Mit den zurzeit verfügbaren Mitteln lässt sich Tuning nicht hundertprozentig nachweisen (©Roscher)
14.03.2016 - Das Thema Tuning streift dank Timo Boll schon seit Wochen durch die Tischtennisszene. Im Rahmen der WM haben uns bereits DTTB-Präsident Michael Geiger und ITTF-Chef Thomas Weikert ihre Meinung zum Thema nahegebracht, jetzt meldet sich auch unser freier Redakteur Jan Lüke zu Wort, um die Dinge mal aus seiner Sicht zu beleuchten. Denn für ihn ist ganz klar: Man hat damals bei der Einführung der Regel zum Behandeln von Belägen einfach nicht weit genug gedacht.
Selten hatte in der jüngsten Vergangenheit ein Ereignis innerhalb der Tischtennis-Gemeinschaft derart hohe Wellen geschlagen. Deutschlands Vorzeigespieler Timo Boll gab im Februar der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ein vielbeachtetes Interview, in dem er – neben anderen Problemen – einen wunden Punkt der Regeln und ihrer Einhaltung ins Licht der Öffentlichkeit zerrte: das Behandeln oder Nachbehandeln von Belägen. Nicht, dass Boll hier ausplauderte, was vor ihm noch niemand wusste. Aber es war ja genau das: Es kam diesmal von Timo Boll, der beileibe nicht berühmt und berüchtigt dafür ist, verbal aus der Deckung zu gehen.
Das ist mal eine Ansage!
Diesmal aber schoss Boll mit offenem Visier, wenngleich ohne Namen zu nennen. 80 Prozent der Schläger auf der Tour, so zumindest Bolls Schätzung, entsprächen nicht dem Regelwerk. Womit sein Zwischenfazit ziemlich harsch ausfiel: „Jeder, der sich an die Regeln hält, wird klar benachteiligt.“ Das ist schon mal eine Ansage! Ob die Lesart nun die sein sollte, dass es Boll mit seiner Stellungnahme eher auf die Regelmacher- und Regelhüter der Verbände oder auf seine umtriebigen Kollegen abgesehen hatte, sei mal dahingestellt. Die Wahrheit liegt vermutlich irgendwo in der Mitte. Aber natürlich steckte in Bolls Aussagen der Zwischenton: Ich halte mich an die Regeln und bin dabei der Dumme.
Auch ich finde: Es sollte sich etwas ändern! Aber sind neue Schlägertestverfahren, die jetzt diskutiert werden, das Allheilmittel für diese Problematik? Sind Aktive das Problem, die sich nicht an das Reglement ihrer Sportart halten wollen? Oder ist es vielmehr – und obendrein: wieder einmal – eine schlecht durchdachte Regel bzw. Regeländerung, die ihrer Sportart auf die Füße fällt? Ganz klar Letzteres!
Was war der ursprüngliche Sinn der Regel?
Ein kurzer Blick zurück: Seit dem 1. September 2008 ist der Einsatz von lösungsmittelhaltigen Klebern verboten. Die vorwiegende Begründung des Weltverbands war die, dass die Lösungsmittel in den Klebern nachgewiesenermaßen gesundheitsschädlich, etwa für die Lungenfunktion, und obendrein potenziell suchtgefährdend seien. Daran schloss ein weiteres Problem an, das in der Agenda des Internationalen Olympischen Komitees verankert war, nach der Sport der Erhaltung der Gesundheit dienen solle. Kurzum: Der Tischtennis-Weltverband wäre über kurz oder lang Gefahr gelaufen, dass Tischtennis den Status als olympische Sportart verliert. Schlimmer könnte es nicht kommen! Es war Aktionismus gefragt, der in folgendem Passus des Regelwerks mündete: „Das Belagmaterial muss ohne irgendeine physikalische, chemische oder sonstige Behandlung verwendet werden.“ Zu finden in Passus 4.7 der Internationalen Tischtennisregeln. Tja, auf den ersten Blick ergibt das ja Sinn. Lösungsmittelhaltige Stoffe verändern als physikalische, chemische oder sonstige Behandlung die Spieleigenschaften des Materials. Und um die geht es ja. „Veränderung der Spieleigenschaften im Sinne der Regeln“ heißt das dann immer so schön. Aber muss man nicht erst mal die Frage stellen: Was ist denn der Sinn der Regeln?
