02.12.2021 - Die eine Woche Tischtennis-WM in Houston fühlte sich mal wieder an wie ein Monat - so viel ist in diesen sieben Tagen im George R. Brown Convention Center passiert. myTischtennis.de-Redakteurin Janina Schäbitz fasst die Ereignisse aus ihrer Sicht - und damit rein subjektiv - in alphabetischer Reihenfolge zusammen. Ihr ABC beginnt mit A wie Amerika, das alles in allem einen guten Gastgeber abgab, und endet mit Z wie Zhendong, der sich seinen ersten großen Titel redlich verdient hat.
Amerika: War alles in allem ein guter Gastgeber. Es gab organisatorische Schwierigkeiten, keine Frage. Nichtsdestotrotz haben die Amerikaner ihre ersten Tischtennis-Weltmeisterschaften ordentlich gefeiert und sie haben die Welt mit offenen Armen empfangen. Nach so vielen Weltmeisterschaften in Asien und Europa eine erfrischende Abwechslung!
Boll, Timo: War ohne große Erwartungen nach Houston gereist, aber holte nach zehn Jahren seine zweite Einzelmedaille. Und das unter großen Schmerzen. Eine Bauchmuskelzerrung machte schon das Viertelfinale zur Qual, im Halbfinale gegen Truls Moregardh war dann Schluss. Nichtsdestotrotz hätte es sogar fast noch zum Finaleinzug gereicht. Eine lebende Legende!
China: Reiste ohne Ma Long, Xu Xin und Liu Shiwen nach Houston, holte aber dennoch vier von fünf Titeln. Die neue Generation, die schon für die Olympischen Spiele 2024 aufgebaut wird, bietet allerdings noch ein paar Lücken, was in den nächsten Jahren Chancen für die Konkurrenz bedeuten könnte. Im Einzel besiegte Timo Boll Zhou Qihao, im Doppel machten Kristian Karlsson und Mattias Falck China im Alleingang einen Strich durch die Rechnung. Bei den Damen sind sie aber nach wie vor mit Abstand das Maß aller Dinge.
Damen: Hier möchte ich auf die deutschen Damen hinaus, die nicht in die Nähe der Medaillen gelangten. Das hatte zum Teil damit zu tun, dass die Losfee nicht auf ihrer Seite war. Die beiden WM-Debütantinnen Shan Xiaona und Han Ying schafften es zwar, in die dritte Runde vorzudringen, dort warteten aber gleich ein paar Spielerinnen aus China. Schade, dass es für Petrissa Solja und Nina Mittelham nicht weitergegangen ist. Gerade von der Letzteren hatte man sich nach den tollen Erfolgen der vergangenen Monate mehr erhofft als nur ein Einzel.
Essen: Eines meiner Lieblingsthemen, das natürlich in keinem WM-ABC fehlen darf. Die Journalisten wurden, wie es sich für Amerika gehört, mit den vier großen C, Coca Cola, Cookies und Chips, versorgt. Wer etwas Gesünderes haben wollte, wurde im Supermarkt in Laufweite der Halle fündig, wo man regelmäßig auch Spieler und Trainer antraf. Aber Achtung: An Thanksgiving sind die Öffnungszeiten anders. Da kann es schon mal passieren, dass man am großen Festmahltag der USA mit knurrendem Magen ins Bett geht.
Franziska, Patrick: Wird nicht zufrieden die Heimreise antreten. Man stelle sich nur vor, Moregards Kantenball im letzten Satz gegen den Schweden wäre ein paar Millimeter weitergeflogen. Wie weit hätte es gehen können?! Auch im Mixed wäre mehr drin gewesen. Aber es nützt ja nichts. Abhaken und das nächste Mal wieder neu angreifen.
George R. Brown Convention Center: Ein ungewöhnlicher Ort für eine Tischtennis-Weltmeisterschaft. Außen war kaum ablesbar, dass hinter den Mauern ein großes Sportereignis stattfand. Und drinnen erwartete einen ein Kino- oder Theatersaal mit gemütlichen Klappsesseln und guter Atmosphäre. Bei der Planung der zweiten Halle hätte man dafür sorgen müssen, dass die hinteren Tische für das Publikum besser sichtbar sind - oder zumindest die Anzeigetafeln funktionieren. Glücklicherweise fanden die entscheidenden Spiele dann ausschließlich in Halle eins statt.
