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Jans Blog: Wen interessiert schon der Spitzensport?

Fiebern Sie mit, wenn sich die Besten der Welt messen? (©Stosik)

30.05.2016 - Interessieren Sie sich eigentlich dafür, wie die deutschen Nationalspieler auf den diversen World Tour-Turnieren abschneiden? Oder setzen Sie sich am Wochenende vor Ihren Rechner, um die Live-Übertragung des TTBL-Spieltags zu verfolgen? Unser freier Redakteur Jan Lüke hat das Gefühl, dass die Menge der Spitzensport-Interessierten im Tischtennis ziemlich klein ist - obwohl es doch genug Spieler gibt, die für diesen Sport brennen.

Es laufen derzeit die spannendsten Wochen des Sportjahres. Erst wurde der Deutsche Meister gekürt. Dann am vergangenen Wochenende der Sieger der Champions League. Schließlich geht es fast nahtlos mit der Nationalmannschaft weiter zum Saisonhöhepunkt. Ähm, hat irgendwer da gerade etwa an Fußball gedacht? Tatsächlich an den FC Bayern, Real Madrid und die Uefa Euro 2016 in Frankreich gedacht? Nicht doch! Tischtennis! Wir sind hier doch beim Tischtennis! Das sind wir doch, oder? Manchmal bin ich mir da gar nicht so sicher…

Gestörtes Verhältnis zum Spitzensport

Es mag ein bisweilen subjektiver Eindruck sein, der mich da beschleicht, allerdings ist es auch einer, der sich zumindest mir in den vergangenen Jahren zunehmend regelmäßiger und nachhaltiger aufgedrängt hat. Und obendrein eben einer, der gerade in den Wochen, in denen die vermeintlich wichtigen und großen Entscheidungen unserer Sportart, also Tischtennis jetzt, anstehen, besonders augenscheinlich wird. Nämlich der, dass das Interesse der Tischtennisspieler am Tischtennis gar nicht so sonderlich ausgeprägt ist. Jetzt gilt es natürlich, zu spezifizieren und zu differenzieren: Was ich meine, ist das Verhältnis der Tischtennis-Basis zu ihrem eigenen Spitzensport. Das scheint in nicht wenigen Fällen irgendwie gestört – oder bisweilen noch nicht einmal vorhanden. Der Masse der Aktiven, die Trainingsabend für Trainingsabend und Wochenende für Wochenende in die Tischtennishalle pilgert, so der Eindruck, schert sich nicht sonderlich um die Besten der Tischtenniszunft.

Ein paar Beispiele zum Selbsttest gefällig? Gerne doch. Die beiden Champions-League-Finalisten bei den Herren hießen in dieser Spielzeit noch gleich wie? Oder die amtierenden Europameister im Doppel? Auch gerade nicht parat? Die Aufstellung des FC Saarbrücken oder des TTC Grenzau in der TTBL sind aber doch sicherlich bekannt? Auch nicht? Alles halb so wild. Schließlich geht das bei den Allermeisten als echtes Expertenwissen durch – und zwar nicht außerhalb, sondern auch schon innerhalb der Tischtennis-Gemeinde. Ich würde – zugegeben: ohne belastbare Daten – behaupten, dass den Otto-Normal-Kreisligaspieler solche Ergebnisse und Ereignisse mittlerweile oftmals allerhöchstens am Rande tangieren. Was nicht per se als Desinteresse an der gesamten Sportart zu verstehen ist. Ganz im Gegenteil. Die meisten Aktiven lieben nicht nur ihren Sport, leben mit Begeisterung die Punktspiele ihrer Mannschaft oder ihre Turniersaison, gehen in ihrem Vereinsleben auf, sie studieren auch Bilanzen und TTR-Werte. Nur das Tischtennis ganz oben findet nicht selten ohne ihre Aufmerksamkeit statt. Sowohl medial als in auch in persona. Das mag selbstredend nicht in allen Fällen stimmen. Natürlich hat Tischtennis auch in vorderster Front seine Anhänger. Das ist gar keine Frage. Sie scheinen aber, im Verhältnis zu einer noch immer sehr breiten und personenstarken Basis, doch eher die echte Ausnahme zu sein.

Weit entfernt vom Publikumsmagneten

Das ist auch erst einmal eine Einschätzung fernab jedweder Kritik in irgendeine erdenkliche Richtung. Sondern eine bloße Feststellung. Aber es scheint dennoch ein Phänomen zu sein, das im Tischtennis dieser Tage deutlich präsenter ist als in anderen Sportarten. Es gibt nicht wenige TTBL-Spiele, die – und das bei, nennen wir es, recht wohlwollend geführten Zuschauerstatistiken – vor einer sehr, sehr niedrigen dreistelligen Anzahl an Zuschauern stattfinden. Die Deutschen Meisterschaften im Einzel sind weit entfernt davon, ein Publikumsmagnet zu sein. Und jemanden, der zu Europa- und Weltmeisterschaften reist, wenn die nicht gerade im eigenen Land stattfinden, trifft man doch auch höchst selten. Es braucht schon ein Großereignis, wie die überragend durchgeführte Mannschafts-WM 2012 in Dortmund eines war, um die Tischtennis-Community in die Halle oder vor die Bildschirme zu kriegen. Auch wenn es nicht um Live-Sport geht, sieht das Ganze nämlich nicht unbedingt anders aus: Ich kenne jedenfalls deutlich mehr Tischtennisspieler, die die erste Elf diverser Fußball-Bundesligisten sicherer runterbeten können, als die Aufstellung eines beliebigen TTBL-Teams zusammenbekommen, und die sich lieber Handball oder Biathlon im Fernsehen anschauen als Tischtennis im Netz.

Das verwundert. Tischtennis ist eine Sportart, deren Funktionäre sich nicht selten über das Nischendasein der Sportart mokieren. Deren Fürsprecher nach mehr Medienpräsenz und öffentlicher Aufmerksamkeit streben. Deren Verantwortliche sich gerne ein kleines Stück oder zumindest einen Krümel vom vergoldeten Fußball-Kuchen abzwacken möchten. Das alles ist verständlich. Es gibt viele und viele gute Gründe, aus denen sich Tischtennis mehr von alledem verdient hätte. In diesem Kontext aber ist es durchaus bemerkenswert, dass Tischtennis dafür zuallererst die eigenen Reihen wird mobilisieren müssen. Die Frage, wie das bestmöglich gelingen kann, hat zweifelsohne mehr als eine Antwort – und auch damit zu tun, wie es zu dieser bisweilen misslichen Lage gekommen ist. Eine Konstanz im Regelwerk wird dafür eine Rolle spielen. Im Mannschaftssport sicherlich auch eine Annäherung von Spielsystemen und Mannschaftsstärken. Vielleicht auch mehr Transparenz in Sachen ‚Material‘. Ansatzpunkte gibt es viele. Was bei allen Gedankengängen aber mitbedacht werden sollte, sind die Bestrebungen, die weiterhin große Tischtennis-Gemeinschaft wieder vermehrt abzuholen, einzusammeln und bei der Hand zu nehmen, um den Rückhalt aus den eigenen Reihen zu stärken.

Und übrigens: Im Champions-League-Finale der Männer stand gestern unter anderem Eslövs AI Bordtennis. Eslöv liegt in Südschweden – und spricht sich, wie man’s schreibt.

(Jan Lüke)

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