02.08.2022 - Zugegeben: Die Frage aus der Überschrift ist zwei Jahre vor Beginn der Olympischen Spiele in Paris noch etwas verfrüht. Auf der anderen Seite veröffentlichte die ITTF vor Kurzem bereits die Qualifikationskriterien für die Spiele und baute darin ein paar neue Formulierungen ein, die myTischtennis.de-Redakteurin Janina Schäbitz zum Grübeln bringen - und bei denen auch aus Sicht der nationalen Verbände noch Klärungsbedarf besteht.
Eine Teilnahme an den Olympischen Spielen ist wohl für jeden Leistungssportler ein großes Ziel in seiner Karriere. In diesen Genuss kommen allerdings nur die Wenigsten - schließlich finden die Spiele nur alle vier Jahre statt und die Anzahl der zugelassenen Sportler pro Land ist strikt begrenzt. Im Tischtennis dürfen maximal drei Spieler pro Geschlecht und Nation an den Tisch gehen. Schaut man sich die Leistungsdichte in China an, könnten entscheidungsunfreudige Menschen leicht verzweifeln, wenn sie sich drei Olympioniken aussuchen müssten, aber auch in Deutschland könnte so jemand Probleme bekommen: Mit aktuell vier Spielern unter den besten 15 der Herren-Weltrangliste muss man nicht Adam Riese sein, um zu verstehen, dass mindestens einer, der es nach jetzigem Stand auch verdient hätte, zu Hause bleiben muss. Klare Kriterien, die man vorher festlegt und an denen sich alle orientieren können, helfen dabei, dass solch eine Entscheidung als fair wahrgenommen wird. Aber wie sind nun die neuen Kriterien zu bewerten, die die ITTF kürzlich veröffentlicht hat?
Ist die Weltrangliste ein gutes Kriterium?
In diesem Dokument stolpert man gleich über mehrere Passagen, die für die Olympischen Spiele von Tokio noch anders geregelt waren. So gibt es im Einzel und Team keine eigens darauf ausgelegten olympischen Welt-Qualifikationsturniere mehr, in denen diejenigen, die bei den kontinentalen Wettbewerben leer ausgegangen waren, noch ihren Startplatz durch den direkten Vergleich mit der Konkurrenz ergattern konnten. Stattdessen erhält die Weltrangliste eine größere Bedeutung. So sollen etwa in den Nationen, die sich für den Teamwettbewerb qualifiziert haben, automatisch die beiden Athleten einen Platz in der Mannschafts- und Einzelkonkurrenz erhalten, die in der Weltrangliste die Besten ihrer Nation sind. Im Fall Deutschlands wären das aktuell Dimitrij Ovtcharov und Patrick Franziska, die für das Team und Einzel gesetzt wären. Des Weiteren kann man aus dem Dokument herauslesen, dass die Spieler eines Mixed-Doppels, das sich einen Startplatz erspielt hat und vom Nationalen Olympischen Komitee bestätigt wurde, auch als Team-Mitglieder im Mannschaftswettbewerb geführt werden.
In meinen Augen ergeben sich hieraus zwei interessante Fragen: Wie viel Mitspracherecht haben die Verbände und Komitees jetzt noch? Könnte es im krassesten Fall passieren, dass sie gar nicht mehr darauf Einfluss nehmen können, wer zu den Olympischen Spielen fährt? Etwa wenn man den Team-Startplatz holt, die nationalen Nummern eins und zwei in der Weltrangliste sich automatisch für den Mannschafts- und Einzelwettbewerb qualifizieren und sich zum Beispiel die Nummer fünf ein persönliches Ticket für die Mixed-Konkurrenz und damit den dritten Teamplatz schnappt? Und die andere Frage, die sich mir stellt, ist, ob die Weltrangliste, die vor allem im Einzel nun eine bedeutendere Rolle spielen soll, ein gutes Kriterium darstellt. Es ist schließlich kein Geheimnis, dass das Anfang 2018 reformierte Ranking vor allem Vielspieler belohnt und einige Spitzenturniere, bei denen es die meisten Weltranglistenpunkte zu gewinnen gibt, nicht für alle zugänglich sind. Das ist vor allem für jene dramatisch, die sich gerade jenseits der ‚Grenze‘ der zu einem Grand Smash oder Champion-Turnier Eingeladenen befinden und ihre Konkurrenten tatenlos wegziehen sehen.
Am Ende entscheiden die NOKs
Bezüglich der ersten Frage konnte mich Richard Prause ein Stück weiterbringen, der sich als DTTB-Sportdirektor in solchen Dingen bestens auskennt. Er räumt zwar ein, dass man die Passagen in dem Dokument so verstehen könne, sieht aber noch einige klärungsbedürftige Formulierungen, die auch eine andere Lesart erlaubten und Fragen aufwürfen. Was passiert etwa, wenn sich zum Beispiel Timo Boll einen persönlichen Einzelstartplatz bei einem kontinentalen Qualifikationsturnier, wie den European Games, erspielt, aber als 14. der Welt nur viertbester Deutscher ist? Wer bekommt dann den zweiten Einzelstartplatz? Der zweitbeste Deutsche in der Weltrangliste, aktuell wäre das Patrick Franziska, oder Timo Boll mit seinem gewonnenen Qualifikationsturnier? Um solche und andere Fälle zu klären, haben der DTTB und andere Verbände der ITTF nun verschiedene Fragen mit der Bitte um Prüfung geschickt. Weiß man, wie die einzelnen Passagen genau gemeint sind, können dann mit dem DOSB die nationalen Nominierungskriterien erarbeitet werden, die wasserdicht sein und alle Eventualitäten abdecken sollen.
Denn was laut Prause unangetastet bleibt, ist das Nominierungsrecht der Nationalen Olympischen Komitees. Das bedeutet zum einen, dass auch andere als nur die von der ITTF aufgeführten Argumente bei der Nominierung berücksichtigt werden können. Zum anderen heißt es auch, dass ein Spieler keinen Anspruch auf eine Nominierung hat. Man denke an Matilda Ekholm zurück, die 2008 und 2012 trotz offizieller Qualifikation vom schwedischen Komitee nicht für Peking und London nominiert wurde, weil ihr nicht zugetraut wurde, einen Platz unter den besten Acht zu erreichen. Am Ende entscheidet das Nationale Olympische Komitee darüber, wer sein Land vertreten darf. Wer aufgrund der neuen Qualifikationsbestimmungen der ITTF schon Hoffnungen oder Sorge hatte, kann also erst einmal einen Gang zurückschalten. Die Frage, welcher der gerechteste Weg ist, bleibt aber dennoch spannend. Wie viel sollte durch fixe Kriterien reglementiert sein? Welche Kriterien sind dabei die fairsten? Und wie viel sollte im Ermessen der Verantwortlichen liegen? Ich denke, der Mittelweg ist wahrscheinlich auch hier der beste. Klare Kriterien sind notwendig, um gleiche Bedingungen und einen fairen Wettkampf für alle zu schaffen. Aber wenn die Verantwortlichen am Ende gar keinen Spielraum mehr haben, mitzuentscheiden, könnte es am Ende trotzdem dazu führen, dass jemand, der vielleicht die besten Medaillenchancen hat, zu Hause bleiben muss. Oder dass das bestmögliche Doppel im Teamwettbewerb nicht gebildet werden kann. So oder so ist eines klar: Gerade bei den deutschen Herren wird uns das Rennen um die Olympiastartplätze für Paris 2024 noch einiges an Spannung bringen.
(JS)
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