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Der Phasendrescher: Die Qual der Seitenwahl

Manchmal führen die Spieler die Wahl kurzerhand selbst durch (©Koch/Laven)

20.06.2016 - Unser Phasendrescher Philipp Hell, der - wie der Name schon sagt - die einzelnen Phasen eines Amateurspiels aus der Insiderperspektive analysiert, nähert sich mit großen Schritten dem Spielbeginn. Nach der Anreise, der Begrüßung und dem Einspielen folgt diesmal die Seitenwahl, die sowohl beim Durchführenden als auch beim Wählenden ganz unterschiedliche Formen annehmen kann. Bühne frei für unseren Phasendrescher!

Haben sich - nach einer Odyssee-artigen Anfahrt der Auswärtsmannschaft - beide Spieler endlich zur Genüge nach allen Regeln der Kunst, hochmotiviert und technisch vom Allerfeinsten eingespielt (oder auch nicht), so steht vor dem eigentlichen Spielbeginn noch die obligatorische Seitenwahl an. Gut, normalerweise handelt es sich dabei eher nur um das Losen darum, wer zuerst Aufschlag hat - denn die Seitenwahl wurde ja bereits entschieden, als sich der Schnellere und Cleverere der beiden Spieler einfach auf die bessere Plattenseite gestellt hat. 

Auch hier verschiedene Typen zu beobachten

Auch bei diesem Losen werden von den Tischtennisspielern wieder ganz verschiedene Ansätze verfolgt. Einerseits gibt es diejenigen, die darauf bestehen, dass sich der Zähler von seinem Stuhl erhebt und die Wahl durchführt. Sie wünschen sich einen gewissen offiziellen, ja sogar festlichen Rahmen für ihr Einzel. Andere wiederum haben Mitleid mit ihrem ausgepumpt auf dem Schiedsrichterstuhl hängenden Mitspieler, der offenkundig noch an seiner gerade erlittenen epischen Niederlage zu knabbern hat, und führen die Wahl umgehend selbst durch.

Bei den Durchführenden dieser Wahl kann man einige spezielle Typen beobachten: Den gelangweilten Kaugummikauer, der sich bereits einen Meter vor dem Tisch umgehend notdürftig bückt und dann seine Hände zur Wahl nur wenige Zentimeter auseinanderstreckt (zu seiner Verteidigung ist anzumerken, dass er sich dank seines beeindruckenden Bauchumfanges auch kaum näher an den Tisch stellen kann). Oder den akkuraten Wichtigtuer, welcher zunächst mehrfach die perfekte Rotation des Balles auf der Platte überprüft, bevor er beginnt – nach der Wahl verkündet er dann lautstark: „Aufschlag TSV Hinterdümpfelbach 2, erster Satz, 0:0.“ Und nicht zu vergessen den Jugendlichen, der den Ball alberner Weise zunächst sekundenlang zwischen seinen spärlich behaarten Beinen wie ein verschlagener Hütchenspieler vor einer beliebten Touristenattraktion hin- und herwandern lässt.

Aufschlag oder nicht?

Beim Wählen kommt nun wieder Tiefen-Psychologie ins Spiel: Je nach Grad des Aberglaubens des Wählenden will dieser unbedingt oder auf gar keinen Fall den ersten Aufschlag haben. Letzteres lässt sich natürlich einfach provozieren, indem man frühzeitig und äußerst bestimmt in eine Richtung deutet, bevor der die Wahl Durchführende überhaupt seine Arme in entgegengesetzte Richtungen ausgestreckt hat. Allerdings besteht hier noch die Gefahr, dass man dann den Aufschlag trotzdem anschließend „geschenkt“ bekommt - ein ganz schlechtes Omen für den weiteren Verlauf des Abends. Zu erwähnen sei hier auch noch der ausgebuffte Stratege, der sich in stundenlanger Kleinarbeit detailliert ausgerechnet hat, dass er natürlich nur dann beim Stand von 10:10 im fünften Satz Aufschlag hat, wenn er das Match eben nicht mit eigenem Aufschlag beginnt (bevor er in besagter Situation erkennen muss, dass sich wohl doch irgendwo ein kleiner Rechenfehler eingeschlichen haben muss. Mist!).

Will man jedoch unbedingt zuerst aufschlagen, so ist man schon auf die Hilfe der außen sitzenden Mitspieler und Zuschauer angewiesen, welche mit mehr oder weniger heimlichen Zeichen oder unauffälligem Hüsteln – natürlich verbotenerweise – dezente Hinweise geben können: Plötzlich fallen mehrere Bierflaschen gleichzeitig um, werden Handtücher wichtig hin- und hergewedelt, werden Stühle lautstark gerückt oder wird – aus Versehen! – der Balleimer umgeworfen.

Möge das Schicksal entscheiden

Manchem Spieler ist es aber auch schlicht und einfach egal, ob er mit Aufschlag oder Rückschlag beginnt. Er beweist dies dadurch, dass er sich die Entscheidung „links oder rechts“ von seinem Schläger abnehmen lässt: Diesen kurz mit dem Kopf auf die Mittellinie der Platte gesetzt, dann zünftig drehen lassen wie einen Kreisel und abwarten, auf welche Seite des Tisches der Griff am Ende zeigt. Es versteht sich von selbst, dass diese Form der Entscheidungsfindung nur von absoluten Gleichgültigen mit Jahrzehnte altem Schlägermaterial praktiziert wird. 

Irgendwann sind dann aber doch alle Vorbereitungen getroffen, alle Trainingsjacken ausgezogen, alle Trikotkrägen noch einmal gerichtet, der letzte Schweißtropfen vom Einspielen von der Stirn gewischt, alle wertvollen Tipps der Mitspieler eingeholt, das pinke Stirnband in Position gerückt und der allerletzte nervöse Schluck aus der Pulle genommen. Das Spiel kann beginnen.

(Philipp Hell)

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