22.05.2025 - Die Hängepartie ist vorbei: Nach langer Test- und Entwicklungsphase feiert der Videobeweis dieser Tage in Doha seine Premiere bei einer Individual-Weltmeisterschaft. Die so genannte „Table Tennis Review“ (TTR) soll mehr Fairness und Transparenz in den internationalen Tischtennissport tragen. Doch so reibungslos, wie erhofft, lief es bislang nicht immer. In seinem vierten WM-Blog teilt myTischtennis.de-Redakteur Fabian Kleintges-Topoll seine Beobachtungen und seine persönliche Meinung.
Während der Matches in der Lusail Multipurpose Hall wanderten die Blicke der Spielerinnen und Spieler immer wieder vom Tisch nach oben unter die Kuppel, wo die großen Bildschirme für die bisher wenigen Tribünengäste befestigt sind. Über Jahre hinweg wurde am bereits 2019 eingeführten TTR-System gefeilt, meine Kollegin Janina Schäbitz schrieb unlängst noch von einem „Schritt in die Zukunft“, der nun endlich zur Gegenwart werden soll. Spätestens mit dem vollumfänglichen und offiziellen Einsatz beim jüngsten World Cup in Macao und nun bei der WM in Doha ist klar: Der Videobeweis im Tischtennis ist offiziell angekommen. Endlich, möchte man sagen.
Das TTR-System – nicht zu verwechseln mit den Punkten unserer andro-Rangliste – erlaubt es den Aktiven, in kritischen Momenten strittige Entscheidungen der Schiedsrichter anzufechten.
Folgende Szenarien können überprüft werden:
Mithilfe moderner Ballverfolgungstechnologien und sofortiger Video-Wiederholungen soll das System für mehr Genauigkeit in heiklen Spielsituationen sorgen.
Fairness durch Technik?
Jedem Profi stehen für den eigenen Vorteil zwei Überprüfungen pro Match zur Verfügung. Eine erfolgreiche oder nicht eindeutige Challenge behält diese Anzahl bei, eine erfolglose verringert das Kontingent. Das erinnert stark an den Tennis-Charakter, den auch die ITTF als Vorbild betont – und spricht von einem „bedeutenden Schritt in Richtung technologische Modernisierung“. Die Ziele: mehr Fairness, Einheitlichkeit, Vertrauen und Nachvollziehbarkeit für Zuschauer und Aktive.
Als Fußball-Fan bin ich bei diesem Thema jedoch schon länger gebrandmarkt. Der VAR sollte auch dort vieles besser machen, oft aber führt er durch die Auslegungssache der Schiedsrichter zu neuen, ständigen Diskussionen, unnötigen Verzögerungen und fragwürdigen Entscheidungen. Das Ergebnis ist nicht immer gerecht.
Franziska/Kaufmann erleben Negativbeispiel
Natürlich ist der Videobeweis eine sinnvolle Innovation, und die WM ist ein willkommener Härtetest. Die Feuerprobe der verbesserten Version macht sicher Hoffnung in Sachen Präzision. Die Bewertung durch speziell geschulte TTR-Schiedsrichter, unterstützt durch mehrere Kamerawinkel und unterschiedliche Wiedergabegeschwindigkeiten, wirkt professionell und durchdacht. Es ist natürlich nicht immer leicht, sich schnell festzulegen, ob die ursprüngliche Entscheidung beibehalten oder geändert werden muss.
Es bleibt Luft nach oben. Ein Beispiel: Im Mixed-Doppel von Patrick Franziska und Annett Kaufmann gegen Simon Gauzy und Prithika Pavade reklamierten die Deutschen einen falschen Aufschlag der Franzosen. Problem: Der war allerdings laut Schiedsrichterin und TTR-Regularien nicht überprüfbar. Und das, obwohl die Szene bereits auf der Leinwand lief. Franziska brachte es frustriert und voller Unverständnis auf den Punkt: „Warum haben wir dann einen TTR?“ Die beiden versuchten vehement, die Unparteiische nach Sichtung der Bilder zu überzeugen, doch ihr waren die Hände gebunden. Ein Fall, der die Tücken des Systems aufzeigt.
Zwischen Fortschritt und Fallstricken
Solche Kontroversen wird es immer wieder geben. Klar ist: Die Technik wird nur dann ihr volles Potenzial entfalten können, wenn auch das Regelwerk und die Schulung der Schiedsrichter Schritt halten. Die Unparteiischen dürfen sich nicht auf die Technik verlassen, sondern müssen sie aktiv als Werkzeug nutzen – und dabei stets handlungsfähig bleiben. Dass genau das im Fußball nicht immer gelingt, sollte dem Tischtennissport eine Lehre sein.
Trotz aller Skepsis dürfen die positiven Aspekte nicht außer Acht gelassen werden: Der TTR ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Und wenn man die Entwicklung mit Augenmaß weiter vorantreibt, könnte der Tischtennissport am Ende wirklich als Gewinner dastehen – fairer, transparenter, besser nachvollziehbar. Ich selbst bin gespannt, wie sich das System in den kommenden Tagen in Doha – und bei künftigen Turnieren – weiter bewährt. Direkt neben dem Mediencenter in der Haupthalle gibt es übrigens ein eigenes TTR-Büro, in Anlehnung an den Fußball quasi der Kölner Keller von Katar.
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(FKT)
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