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Kilians Blog: Blick ins Saison-Nähkästchen

Kilian Ort verrät, welche Gegner ihm in dieser Saison besonders positiv aufgefallen sind (©TSV Bad Königshofen)

12.04.2021 - Für Kilian Ort - und die meisten anderen Bundesligaspieler - ist die TTBL-Saison 2020/21 beendet. Grund genug für den Bad Königshöfer, die vergangene Spielzeit Revue passieren zu lassen. Anstatt aber nur die eigene Leistung zu bewerten, gewährt er uns in seinem Blog einen Blick ins Nähkästchen, verrät, welcher besondere Umstand zum Sieg gegen Saarbrücken beigetragen hat, warum seine Videoanalyse in der Quarantäne Gold wert war und wer ihn besonders überzeugt hat.

„Wie lange hat die Gothaer denn Geburtstag?“ Diese Frage unseres TSV-Fanclubs konnte mir selbst nach einer schmerzhaften Niederlage noch einen Schmunzler abgewinnen. Jeder, der die TTBL-Partien regelmäßig über den Online-Stream von sportdeutschland.tv verfolgt, kann mittlerweile das Geburtstagsständchen für die ursprünglich thüringische Versicherung ohne Texthänger mitträllern. Der durch die Corona-Beschränkungen ausgelöste Zuschauerrückgang in den Hallen um über 92% wird für ein gestiegenes Interesse vor den Bildschirmen im eigenen Wohnzimmer gesorgt haben. Nicht nur bei den insgesamt 33 gespielten Doppeln dürfte der ein oder andere Fingernagel ein Stück kürzer geworden sein. Der Tischtennissport verspricht häufig Höchstspannung, doch letztendlich schießt auch bei uns Geld Tore – also Punkte. Die großen Sensationen sind ausgeblieben. Während sich zwei Teams noch berechtigte Hoffnungen auf den Meistertitel machen dürfen, ist für den Großteil der Liga die Spielzeit 2020/2021 beendet, was ich zum Anlass nehmen möchte, um einen kleinen Saisonrückblick zu schreiben und dabei unter anderem auf zwei Spieler, denen der neutrale Zuschauer im Normalfall gerne zuschaut, näher einzugehen.

Wer stach besonders hervor?

Die diesjährige Saison musste ähnlich wie im Vorjahr möglichst schnell durchgezogen werden, da Olympia in Tokio seine Schatten vorausgeworfen hatte. Aufgrund der neu eingeführten Wechselmöglichkeit im Winter konnten zudem keine Partien der Rückrunde im Kalenderjahr 2020 ausgetragen werden, was den Terminplan von Januar bis März stark komprimierte. Dies führte so weit, dass aufgrund kurioser Umstände Mühlhausen Mitte Januar sogar vier Spiele in sieben Tagen bestreiten musste. Wohl dem, der da in guter Form ist. 

Apropos gute Form: Die hatten die Düsseldorfer quasi die ganze Saison über. Als wir die Borussen am 14. Spieltag bei uns in der Shakehands Arena begrüßen durften, hatten sie zusammengerechnet gerade mal acht Einzel verloren. Man muss neidlos anerkennen, dass der Branchenprimus seinem Status alle Ehre gemacht hat und die reguläre Saison von Anfang an dominiert hat. Einen Löwenanteil am Spaziergang in die Play-offs hatte sicherlich Anton Källberg mit einer Bilanz von 25:2 Spielen. Den Respekt, dem man ihm für eine solche Leistung entgegenbringen muss, kann man in ein paar Zeilen kaum ausdrücken. Nicht weniger stark performte Ochsenhausens Leitwolf Simon Gauzy, der dieses Jahr noch mehr Verantwortung übernehmen musste, da Hugo Calderano nur in der Hälfte aller Partien eingesetzt wurde. Ähnlich zufrieden dürften die Trainer aus dem Masters College mit der Entwicklung vom erst 18-jährigen Samuel Kulczycki sein, der nach seiner ersten TTBL-Saison eine ausgeglichene Einzelbilanz vorweisen kann und dabei schon Größen wie Quadri Aruna oder Emmanuel Lebesson in die Knie zwang. Genauso wie vom gleichaltrigen Vladimir Sidorenko (TTC Neu-Ulm) wird in Zukunft noch viel von ihm zu hören sein. 

