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Kilians Blog: Parallele Doppelaufschläge und Klopapier

Unter teils kuriosen Bedingungen gewannen Kilian Ort (2.v.r.) und Yuan Wan (r.) den Mixed-Titel in Nigeria (©ITTF)

23.01.2023 - Kilian Ort hat in seiner Profikarriere schon so einiges erlebt. Die Ereignisse auf seiner Reise zu den Nigeria Open 2019 brannten sich allerdings derart in sein Gedächtnis, dass er heute in seinem Blog davon berichten möchte. Und das liegt nicht nur an dem Mixed-Titel, den er dort zusammen mit Yuan Wan gewinnen konnte. In seinem Blog erklärt er, warum in Lagos beim Doppel parallele Aufschläge erlaubt waren und Robert Gardos nur mit Klopapierrolle in die Halle kam.

Spanien, Italien, Türkei oder Griechenland: Ja, das sind gängige Urlaubsziele in unseren Breiten. Die USA, die Karibischen Inseln, Ägypten oder Thailand: Okay, jetzt wird’s schon ein bisschen exotischer, aber von diesen genannten Ländern haben wir vielleicht schon so manchen Schnappschuss von der Tante oder vom besten Kumpel bekommen. Von einem Trip nach Nigeria können aber wohl die wenigsten berichten, weshalb ich euch heute mit auf meine kurze Reise in das bevölkerungsreichste Land Afrikas nehmen möchte. 

„Danger, danger, danger“

Gut zehn Tage vor dem TTBL-Start im August 2019 fand das ITTF-Challenge-Plus-Turnier in Nigerias größter Stadt Lagos statt. Einige Athleten unserer Trainingsgruppe spielten somit mit dem Gedanken, dort neben wichtigen Weltranglistenpunkten auch Spielpraxis für die kommende Saison zu sammeln. Dies war auch der Grund, weshalb sich mein - zur damaligen Zeit - neuer Teamkollege Bastian Steger entschloss, „auf den Nigeria-Zug aufzuspringen“ (O-Ton). Neben Basti gehörten auch Steffen Mengel, Yuan Wan und Anton Källberg zur „Düsseldorf-Connection“, die den Afrika-Trip in Angriff nahm. Bevor man aber den ersten Ball spielen konnte, waren nicht zu unterschätzende Hürden zu meistern. So dauerte das Erstellen des Visumantrags ungefähr eine Woche, da Größe und/oder Qualität des hochgeladenen Passbilds nicht den Anforderungen entsprach oder sonstige Angaben unsererseits als ungenügend angesehen wurden. 

Nebenbei wollten wir uns über die aktuelle Lage am Golf von Guinea informieren und nahmen die Reise- und Sicherheitshinweise zur Kenntnis, die einen nicht gerade mit einem besseren Gefühl ins Flugzeug stiegen ließen. „Auf jeder Seite, die ich gefunden habe, steht, dass, wenn man nicht unbedingt nach Nigeria muss, von der Reise absehen soll“, berichtete beispielsweise Anton Källberg. „Überall steht danger, danger, danger.“ Darüber hinaus ist eine Gelbfieber-Impfung für die Einreise verpflichtend und eine Malaria-Prophylaxe empfehlenswert, weshalb ich mit meiner Kameradin Yuan Wan beim Truppenarzt vorbeischaute. Dort angekommen warteten neben uns auch noch weitere Soldaten auf den Pieks. Bevor uns der Doktor genauer über die Impfung informierte, fragte er in die Runde, weshalb wir heute hier seien. Nachdem die Kameraden erklärt hatten, dass sie aufgrund eines Auslandseinsatzes im Mali gebraucht werden, beantworteten wir die Frage mit „wir wollen an den Nigeria Open im Tischtennis teilnehmen“. Ich denke, ich muss niemandem erzählen, dass ich mich schon einmal wohler in meiner Haut gefühlt habe als in diesem Augenblick.

