. Das ist die Aufgabe des Trainers, genau wie der dafür sorgen muss, dass sein Schützling einen anständigen Aufschlag macht.

myTischtennis.de: Wer, glaubst du, wird Weltmeister?

Lars Czichun: Ich persönlich finde, dass Xu Xin der beste Spieler ist. Er verliert zwar oft intern gegen die anderen Chinesen, aber gegen andere gewinnt er meistens, während da seine Kollegen schon mal straucheln. Deswegen finde ich, wäre er mal dran.

(JS)

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