Heimvorteil trotz fehlender Zuschauer

Vor der Saison hatten wohl viele prognostiziert, dass Düsseldorf, Saarbrücken und Ochsenhausen mehr oder weniger sicher in die Play-offs einziehen werden, was sich letztendlich auch bewahrheitete. Dagegen sollte es um Platz vier bis zum letzten Spieltag einen heißen Tanz geben, den Grünwettersbach besonders dank herausragender Leistungen von Dang Qiu und Wang Xi für sich entscheiden konnte. Zwischen den Badenern und den neuntplatzierten Mühlhäusern lagen am Ende nur vier mickrige Pünktchen. Eine derart ausgeglichene Liga hat es wohl schon seit langer Zeit nicht mehr gegeben. 

Interessant ist zudem, dass nur zwei von zwölf Mannschaften eine positive Auswärtsbilanz aufweisen können. Die Statistik belegt demnach nicht, dass der Wegfall der Zuschauer ein Nachteil für die Heimmannschaft ist. Dass sich viele Spieler im eigenen Wohnzimmer wohler fühlen, liegt häufig auch an der großen Diskrepanz der Bälle und Tische, die vom jeweiligen Ausrüster bereitgestellt werden. Dass wir kurz vor Weihnachten den amtierenden deutschen Meister aus Saarbrücken schlagen konnten, lag unter anderem daran, dass die Saarländer gerade aus Düsseldorf kamen, wo auch während der Champions-League-Bubble auf einem Stopptisch gespielt wurde. In Bad Königshofen dagegen wird seit Jahren auf einem eher rutschigen Tisch gespielt. Während man im Arag Center Court fast ein Hilfsqueue braucht, um einen kurzen Ball zu erreichen, tendieren die Bälle in unserer Halle eher dazu, halblang „rauszurutschen“. Diese Umstellung gelingt auch vielen Profis nicht immer soeben im Handumdrehen. 

Wang Xi auf Offensivtrip

Zwischendurch möchte ich noch auf zwei Spieler eingehen, deren spielerische Entwicklung auch ich als Gegner interessiert verfolge. Beginnen möchte ich mit Wang Xi, der sich in den letzten Jahren augenscheinlich viele Gedanken über sein Spielsystem gemacht hat. Sicherlich haben ihn schon immer ein gefährlicher Aufschlag und eine brachiale Vorhand ausgezeichnet. Schaut man sich allerdings im Archiv ältere Begegnungen an, erkennt man, dass er vor ein paar Jahren deutlich passiver – in Form von Rückhand-Abwehrbällen, die übrigens in der Regel sehr viel Schnitt haben – agierte. Vor unserem Heimspiel gegen Grünwettersbach befand ich mich für über eine Woche in Quarantäne. Die optimale physische Vorbereitung war demnach nicht möglich, weshalb ich mich analytisch auf alle Eventualitäten einstellen wollte. Da ich genügend Zeit hatte, schaute ich mir alle bisherigen acht Saison-Einzel von Wang Xi an und erkannte, dass er es nicht mehr zu Abwehrrallys kommen lässt. 