Der Sinn der Regel war es ursprünglich, der Sportart ihr gesundheitsgefährdendes Moment zu nehmen. Lösungsmittel mussten also – und das vollkommen zu Recht – raus aus den Hallen und den Schlägern. Dazu gleich mehr. Was aber bezweckt der Rest der Regel? Und: Wieso stellt man eine Regel auf, bei der der Nachweis eines Regelbruchs in etlichen Fällen schlichtweg nicht zu erbringen ist? Mir ist das zumindest unbegreiflich.
Nett gedacht, aber nicht nett gemacht
Mal einige Beispiele an Fragen, für die es etliche Ergänzungen gäbe: Wie wird festgelegt, wo für Material, zum Beispiel für einen Belag, die Produktion endet und wo die Behandlung im Anschluss an diese Produktion einsetzt? Wenn man von einer „Veränderung“ sprechen möchte, muss man dann nicht den Ursprungsstatus definieren, um die Veränderung messbar zu machen? Das müsste man natürlich. Liegen die Dinge anders, wenn Hersteller das Verfahren für ihre Spieler durchführen, als wenn Spieler dies selbst tun? Wenn also Wang Hao nicht, wie Boll es beschrieb, seine Beläge live im TV bearbeiten würde, sondern sich in eine Produktionsstätte seines Herstellers begeben würde, um genau dasselbe zu tun. Wäre es dann etwas anderes, wenn der Belag nachher ordnungsgemäß verpackt würde? Natürlich nicht. Es müsste vielmehr einen Referenzwert für die Spieleigenschaften eines jeden Belags mit einheitlichem Holz mit einem einheitlichen Ball und möglichst einer einheitlichen Temperatur geben. Und so weiter. Laborbedingungen eben. Wenn man damit anfängt, ist man früher oder später natürlich: beim Einheitsbelag. Und ganz grundsätzlich: Wo fängt denn die „physikalische, chemische oder sonstige Behandlung“ an? Ab wann ist eine Veränderung der Spieleigenschaften denn relevant? Und noch wichtiger: Wann ist sie nicht relevant? Wenn ich meinen Schläger im Winter mit einem Heizkissen aufwärme, damit das Gummi nicht kalt bleibt, sondern warm und damit elastischer wird, dann verstoße ich glasklar gegen die Regeln. Aber geht es dem Regelwerk überhaupt um so einen Fall?
Solche Beispiele gibt es zigfach. Sie zeigen für mich zweierlei. Zum einen hat der Weltverband eine Regel geschaffen, für die vor allem ein Fazit gilt: nett gedacht, nicht nett gemacht. Sie wurde in ihrer praktischen Umsetzung schlichtweg nie zu Ende gedacht. Sie macht es unmöglich, Verstöße überhaupt klar zu definieren – und dementsprechend natürlich auch, sie zu ahnden. Solange das so ist, ist es in meinen Augen weitestgehend sinnfrei, bei einem neuen Schlägertestverfahren anzusetzen. Zum anderen zeigt die Debatte doch obendrein eines: Es geht überhaupt nicht mehr um die eigentliche Begründung der Regeleinführung vor mittlerweile knapp acht Jahren. Warum soll verboten werden, was nicht gesundheitsschädlich ist? Warum definiert das Regelwerk nicht einfach die Spieleigenschaften, die ein Belag haben darf und entwickelt dafür ein Verfahren? Dann wäre es herzlich egal, wer wie und wann seine Beläge behandelt oder wer seine Beläge nun vom Tischtennislädchen nebenan bezieht und wer nicht. Natürlich unter einer Bedingung: Die Gesundheit bleibt ungefährdet. Zumindest da würde niemand widersprechen.
(Jan Lüke)
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