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WM-Blog: Schöne Show, aber organisatorische Mängel

In Halle zwei sind die Spiele an den hinteren Tischen von den Rängen aus kaum zu verfolgen (©Schäbitz)

25.11.2021 - Die erste Tischtennis-WM in den USA - das weckt Erwartungen oder macht zumindest neugierig, wie die Amerikaner eine solche Veranstaltung im Vergleich zu ihren europäischen und asiatischen Vorgängern angehen. Nach zwei Turniertagen kann myTischtennis.de-Redakteurin Janina Schäbitz sagen: schöne Ideen, nettes Spektakel, aber leider ein paar nicht unerhebliche Defizite in Sachen Organisation. Lassen sich diese in den kommenden Tagen noch fixen?

Blau, rot und weiß - die amerikanischen Farben sind im George R. Brown Convention Center allgegenwärtig. Der American Dream ist nun auch im Tischtennissport angekommen, zum ersten Mal in der Geschichte der Sportart findet eine Weltmeisterschaft auf amerikanischem Boden statt. Was bedeutet das für die Veranstaltung? Was machen die US-Amerikaner anders als die Europäer und Asiaten?

Spieler wohnen fast in der Halle

Der erste Eindruck, wenn man ins George R. Brown Convention Center kommt, ist positiv. Die Halle ist direkt in Houston Downtown, mitten zwischen den vielen Wolkenkratzern, während die Weltmeisterschaften in anderen Ländern oft eher am Rand der jeweiligen Stadt stattfanden. Die Wege sind vor allem für die Sportler ein Traum: Zum Spielerhotel gibt es von der Halle aus einen überdachten Brückenübergang - wer nicht will, muss also noch nicht einmal einen Fuß vor die Tür setzen, um zwischen Bett und Tisch hin und her zu laufen. Das war in anderen Städten oft ganz anders - man erinnere sich nur an die Olympischen Spiele in Tokio, wo die Spieler am Tag mehrere lange Busfahrten auf sich nehmen mussten. Nichtsdestotrotz fehlt etwas, wenn man vor dem Center steht: irgendein prominenter Hinweis auf die Tischtennis-WM. Wer sich nicht anderweitig informiert hat, wird nicht wissen, was sich hinter den Mauern abspielt.

Ein großer Unterschied zu früheren Weltmeisterschaften ist, dass in der Haupthalle von Anfang an nur ein Tisch steht. Während es in der zweiten Halle das normale, geschäftige Gewusel zwischen neun oder inzwischen sieben Tischen gibt, fühlt man sich in der Haupthalle ein bisschen wie im Theater. Ich war noch nie im Londoner Ally Pally, wo alljährlich die Clickball-WM stattfindet, aber so ähnlich stelle ich es mir dort vor. Die Sitze ähneln Kinosesseln, der Center Court ist von drei Seiten von Tribünen umgeben, die bis auf die Ebene des Tisches herunterreichen. In der Luft liegt Nebel, der Ansager bittet die Spieler wie ein Box-Ringrichter an die Tische, die Stimmung ist schon bei halb gefüllten Rängen überragend. Eine sehr intime, spezielle Atmosphäre, die man im Tischtennis bisher auf diese Weise noch nicht so häufig gesehen hat. Die Spieler haben freilich öfter mal ein paar Umstellungsprobleme, wenn sie von der zweiten Halle in die erste wechseln. In dieser Halle ist halt einfach vieles anders als sonst.

Die Jagd nach dem Spielstand

Als Journalist hätte man sich eine Sache, die sonst eine Selbstverständlichkeit ist, allerdings doch gewünscht: Sitze mit Tisch und Stromanschluss, die schon helfen, wenn man den ganzen Tag auf der Tribüne verbringt und zum Beispiel tickern will. Auch wäre es von Vorteil, wenn man nicht mit Laptop und Notizbuch herumjonglieren muss, wenn gerade einer der Zuschauer, zwischen denen man zumindest in der zweiten Halle sitzt, vorbei will. Doch wenn es nur das wäre, würde ich mich nicht beschweren. Die Mängel beginnen allerdings schon bei sehr viel ursprünglicheren Dingen, die viel entscheidendere Auswirkungen haben. Das größte Problem für mich: die Wahrnehmbarkeit der hinteren Tische in Halle zwei. In dieser Halle sind zwei Tribünen über Eck aufgebaut. Das heißt, wenn jemand am gegenüberliegenden Tisch spielt, hat man große Schwierigkeiten, das Match zu verfolgen. Halb so schlimm, sollte man meinen. Es gibt doch schließlich Anzeigetafeln. Theoretisch ja, aber diese funktionieren, wenn man Glück hat, höchstens für die ersten sieben Punkte, dann frieren sie ein und die Schiris packen seufzend das manuelle Zählgerät aus. Das kann man nun aber, je nach dem, in welchem Winkel man sitzt, beim besten Willen nicht von der Tribüne aus erkennen. Manch einer würde jetzt sagen: Kein Problem, dann schau ich einfach parallel auf der World-Table-Tennis-Webseite die Spielstände nach. Aber Fehlanzeige! Auch hier bricht das System regelmäßig zusammen, manche Spiele erscheinen gar nicht erst im „Live“-Bereich. Muss ich noch die YouTube-Übertragung der ITTF erwähnen? Sie können es sich denken: Auch hier macht der Stream - zumindest bei den kostenlos empfangbaren Tischen - schon mal gerne früher Feierabend.

Was ist also die Folge? An diesen Tischen finden teils hochklassige Spiele - überspitzt gesagt - quasi unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Gestern konnte man etwa Han Yings oder Patrick Franziskas schöne Ballwechsel verfolgen - aber in welcher Spielsituation sie sich gerade befanden, war für einen Zuschauer und auch für einen Journalisten nicht herauszufinden. Das ist bei einer WM ein absolutes Unding, hierbei handelt es sich um das kleine Ein-Mal-Eins. Es gibt immer Tische, auf denen ein besonderes Augenmerk liegt, wo TV Tokio und Co ihre Kameras drum herum aufbauen und die auch von der Tribüne aus bestens einsehbar sind. Aber es kann nicht sein, dass das auf Kosten der anderen Tische geht, an denen Sportler spielen, die es ebenso verdient haben, dass man sie wahrnimmt und mit ihnen mitfiebert. Das Problem wird sich im Laufe der kommenden Tage von selbst lösen, weil sich das Geschehen irgendwann auf die Haupthalle beschränken wird. Bis dahin muss man wohl über den Kauf eines Fernglases nachdenken.

(JS)

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