Blog

Jans Blog: Olympia-Alternativen zum Doppel Boll/Franziska?

Was wäre die Alternative zum Doppel Boll/Franziska? (©ITTF)

09.11.2015 - Lange ist es nicht mehr hin bis zu den Olympischen Spielen 2016 in Rio de Janeiro, diese beginnen bereits am 5. August. Dort wird im Mannschafts-Wettbewerb wieder nach dem 'Peking-System' gespielt. Das heißt, dass nach zwei Einzeln in jedem Fall das Doppel folgt, das einer der beiden ersten Einzelspieler mit einem dritten Spieler bestreitet. Grund genug für unseren Blogger Jan Lüke, sich Gedanken über die aktuelle Doppel-Situation im deutschen Herren-Lager zu machen!

Das vielleicht aufschlussreichste Spiel bei den Polish Open vor wenigen Wochen fand für Bundestrainer Jörg Roßkopf nicht am Centre Court statt, nicht einmal am Finalwochenende. Donnerstagabend, 20.30 Uhr, Tisch 8. Dort spielten Dimitrij Ovtcharov und Patrick Franziska in der Runde der letzten 32 Doppel. Gegen die kroatische Paarung Tomislav Kolarek/Tomislav Pucar, die – mit Verlaub – nicht gerade zur ersten Riege im internationalen Turniergeschehen zählt. Genau genommen: nicht einmal zur zweiten. Kolarek ist aktuell die Nummer 142 der Welt, Pucar die Nummer 205. Das macht im Schnitt: gutes Zweitliga-Niveau. Und genau da liegt das Problem. Denn die deutschen Nationalspieler unterlagen den Kroaten 11:13 im Entscheidungssatz – und ihr zweites Turnierspiel war auch schon ihr letztes. Ovtcharov und Franziska im gemeinsamen Doppel, das passte auch in Warschau nicht wirklich.

Rio rückt immer näher
Jetzt könnte man sagen: Was soll’s?! Ist doch nur ein Doppel. Ovtcharov und Franziska sind Spieler mit ambitionierten Zielen im Einzel, gehören dort zur Weltspitze. Sie können es sich leisten, im gemeinsamen Doppel ein bisschen herumzuexperimentieren oder auch einfach mal: schlecht zu spielen. Stimmt sogar. Ovtcharov, seit Wochen und Monaten ohnehin in einer Bombenverfassung, und Franziska können sich das leisten. Die Frage ist eine andere: Kann sich der Deutsche Tischtennis-Bund das leisten? Denn klar ist: Spätestens seitdem mit dem World Cup auch das letzte Turnier der allerwichtigsten Kategorie in diesem vollgepackten Jahr hinter den besten Athleten liegt, sind die Olympischen Spiele 2016 in Rio de Janeiro kein Fernziel mehr. Sie sind allenfalls noch ein Mitteldistanzziel. Und sie rücken immer näher. Ab dem 5. August 2016 geht es in Brasilien auch um die wichtigsten Medaillen im Welt-Tischtennis – und die deutschen Herren möchten davon unbedingt eine gewinnen. Am liebsten sogar mehrere. Ganz besonders gern möchten sie die mit der Mannschaft gewinnen. Seitdem der Mannschaftswettbewerb im Tischtennis zum Kanon der olympischen Sportarten zählt  – seit 2008 ist das so – haben Deutschlands Jungs in beiden Turnieren Edelmetall geholt. 2008 Silber, 2012 Bronze. Zweimal verloren sie gegen China. 2008 spielte das Topduo Ovtcharov und Boll noch gemeinsam mit dem mittlerweile zurückgetretenen Christian Süß, 2012 war Bastian Steger der Dritte im Bunde. Die Serie soll fortgesetzt werden. Nicht viel ist im Hauen und Stechen der Spitzensportverbände um die staatlichen Fördergelder wichtiger als olympische Erfolge, die für den DTTB dementsprechend allerhöchste Priorität besitzen. Olympische Medaillen sind, auch wenn sie nicht die gleichnamige Farbe tragen: Gold wert.

Ein gutes Doppel muss her
Pünktlich zu den Olympischen Spielen rückt deshalb unter anderem eine Disziplin in den Fokus, die ansonsten kaum Relevanz besitzt im Profi-Zirkus der Männer: das Doppel. Eine Einschränkung an dieser Stelle: Wenn nicht gerade Timo Boll und Ma Long gemeinsam auflaufen. Im 'Peking-System', nach dem bei Olympia gespielt wird, macht das Doppel mindestens zwanzig Prozent der ausgespielten Punkte aus – und findet in jedem Spiel mit Sicherheit statt, da es bereits auf die ersten beiden Einzel folgt. Der Weg zum bedeutsamen Medaillengewinn führt im kommenden Sommer zwangsläufig über die ansonsten so unpopuläre Disziplin. Das heißt: Ein gutes Doppel muss her.