‚Ungewöhnliche‘ Doppelaufschläge

Was sich allerdings noch nachhaltiger in mein Gedächtnis eingebrannt hat, war die Anreise. Während meine Düsseldorfer Kollegen über Frankfurt nach Lagos kamen, entschied ich mich, mit einer britischen Fluggesellschaft über London die Nigeria Open anzuvisieren, da die geplante Reisezeit quasi identisch war und die Kosten geringer ausfielen. Ich könnte diesen 7. August 2019 in all seinen Details darlegen, möchte es aber dabei belassen, dass ich aufgrund eines „IT system failure“ eine Nacht in Heathrow verbringen durfte und somit ca. 24 Stunden später als gedacht in Lagos eintraf. Da am Donnerstagabend bereits mein erstes Mixed mit Yuan Wan auf dem Spielplan stand, ging es für mich vom Murtula Muhammed International Airport direkt in die Halle, in der es sich bereits herumgesprochen hatte, dass es einige Komplikationen bei meiner Anreise gab, weshalb ich besonders herzlich von meinen deutschen Kollegen in Empfang genommen wurde. 

Unter dem Rhythmus nigerianischer Musik, die selbst deutsche Kartoffeln locker in der Hüfte machte, konnte ich mich noch ein paar Bälle warmspielen. Kurz darauf wartete mit Christian Ntumba Ngeleka und Cyntia Nzangani eine Paarung aus der Demokratischen Republik Kongo (so viel Demokratie steckt da gar nicht drin) auf uns. Im ersten Satz beim Stand von 1:0 aus unserer Sicht servierte die Kongolesin mitten auf die Rückhandseite unserer Tischhälfte, was uns aufgrund der Deutlichkeit ihres Aufschlagfehlers dazu veranlasste, die Hand zu heben und den Ballwechsel zu unterbrechen. Der nigerianische Schiedsrichter sah allerdings keinen Fehler der Kongolesin, was mich dazu bewegte ihn freundlich darauf hinzuweisen, dass im Doppel diagonal aufgeschlagen werden müsse. Leider nahm der Unparteiische meine Worte nicht ganz so entspannt auf und schrie „you play, I decide“ in meine Richtung. Darauf fing Yuan auch noch an zu diskutieren, was ebenfalls nicht zur Entspannung der Lage beitrug. Unsere Gegner standen uns einfach wortlos gegenüber, weshalb ich mir sagte: „Kilian, es sind die Nigeria Open, letzte 16, Mixed, erster Satz und es steht – wenn auch unberechtigterweise - 1:1, bleib ruhig.“ 

Bitte nicht nachmachen!

Es folgte eine Aktion meinerseits, für die ich keinen Fairplay-Preis mehr gewinnen werde, die aber immerhin unseren Coach Anton Källberg zum Lachen brachte. Yuan servierte beim Stand von 1:1 – also direkt nach der gerade beschriebenen Szene - ihren hochgeworfenen Rückhandaufschlag, der kurioserweise unabsichtlich ebenso auf der falschen Tischhälfte unserer Kontrahenten landete, worauf unsere Gegner den Ball zu uns hinüberschupften und den Arm hoben. Ich hole aus, versenke eine Vorhand zum Punktgewinn und rufe „Tschoo“. Liebe Kinder: Bitte nicht nachmachen! Aber meine Mutter hat mir beigebracht, dass man sich nicht alles gefallen lassen muss. Und wenn in südlicheren Breiten auch parallel aufgeschlagen werden darf, dann dürfen das auch wir. In einer bizarren Partie servierten die Kongolesen – weiterhin ohne Intervention der Schiedsrichter - noch das ein oder andere Mal auf die falsche Seite unserer Tischhälfte, weshalb ich Yuan sicherheitshalber um mehr Platz beim Return bat, um eventuell mit der Rückhand-Banane aus der Rückhand agieren zu können. In einem spielerisch unterdurchschnittlichen Match hielten wir unsere Widersacher mit 11:7, 13:11 und 11:9 nieder und kurz danach war ich einfach froh, im Hotel angekommen zu sein. 