Handy: Ein großes Ärgernis, das mir noch nie so negativ aufgefallen ist wie in Houston. In jedem Spiel, ja fast sogar in jedem Satz wurden Zuschauer - oft mehrfach - ermahnt, das Blitzlicht an ihren Handys auszuschalten. Was von den anderen Zuschauern an den ersten Tagen noch ruhig hingenommen wurde, löste am Ende fast schon Tumulte aus. Kein Wunder - denn dieses unabsichtliche Blenden griff in den Spielablauf ein. Die Spieler wurden in ihrer Konzentration gestört, mussten häufig ihre Aufschlagvorbereitungen abbrechen. Und als Wang Manyu im Finale gegen Sun Yingsha den Ballwechsel unterbrach, weil ihre Gegnerin geblendet wurde, wurde sie mit einem Gegenpunkt dafür bestraft. Sehr lästig auf jeden Fall - wenn das zur Regel wird, muss man sich was einfallen lassen.
ITTF: Hat ein bisschen Nachholbedarf. Vor allem die neue WTT-Webseite, auf die man nun mal angewiesen ist, um Auslosung, Ergebnisse und Ansetzungen zu finden, muss besser funktionieren. Glücklicherweise lief der Liveticker zum Ende des Turniers hin besser als am Anfang. Aber warum man zum Beispiel auf Ansetzungen manchmal bis weit in die Nacht warten muss, ist mir schleierhaft. Früher ging’s doch auch…
Japan: In Tokio noch mit einem Titel belohnt, fährt Japan von der WM in Houston mit zwei Silber- und einer Bronzemedaille nach Hause. Gerade in den ersten Einzelrunden wurden einige japanische Hoffnungen früh gestoppt, darunter auch Tomokazu Harimoto, der wohl selbst nicht damit gerechnet hatte, schon an Jakub Dyjas zu scheitern.
Korea: Hatte doppelt Grund zum Feiern. Zum einen weil mit Lim Jonghoon und Jang Woojin erstmals ein koreanisches Herrendoppel in ein WM-Finale einzog. Zum anderen weil die WM 2024 an Busan vergeben wurde. Hier hätte schon die WM 2020 stattfinden sollen, aber dann kam Corona. Eine faire Wahl!
Luxemburg: Wer hätte das gedacht? Sarah de Nutte und Ni Xia Lian machten ihr kleines Land mächtig stolz, indem sie Bronze im Damen-Doppel gewannen. Und das obwohl Ni bereits 58 Jahre alt ist. Es ist die erste ungeteilte WM-Medaille, die Luxemburg je gewinnen konnte.
Moregardh, Truls: Stach optisch mit seinem eckigen Stiga-Schläger ins Auge und sportlich durch seinen überragenden Durchmarsch bis ins Finale. Der 19-Jährige war als nicht gesetzter Spieler nach Houston gereist, besiegte einen besser platzierten Spieler nach dem nächsten, bis er von Fan Zhendong dann doch noch eine Grenze aufgezeigt bekam. Trotzdem die große Überraschung des Turniers.
Nebel: Teil der Show in Halle eins. Beim Einlaufen der Spieler wurde ordentlich Nebel in die Luft gepustet - und nicht selten hingen die Schwaden noch im Raum, als die ersten Ballwechsel gespielt wurden. Die Spieler scheint es aber nicht gestört zu haben.
Ordner: Noch nie bin ich so wenig kontrolliert worden wie bei dieser WM. Das hatte natürlich Vorteile, auf der anderen Seite gab es in der Halle auch keine sichere Pressetribüne, auf die keine Zuschauer durften. Die Folge: Bei jedem Gang in die Mixed-Zone, zur Toilette oder zum Kühlschrank musste das ganze Zeug zusammengepackt und mitgenommen werden. Kein Beinbruch, aber es erschwerte die Arbeit schon ein bisschen.
Publikum: Sehr enthusiastisch und sehr chinafreundlich. Ob es nun eingereiste Fans der chinesischen Nationalmannschaft waren oder chinesischstämmige Amerikaner: China hatte die Sympathien der Zuschauer auf jeden Fall ganz klar auf seiner Seite. Das konnten nur die Amerikaner, allen voran Viertelfinalist Kanak Jha, und einzelne Spieler wie Timo Boll durchbrechen.
Qiu und Duda: Waren wirklich knapp dran an einer WM-Medaille. Sie haben sich gegen Lin Gaoyuan und Liang Jingkun nach 0:2-Rückstand noch einmal aufgebäumt, was kaum einer mehr für möglich gehalten hätte. Wie schade, dass sie dafür nicht belohnt wurden!
