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Janinas Blog: Mehr Mut zu weniger Regeln

Auf einem riesigen Parkplatz in der Bucht von Tokio treffen die Hotelbusse und die Hallenbusse aufeinander (©Schäbitz)

01.08.2021 - Die erste Hälfte der Olympischen Spiele in Tokio ist vorbei und Redakteurin Janina Schäbitz schaut sich zum Bergfest einmal die Organisation des Großevents an. Ohne Zweifel wurde an alles gedacht, jeder Ablauf bis ins kleinste Detail organisiert. In der Praxis zeigt sich bloß langsam, dass viele Dinge vielleicht sogar ein bisschen zu durchorganisiert sind. In ihrem Blog beschreibt Schäbitz, welche Regeln und Pflichten täglich zu erfüllen sind.

Die erste Woche ist vorbei - und es ist schon so viel passiert, dass ich eher das Gefühl habe, schon einen Monat in Tokio zu sein. Das Bergfest ist jedenfalls eine gute Gelegenheit, einmal ein Auge auf die Organisation der Olympischen Spiele - oder zumindest der Tischtenniswettbewerbe - zu werfen. Und da bleibt mir nur zu sagen: Organisieren können die Japaner! Wirklich alles ist irgendwie geregelt und an irgendeiner Stelle nachzulesen. Und falls man gerade mal nicht Bescheid weiß, wie der Hase läuft, steht sofort ein Volunteer bereit, um einem weiterzuhelfen. Zudem wurden wir ja auch bereits im Vorfeld gut darauf vorbereitet, was uns hier erwartet, indem wir schon Monate vor Beginn der Spiele mit Regeln, Vorschriften und Hinweisen, was passiert, wenn man sich nicht daran hält, förmlich überschüttet wurden. Und so gibt es täglich eine Menge, woran man denken muss, damit man nicht nachher keinen Zutritt zur Halle bekommt oder Schlimmeres. Ich habe mir dafür eine Liste erstellt, in der ich täglich meine Pflichten abhake. Sonst würde ich das eine oder andere neben den Dingen, die direkt mit meiner Arbeit hier zu tun haben und die ich ja auch noch im Kopf habe, schlicht vergessen. Nur, um mal einen Eindruck zu bekommen: An jedem Tag müssen in einer App die Körpertemperatur eingetragen und Fragen zum allgemeinen Gesundheitszustand beantwortet werden. Dann muss man sich für jede Session in der Halle (meistens ist der Tag in drei Sessions aufgeteilt) bis 16 Uhr des Vortags in einem Buchungssystem beworben haben. Außerdem stehen alle paar Tage Coronatests an, die man bis spätestens 19 Uhr eingereicht haben muss. Was passiert, wenn man davon tatsächlich einmal was vergisst, kann ich nicht beantworten - ich habe es noch nicht ausprobiert. ;-)

Nicht jede Regel macht auch Sinn

In der Halle geht es dann weiter: Nach dem erneuten Fiebermessen und Sicherheitscheck trägt man sich für alle Sessions, die man gebucht hat, mit seiner Telefonnummer in eine Liste ein. Dann sucht man sich für die erste Session einen Platz auf der Pressetribüne aus, den man aber 30 Minuten vor jeder weiteren Session wieder neu erobern muss. Und wenn es eine besonders beliebte Session ist, zieht man vorher ein Los mit einer Nummer, die bestimmt, welchen Platz in der Schlange man einnehmen darf, um sich später seinen Platz auszusuchen. Also, wie gesagt: Alles ist hier geregelt. Das Problem an der Sache ist bloß die Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis, beziehungsweise die Sinnhaftigkeit so mancher Regel. Eben zum Beispiel wurde ein slowenischer Journalist neben mir von der Tribüne verjagt. Das war in der Theorie auch genau richtig, denn er konnte kein Platzkärtchen vorzeigen. In der Praxis war es aber völlig überzogen, weil außer mir vielleicht noch zehn weitere Journalisten auf der riesigen Tribüne sitzen. Heißt: Er hat hier nun wirklich niemandem den Platz weggenommen. 

Oder nehmen wir die unterschiedlichen Sitzplatzkategorien auf der Tribüne. Es gibt einfache Sitze, Sitze mit Tisch und Sitze mit Tisch und Monitor, auf dem man sich zum Beispiel noch mal Zeitlupen anschauen kann. Jedoch braucht man eigentlich nicht für jedes Spiel denselben Komfort. Manchmal schaut man sich ein Spiel auch nur aus Interesse an, ohne dass man einen Laptop vor sich benötigt. Und ich benutze den Monitor, der hier gerade vor mir steht, so gut wie nie, weil wir eh so nah am Spielfeld sitzen, dass ich auch so alles mitbekomme. Flexibel zu agieren und einem anderen Kollegen bei einem für einen selbst unwichtigen Spiel den Vortritt zu lassen oder von einer Session zur nächsten am selben Tisch sitzenzubleiben, damit man nicht komplett umbauen muss, ist aber in diesem System eher schwierig. Und so hat man den Eindruck, die Regeln machen die Sache in vielen Fällen unnötig kompliziert.

Zwei Stunden Busfahrt für 2,5 Kilometer

Unnötig kompliziert wird es auch beim Transport, wenn man sich an die Regeln hält. In den ersten 14 Tagen unseres Aufenthalts dürfen wir uns nicht frei bewegen und nur offizielle Olympiafahrzeuge benutzen. Das können Shuttle-Busse sein, die man frei nutzen darf, oder Taxis, für die man zu Beginn der Spiele 14 Voucher bekommen hat und die man vorher bestellt. Mein Hotel ist 30 Minuten Fußweg von der Tischtennishalle entfernt. Zu Fuß darf ich aber offiziell nicht laufen. Die Taxen sind eine super Option, jedoch bin ich nun schon einige Mal in der Taxizentrale abgeblitzt, weil alle Fahrzeuge ausgebucht waren. Bleibt noch der Bus, der auch sehr komfortabel ist, weil es dort meistens funktionierendes WLAN gibt und man so wunderbar noch ein wenig arbeiten kann. Jedoch gibt es keine direkten Verbindungen zwischen Hotels und Hallen, sondern alle Busse treffen sich auf einem zentralen Parkplatz in der Bucht von Tokio, wo man dann von einem Hallenbus in einen Hotelbus steigen muss - oder umgekehrt. Das führt in meinem Fall dazu, dass ich einen riesigen Zacken fahre und etwa zwei Stunden unterwegs bin, obwohl ich zu Fuß in 30 Minuten und mit der Straßenbahn in fünf Minuten am Ziel wäre. Vor ein Uhr nachts bin ich daher nie im Hotel.

Und so wünscht man sich manchmal, dass ein paar Regeln, die in der Theorie sicher sinnvoll erschienen sind, sich in der Praxis aber als unnötig oder unzweckmäßig erwiesen haben, noch mal überdacht würden. Beim Zugang zur Mixed-Zone ist das zum Beispiel schon passiert. Ursprünglich sollte man sich auch hierfür Tag für Tag eine Eintrittskarte beschaffen müssen. Das wurde am ersten Turniertag auch so gehandhabt, dann wurde die Regel aber ad acta gelegt. Also, mehr Mut zu weniger Regeln. Dass gerade wegen Corona eine Menge Vorschriften nötig sind, sehe ich völlig ein und halte ich auch für sinnvoll. Ich bin mir aber auch ganz sicher, dass wir uns, wie bei jedem anderen Turnier auch, im Kampf um Sitzplätze auf der Tribüne nicht die Köpfe einschlagen würden.

(JS)

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