Ist der Aufschlag richtig oder falsch? Auch für den Schiri oft schwer zu entscheiden (©Fabig)
01.02.2016 - Tischtennis ist vom Regelwerk her eigentlich kein komplizierter Sport. Am Versuch, einen regelgerechten Aufschlag zu machen, scheitert allerdings so mancher Amateur. Und auch im Profibereich häufen sich die falschen Aufschläge - wie unser freier Redakteur Jan Lüke beobachtet -, weil versucht wird, das Regelwerk so auszudehnen und für sich zu nutzen, wie es gerade noch gestattet wird.
Im angloamerikanischen Sprachraum nennt man so was das next big thing. Das neue, große Ding. Was war Borussia Düsseldorf da jüngst für ein Coup gelungen: Stefan Fegerl wechselt zu Borussia Düsseldorf und nimmt dort in der kommenden Saison den vakanten Platz des abgewanderten Patrick Franziska ein. Der eine europäische Topspieler geht, der andere kommt. Fegerl ist ja so was wie der Newcomer des vergangenen Jahres. Mit mittlerweile 26 Jahre zwar nicht mehr taufrisch, aber mit gehörigen und kontinuierlichen Leistungssteigerungen in den vergangenen Spielzeiten – und noch einmal mit einem wahren Leistungssprung 2015. Europameister mit der Mannschaft und im Doppel, Siege über diverse Branchengrößen, darunter Weltmeister und Olympiasieger Zhang Jike. Das Arbeitsprotokoll von Fegerl liest sich blendend. Mit dem obendrein spektakulär agierenden Österreicher, einer Block-Maschine, hält eine echte Attraktion Einzug in die TTBL – und mit ihr ein modernes Phänomen, das sich dieser Tage im internationalen Tischtennis wieder breiter und breiter macht. Eine der gefährlichsten Waffen Fegerls ist nämlich der Aufschlag. Und der ist im Fall Fegerl: nicht regelkonform.
Falsche Aufschläge sind weit verbreitet
Mir geht es jetzt keineswegs darum, den Österreicher ans Kreuz zu nageln. Der ist nur ein Beispiel – wenngleich ein recht anschauliches. Immerhin brachte es Fegerl im EM-Finale fertig, dass sich selbst ein ausgebuffter Vollprofi wie Dimitrij Ovtcharov, der selbst mit allen Wassern des Profidaseins gewaschen ist, immer wieder den Service des Österreichers monierte (vgl. Minute 34:01 oder 14:00 dieses Videos). Allein auf weiter Flur steht Fegerl aber eben mitnichten. Da wären reihenweise andere: Philipp Floritz, wenn er nicht zum Rückhand-Aufschlag greift, Xu Xin, bevor er größtenteils auf einen Service mit höherem Ballwurf umstellte, den er mittlerweile nutzt, oder die Schweden Pär Gerell und Anton Källberg. Und so weiter, und sofort. Sie alle, und dafür muss man ihnen nicht auf der anderen Seite des Tisches gegenüberstehen, würzen ihr Spiel mit einer Aufschlagbewegung, die mit dem Regelwerk bricht.
Es geht um den Passus im Reglement, der Folgendes besagt: „Der Ball […] darf durch den Aufschläger oder seinen Doppelpartner oder durch etwas, das sie an sich oder bei sich tragen, für den Rückschläger nicht verdeckt werden.“ Verdecken also. Tilgen. Verschwinden lassen. Unsichtbar machen. Bei der Regel geht es freilich vor allem darum, den Moment des Balltreffpunkts für den Returnspieler freizulegen. Damit erhöht sich die Wahrscheinlichkeit eines erfolgreichen Rückschlags – und das ist, vereinfacht gesagt, ja irgendwie netter für den Sport und seine Zuschauer. Wirklich genau nehmen viele Profis diese Regel derzeit nicht. Oder besser gesagt: nicht mehr. Bei vielen schieben sich Schulter, Kopf oder Oberarm genau im Moment des Treffpunkts ins Sichtfeld des Rückschlägers. Das sorgt dafür, dass die Aufschläge oftmals wieder so aussehen wie vor der letzten Novellierung der Aufschlag-Regel, die mittlerweile mehr als ein Jahrzehnt zurückliegt.