Ruwen Filus: War als Ersatzmann für Dimitrij Ovtcharov nachnominiert worden, dann aber mit einer Bilanz von 12:0 ins Achtelfinale marschiert, was außer ihm nur Timo Boll vom deutschen Team gelang. Hier wäre gegen Kanak Jha prinzipiell auch mehr möglich gewesen, wenn Filus besser ins Spiel gefunden hätte. Alles in allem eine starke Leistung und schön, dass es zwei Abwehrspieler unter die besten 16 geschafft haben!
Schweden: Ist endgültig zurück. Mit Truls Moregardh und Kristian Karlsson/Mattias Falck haben die Skandinavier alte Höhen zurückerobert, die mit der Ära rund um Jan-Ove Waldner und Jörgen Persson erst mal zurückgelassen werden mussten. Außerdem schlummert Anton Källberg noch in der Hinterhand, der nur knapp in der zweiten Runde an Lin Gaoyuan scheiterte, aber vielleicht sogar ihr gefährlichster Spieler ist. Auf Schweden muss man künftig noch mehr aufpassen.
Table Tennis: In besagtem Supermarkt, wo die WM-Gäste ein und aus gingen, hat das Personal in der letzten Woche eine wichtige Lektion gelernt: Das ist kein „Ping Pong“, was die da spielen, das ist „Table Tennis“. In den USA ist der professionelle Charakter dieser Sportart, die man auch ganz wunderbar im Park und auf Spielplätzen betreiben kann, noch nicht ganz angekommen. Vielleicht hat ja die WM im eigenen Land ein bisschen dazu beigetragen, dass das in Zukunft anders ist.
US-China-Mixed: Ein Akt der Freundschaft, ein Revival der Ping-Pong-Diplomatie oder einfach ein Werbe-Gag. Auf jeden Fall eine schöne Möglichkeit, die Amerikaner möglichst lange im Wettbewerb zu halten und so auch die nationale Aufmerksamkeit auf Tischtennis zu lenken. Am Ende sprang für Lily Zhang und Lin Gaoyuan sogar eine Medaille heraus.
Virus: Wenn man es mit der aktuellen Situation in Deutschland vergleicht, war von Corona in den USA nur wenig zu spüren. Für doppelt Geimpfte war das Masketragen in vielen Bereichen nur optional, von einer Bubble wie in Tokio war man weit entfernt. Erst als Wang Yang als Kontaktperson eines positiv Getesteten nicht zu seinem Spiel gegen Timo Boll antreten konnte, spielte auch das Virus in Houston eine Rolle.
Wang Manyu: Hat ihr erstes WM-Einzelgold - und wird diesen Triumph möglicherweise auch noch ein paar Mal wiederholen können. Sie gehört zum Nachwuchs des chinesischen Teams, hat ihre ärgsten Konkurrentinnen, Chen Meng und Sun Yingsha, aber nun schon mehrfach geschlagen, wenn es darauf ankam. So auch in Houston. Ihren Namen wird man sich merken müssen.
Xiaomi: Bei meinem Handy hörte die amerikanisch-chinesische Freundschaft leider auf. Kein einziges Mal hat sich das chinesische Produkt mit dem amerikanischen WLAN in der Halle verbunden. Ein unfreiwilliges, aber gar nicht so schlechtes Smartphone-Detox.
Yingsha, Sun: Zweimal Gold, einmal Silber - damit ist Sun die erfolgreichste Spielerin dieser WM. Den Chinesen muss nicht bange werden, wenn sie in ihre Zukunft schauen. Gerade bei den Damen haben sie einige junge, heiße Eisen im Feuer.
Zhendong, Fan: Auf seinen Schultern lastete am Ende die ganze Verantwortung, ein gutes Ergebnis für das chinesische Herrenteam zu erzielen, nachdem man es im Doppel noch nicht einmal bis ins Finale geschafft hatte. In Houston hatte er fast die gesamte nationale Konkurrenz in seiner Hälfte und ging nach Siegen gegen Wang Chuqin, Lin Gaoyuan und Liang Jingkun als bester Vertreter Chinas ins Endspiel. Fan war zuvor fast immer an Ma Long gescheitert, wenn es um die großen Titel ging. Diesmal holte er sich in dessen Abwesenheit verdientermaßen seinen ersten wichtigen Titel ab und hielt dem Druck stand.
(JS)
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