21.02.2023 - Vier deutsche Mannschaften im Champions-League-Halbfinale? Das wäre früher, als die starken russischen Teams noch mitspielen durften, kaum denkbar gewesen. Wer nun einen langweiligen, TTBL-internen Schlagabtausch befürchtete, wurde allerdings eines Besseren belehrt. myTischtennis.de-Redakteurin Janina Schäbitz blickt auf das denkbar spannende Halbfinale zwischen Düsseldorf und Neu-Ulm und macht sich Gedanken zur deutschen Klub-Übermacht.
Als ich neulich ein paar Freunden, die nicht im Tischtennis zu Hause sind, erzählte, über wen ich aktuell im Champions-League-Halbfinale berichte, erntete ich verwirrte Blicke. „Aber das ist im Tischtennis schon auch so, dass da Mannschaften aus ganz Europa gegeneinander antreten?“, wurde kritisch nachgefragt. Kein Wunder, denn eine solche Konstellation, dass alle vier Halbfinalisten in Europas Königsklasse aus demselben Land kommen, hat man in anderen Sportarten halt noch nicht so häufig gesehen. Und auch im Tischtennis war dies nicht denkbar, als Fakel Orenburg und UMMC Jekaterinburg noch mitspielen durften. Die Fokussierung auf zwei Nationen, Russland und Deutschland, deutet sich allerdings schon seit vielen Jahren an. 2016 konnte man zuletzt ein Finale zwischen zwei Mannschaften (AS Pontoise Cergy und Eslövs AI) beobachten, die nicht aus diesen beiden Ländern kommen, seitdem wurden nur noch die deutsche und die russische Fahne im Endspiel gehisst - und seit der Saison 2019/20 gilt das sogar schon für die Halbfinalpartien.
Langeweile? Fehlanzeige!
Dass mit dem kriegsbedingten Ausschluss der russischen Mannschaften Deutschland noch mehr in den Mittelpunkt rücken würde, ist also keine Überraschung. Der TTC Neu-Ulm schloss die eine Lücke mit seinem Star-Ensemble, der Post SV Mühlhausen schaffte mit glänzenden Leistungen das überraschende Halbfinal-Debüt und schloss die andere. Ich kann mir denken, dass die Begeisterung über eine rein deutsche Vorschlussrunde nicht überall in Europa geteilt wurde. Eine solche Übermacht von nur einer Nation trägt immer auch den Beigeschmack einer gewissen Langeweile mit sich, das sieht man nicht zuletzt in internationalen Turnieren, wenn das Viertel- oder Halbfinale eher einer chinesischen Meisterschaft ähnelt. Jetzt, wo die Halbfinalpartien gespielt sind, muss ich allerdings sagen: Von Langeweile war hier gar nichts zu spüren. Ganz im Gegenteil: Selten habe ich ein solch interessantes Champions-League-Halbfinale erlebt. Und das liegt, denke ich, nicht unbedingt daran, dass ich Deutsche bin.
Auch wenn sich Saarbrücken und Mühlhausen ebenfalls einen harten Kampf lieferten und die wackeren Post-SVler alles dafür taten, erneut die Überraschung zu schaffen, lag die Aufmerksamkeit vor allem auf dem Duell zwischen Düsseldorf und Neu-Ulm. Kein Wunder, denn auch ein Hollywood-Regisseur hätte sich diese Konstellation nicht besser ausdenken können: das Pokalfinale, in dem Düsseldorf vor einem Monat überraschend deutlich gegen Neu-Ulm verloren hatte, und die damit einhergehende Revanche in der Champions League; der Streit zwischen Neu-Ulm und der TTBL, der auch ein wenig in diese Begegnung hineinstrahlte, da Neu-Ulms Chef Florian Ebner kritisiert, dass Borussia-Manager Andreas Preuß im TTBL-Aufsichtsrat sitzt; und natürlich die Stars in diesen beiden Mannschaften, die allesamt zurzeit in den Top 20 der Weltrangliste zu finden sind. Der Verlauf der Spiele, die knappe Hinspiel-Entscheidung, die 2:0-Führung der Borussen im Rückspiel inklusive Matchbällen, die Entscheidung im Golden Match - all das hat sicherlich viele Tischtennisfans auch außerhalb Deutschlands auf der Stuhlkante wibbeln lassen. Spannender ging es kaum, hochklassiger ging es kaum, bessere Stimmung vor Ort ging kaum. Im Finale zwischen Düsseldorf und Saarbrücken werden es die Akteure nicht leicht haben, nahtlos daran anzuknüpfen.
Die Mischung macht’s
Und nichtsdestotrotz hoffe ich, dass die Champions-League-Endphase in Zukunft wieder etwas durchmischter sein wird. Der Vergleich zwischen den europäischen Ligen macht halt den Reiz einer Champions League aus - und nicht der Vergleich von Mannschaften, die eh in derselben Liga spielen (wobei der Fall hier noch etwas anders liegt, weil Neu-Ulm ja vornehmlich mit einer anderen Mannschaft in der TTBL antritt). Wann russische Teams wieder starten dürfen und in welcher Besetzung sie dann spielen, ist schwer vorauszusagen. Auch die Zukunft des TTC Neu-Ulm und seiner Stars ist wegen der aktuellen Debatte noch ungewiss. Wie auch immer das Ganze ausgeht - ich würde mich über ein paar andere Flaggen im Halbfinale freuen. Für die Vermarktung der Königsklasse in Europa wäre das sicherlich auch nicht verkehrt…
(JS)
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