Profis dehnen Regelwerk zu ihren Gunsten aus
Nun, das soll keine Brandrede werden gegen vermeintlich unfaire Akteure. Eigentlich sogar das genaue Gegenteil. Denn Profis sind Profis – und die versuchen, das Regelwerk so auszudehnen und für sich zu nutzen, wie es ihnen gestattet wird. Nun ist ein gutes Aufschlagspiel, das nicht mal viele direkte Punkte, aber oftmals große Vorteile in der Spieleröffnung bringen muss, gerade in der Weltklasse unabdingbar. Um dafür das radikalste Beispiel zu nennen: Wem gegen Weltmeister Ma Long kein guter kurzer oder extrem offensiver und aggressiver Return gelingt, der wird gegen den Eröffnungsball des Chinesen nicht punkten können. Ma versteht es meisterhaft, seinen Aufschlag auf sein Spiel und seine Waffen danach abzustimmen. Davon kann etwa Dimitrij Ovtcharov ein Liedchen singen, der vor allem als Rückschläger gegen Ma meist kein Land sieht. Kurzum: Ein gutes Aufschlagspiel ist von kaum bemessbarem Wert. Und dafür überschreiten viele Profis mittlerweile die Grenze des eigentlich erlaubten.
Gerade im Profisport kann und sollte man meiner Meinung nach nun nicht von den Aktiven einfordern, dass sie selbst als Regulativ in eigener Sache eintreten. Zumindest sollte man es keinem Topspieler verübeln, wenn er versucht, für sich selbst in diesem Grenzbereich das Bestmögliche zu erwirken. Stattdessen liegt der Ball, zumindest der sprichwörtliche, bei denen, die das Regelwerk zu überwachen haben: den Schiedsrichtern am Tisch. Denen wird dabei allerdings wiederum einiges abverlangt. Sie sollen aus einer seitlichen Perspektive auf das Spielgeschehen beurteilen, ob das Spielgerät aus einer frontalen Perspektive zu keinem Zeitpunkt verdeckt wird. Zwar wird ihr Mandat durch den Paragraphen 6.6 des Reglements („Es liegt in der Verantwortlichkeit des Spielers, so aufzuschlagen, dass der Schiedsrichter oder der Schiedsrichter-Assistent überzeugt sein kann, dass er die Bedingungen der Regeln erfüllt, und jeder der beiden kann entscheiden, dass ein Aufschlag unzulässig ist“) gestärkt – das Problem aber ist damit nicht gelöst: Es ist dort von den Tischschiedsrichtern schwerlich zu beurteilen, was denn nun falsch und was denn richtig sein soll. Zumal es gerade bei den perfekt koordinierten Bewegungsausführungen der Profis um Millimeter und Millisekunden geht, in denen der Ball etwa hinter einer Schulter verschwindet.
Was tun?
Die Frage, was der Ausweg aus diesem Dilemma sein könnte, ist alles andere als trivial. Noch mal ein neues Regelwerk für den Aufschlag? Oder gleich zurück zum alten? Entschlussfreudige Schiedsrichter, die die Auslegung der Regel durch Sanktionen langsam wieder dorthin schieben, wo sie bei ihrer Einführung einst hingehören sollte? Alles denkbar, wenngleich verschieden sinnvoll. Der Ist-Zustand allerdings verfehlt das offensichtliche Ziel des gegenwärtigen Regelwerks – und das zunehmend weiter. Diese Situation sollte im Sinne aller Beteiligten nicht zu lange andauern.
Wir haben ein paar Profi-Aufschläge bei den German Open eingefangen. Schauen Sie in unserer Bildergalerie vorbei! Welche sind falsch und welche sind richtig?
(Jan Lüke)
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