Das gilt selbstredend auch für die deutschen Herren. Auf den ersten Blick mag das auch gar nicht problematisch erscheinen. Denn eigentlich ist Deutschlands Kader wie gemacht für das Olympia-Spielsystem. Deutschlands Nummer eins ist mit Ovtcharov ein exzellenter Einzelspieler, für sein Niveau im Einzel aber ein nicht unbedingt glänzender Doppelspieler. Nicht schlimm: Als Nummer eins spielt er zwei Einzel – und hätte seine Schuldigkeit damit getan. Deutschlands Nummer zwei, Timo Boll, ist dagegen beides: gut im Einzel und gut im Doppel. Da er im Einzel nicht mehr ganz das Niveau von Ovtcharov spielt, verliert Roßkopf nichts, wenn er Boll nur ein Einzel, dafür aber das Doppel spielen lässt. Und das an der Seite von Patrick Franziska. Das nämlich passt wie die sprichwörtliche Faust aufs Auge: 2013 und 2015 gewannen die beiden Hessen die German Open. Sie harmonieren glänzend. Bolls Spielübersicht paart sich mit Franziskas Dominanz auf der Rückhand-Diagonale, seinem Plus im Spiel über dem Tisch sowie beim Rückschlag. Franziska ist für das Amt als deutsche Nummer drei deshalb wohl gesetzt, kann als Weltranglisten-41. und WM-Viertelfinalist aber auch als Einzelspieler seine Nominierung problemlos rechtfertigen. Theoretisch steht das deutsche Team also – und es steht ziemlich fest. Unter einer Bedingung: Wenn denn alle Spieler gesund und in Form bleiben. Genau hier aber beginnen die Probleme, die Nationaltrainer Roßkopf wohl noch ein Weilchen umtreiben werden.

Welche Alternativen zu Plan A?
Denn aktuell mangelt es dem deutschen Kader an Alternativen zu diesem Plan A. Ein Problem ist – natürlich – die Verletzung Bolls. Bis auf Weiteres wird der aussetzen müssen mit Training und Wettkämpfen. Mit Franziska wird er sich also vorerst nicht einspielen können, was nötig wäre, weil das Doppel schon bei der WM in Suzhou die Möglichkeit verpasste, sich auf großer Bühne sportlich noch besser zueinander zu finden. Ein anderes Problem ist Patrick Franziska. Wobei: ‚Problem‘ ist vielleicht zu hoch gegriffen. Der Youngster im Team ist in den vergangenen Monaten nicht sonderlich formschwach, aber eben auch nicht sonderlich formstark. Gerade Franziskas Weltranglistenposition ist mit Blick auf die Setzung für den Teamwettbewerb aber immens wichtig: Japan und Korea streiten mit Deutschland um die Positionen hinter China. Die Setzlistenpositionen werden letztendlich über Deutschlands Chancen auf Silber entscheiden.

Roßkopfs Problem ist, dass sich ihm wenige Ausweichmöglichkeiten zu Franziska bieten. Selbst wenn sich ein anderer Akteur als formstärker oder gar besserer Einzelspieler herausstellen sollte. Patrick Baum gilt als Linkshänder zwar als potenziell guter Doppelspieler, an der Seite eines weiteren Linkshänders mit Timo Boll aber auch als eher schwer vermittelbar. Nicht anders Ruwen Filus, der als Abwehrspieler zwar im Einzel gefährlich sein könnte und auch in der Weltrangliste derzeit die klare deutsche Nummer Drei ist, im Doppel aber kaum Mehrwert für das deutsche Team bietet. Eine Kombination aus Abwehr und Angriff gegen die besten Asiaten ins Rennen zu schicken, ergibt wenig Sinn. Es blieben in Routinier Bastian Steger und Steffen Mengel zwei Alternativen, die sportlich derzeit zwar nicht negativ auffallen, sich aber zuletzt auch nicht in den Vordergrund spielten. Das zumindest haben sie mit dem Doppel Ovtcharov/Franziska gemein. Jörg Roßkopf wird in naher Zukunft wohl nicht die eine oder andere Überlegung dem Praxistest unterziehen. Und sich sehr regelmäßig nach dem Krankenstand im Hause Boll erkundigen.

(Jan Lüke)

Kommentar schreiben

Um weiterhin qualitativ hochwertige Diskussionen unter unseren Artikeln zu gewährleisten, haben wir uns dazu entschlossen, die Kommentarfunktion mit dem myTischtennis.de-Login zu verknüpfen. Wenn Sie etwas kommentieren möchten, loggen Sie sich einfach in Ihren Account ein. Die Verwendung eines Pseudonyms ist weiterhin möglich, der Account muss jedoch einer realen Person zugeordnet sein.

* Pflichtfeld

Copyright © 2025 myTischtennis GmbH. Alle Rechte vorbehalten.