Die offizielle Unterkunft des Ausrichters war gut, was man auch daran erkennen konnte, dass der komplette Komplex eingezäunt war. Der Unterschied zwischen Arm und Reich war frappierend, wobei der Großteil der Bevölkerung in bedürftigen Verhältnissen lebt. Besonders Kleinbusse sind auf den Straßen von Lagos sehr beliebt. Logischerweise können auf diese Weise viele Personen transportiert werden, doch hängen in Nigeria Menschen sogar halb außerhalb der Verkehrsmittel, weshalb die Anzahl der Insassen nur zu erahnen ist. Basti und Steffen berichteten mir kurz nach meiner verspäteten Ankunft, dass ihnen ein Sprinter mit der Aufschrift „Stefan Schollenberger“ zu Gesicht gekommen war. Wenn also jemand diesen Herrn kennen sollte, darf ihm ausgerichtet werden, dass, sofern sein Vehikel eine Spende oder ein normales Geschäft an einen/mit einem Nigerianer war, alles in Ordnung sei. Sollte er seinen Bus aber suchen, hätten die Detektive Steger und Mengel einen guten Tipp, wo sein Fahrzeug sein könnte. 

Mit Klopapierrolle zum Spiel

Nun aber zurück in die Halle: Verwundert nahm ich zur Kenntnis, dass wir stets mit einem Bus zum Warmspielen in die Trainingshalle gefahren wurden, obwohl sich diese nur auf der anderen Straßenseite befand. Auch wenn ich mich in den drei Tagen vor Ort nie unsicher gefühlt habe, ist die Sicherheitslage in Lagos offensichtlich eine andere als in Düsseldorf. Darüber hinaus erinnere mich noch, als wäre es gestern gewesen, wie ich in Robert Gardos’ Tasche eine Klopapierrolle vernahm und ich mich verwundert fragte, wofür er die denn braucht. Als ich erstmals in den Toilettenräumen angekommen war, ging mir ein Lichtlein auf. Der damals bereits 40-jährige Österreicher ist eben ein erfahrener Mann auf der Tour, der weiß, dass in vielen Toiletten Nigerias kein Klopapier zu finden ist. In Lagos wurde Gardos erst durch den nigerianischen Volkshelden Quadri Aruna im Finale gestoppt. Die Stimmung in der Sir Molade Okoya Thomas Indoor Sports Hall war sowieso schon herausragend, da die Zuschauer grundsätzlich durchgängig einen Mix aus Tanzen und Singen praktizieren. Doch wenn ihr Volksheld zum Schläger greift, möchte man wirklich ungern auf der anderen Seite des Tisches stehen, da der Enthusiasmus des Publikums in diesem Fall schier keine Grenzen zu kennen scheint. 

Im Einzel verlief das Turnier aus Sicht der deutschen Männer ziemlich enttäuschend, da sich Basti nach zwei Siegen über junge Nigerianer einen Infekt eingefangen hatte und im Achtelfinale nicht mehr antrat, ich im Achtelfinale chancenlos gegen Cedric Nuytinck die Segel streichen musste und Menzi (Steffen Mengel, Anm. d. Red.) nach einem Erfolg über Anton Källberg gegen Rares Sipos den Kürzeren zog, da er – wie er mir berichtete - den Schläger nicht festhalten konnte. Die Witterungsbedingungen außerhalb der Wettkampfstätte hatten auch Einfluss auf die Situation innerhalb der Halle. Besonders mit der ungewohnt hohen Luftfeuchtigkeit hatten wir zu kämpfen. Nachdem ich einem kleinen Jungen nach meinem Sieben-Satz-Erfolg über Cristian Pletea mein klitschnasses Trikot geschenkt hatte, war ich schon etwas erstaunt, als ich fünf Sekunden später sah, dass sich mein neuer Fan das T-Shirt bereits über seine eigentliche Kleidung gestreift hatte. 

Natürlich erzählt man am liebsten Geschichten, mit denen man auch etwas Positives verbindet. Es hatte sich nach meiner nervenaufreibenden Anreise doch noch gelohnt, rechtzeitig anzukommen, da Yuan und ich uns – in einem überschaubar besetzten Wettbewerb – den Titel im Mixed holen konnten. Wie viele der Aufschläge letzten Endes parallel und wie viele diagonal serviert wurden, kann ich allerdings auch nach mehrmaligem Nachdenken nicht mehr beantworten.  

(Kilian Ort)

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