Ich studierte sein gewonnenes Einzel in Bergneustadt gegen Benedikt Duda und verglich es mit einer Partie aus dem Februar 2019 am selben Ort gegen denselben Gegner, die er relativ deutlich verlor. Mittlerweile versucht er, jede noch so kleine Gelegenheit zu nutzen, um zum Vorhand-Schwinger anzusetzen. Das birgt sicherlich auch Risiken für ihn, doch spürt man als Kontrahent auch einen gewissen Druck bei den eigenen Angriffsbällen. Wird man zu weich oder platziert zu schlecht, kann es jederzeit links, rechts oder auf der eigenen Wampe einschlagen. So ließ ich mich nicht von unserem Hallensprecher irritieren, der ihn als Abwehrspieler in Bad Königshofen vorstellte. Um die Abwehrbälle in meinem Spiel gegen ihn zu zählen, hätte ich wohl nicht mal alle Finger meiner linken Hand gebraucht. Warum er sein System im etwas höheren Tischtennisalter noch mal überdacht hat, weiß ich nicht genau. Ich könnte mir vorstellen, dass es für einen Defensivspieler nach unzähligen Jahren in derselben Liga schwieriger wird, die langjährigen Gegner zu überraschen. Somit gebührt demjenigen Respekt, der es trotzdem schafft. Eine 23:12-Bilanz ist ein Wort. 

Doppelspezialist mit Händchen

Alvaro Robles ist der zweite Spieler, auf den ich das Augenmerk lenken möchte. Der 29-jährige Spanier macht von außen betrachtet keine Riesen-Entwicklungssprünge, doch hat man das Gefühl, dass er sich peu à peu verbessert. Mit einem großartigen Händchen und hervorragender Athletik ausgestattet, konnte er in der vergangenen Spielzeit einige Topstars der TTBL wie Shang Kun, Mattias Falck oder Tiago Apolonia niederringen. Noch stärker als im Einzel ist er allerdings im Doppel einzuschätzen, was nicht erst seit der Silbermedaille bei der WM 2019 bekannt ist. Gemeinsam mit Ovidiu Ionescu schlug er zudem bei den China Open auch schon das Doppel Ma Long/Xu Xin – kann man mal machen. An der Kreisligaweisheit „im Doppel braucht man einen, der die Bälle verteilt (Robles) und einen, der die Punkte macht (Ionescu)“ scheint wohl etwas dran zu sein. Der Spanier ist im Doppel vor allem so stark, weil er seine Banane, die seine Gegner aufgrund ihres unangenehmen Seitschnitts stark in Bedrängnis bringt, in alle Richtungen spielen kann. Zudem bewegt er sich herausragend und erreicht deshalb sehr viele Bälle. Und als Linkshänder lässt es sich grundsätzlich sowieso einen Tick leichter Doppel spielen.

Zum Ende möchte ich noch einen kleinen Ausblick auf die kommende Spielzeit wagen. Die bisherigen Transfers deuten darauf hin, dass auch in der Saison 2021/2022 viele Teams nah beieinander liegen werden und der Kampf um den Klassenerhalt enger sein wird als er es dieses Jahr war. Da einige Mannschaften aus der zweiten Bundesliga nicht nur mit einem Auge in Richtung Oberhaus schielen, darf sich der neutrale Betrachter auf eine schon lange nicht mehr dagewesene Würze im Abstiegskampf gefasst machen. Für uns wie auch für viele andere Vereine geht es daher primär darum, sich schnell aus den unteren Tabellenregionen zu verabschieden, um ohne den ganz großen Druck durch die Saison zu kommen.

Ob es einschneidende Änderungen in punkto Spielsystem geben wird, ist derzeit nicht bekannt. Die Verkürzung des fünften Satzes – wie beim Champions-League-Turnier letzten Dezember - und auch ein „golden Point“ beim Stand von 10:10 stehen immer mal wieder zur Diskussion. Sicherlich werden sich die TTBL-Verantwortlichen ihre Gedanken machen. Lassen wir uns also überraschen, ob sich diesbezüglich etwas ändert. Eine Veränderung der Gothaer Werbung sollte bis zum Rundenstart im Spätsommer hoffentlich vollzogen sein. Zu lange Geburtstag zu feiern, ist bestimmt auch nicht gesund. ;-)

(Kilian Ort)

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