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Jans Blog: „Ich wünsche mir einen Maze-Moment“

Michael Maze wird als 'Popstar' der Tischtennisszene gehandelt (©ITTF)

21.09.2015 - Gegen Ma Lin hatte Michael Maze vor einem Monat sein Comeback in einem Freundschaftsspiel gegeben - die richtige Rückkehr folgt diese Woche in Jekaterinburg, wo der 34-Jährige als Teil der dänischen EM-Mannschaft an den Start geht. Unser freier Redakteur Jan Lüke würde sein Geld zwar nicht auf Maze verwetten, traut ihm allerdings durchaus zu, die europäische Szene durch einen seiner genialen Momente in Unordnung zu bringen.

Michael Maze hat, um es mal defensiv zu formulieren, nicht unbedingt ein Problem mit Inszenierungen. Auch nicht mit solchen, bei denen er selbst im Mittelpunkt des Geschehens steht. Ganz im Gegenteil: Man darf getrost davon ausgehen, dass dem charismatischen Dänen ein gewisser Hang zur Show eigen ist. Einen Beweis? Den erbrachte Maze erst jüngst wieder. Als er das letzte seiner mittlerweile unzähligen Comebacks nach einer seiner unzähligen Hüft- oder Knieverletzungen - diesmal war es das Knie - gab. Das dänische Fernsehen war live auf Sendung, obwohl es sich nicht einmal um einen offiziellen Wettkampf handelte: Maze hatte seinen alten Weggefährten, den mittlerweile zurückgetretenen chinesischen Olympiasieger Ma Lin, dem er vor zehn Jahren im Halbfinale der Weltmeisterschaften in Shanghai gegenüber gestanden hatte, nach Dänemark eingeladen, um mit ihm sein öffentliches Comeback-Spiel zu geben. Nicht in der Sporthalle allerdings, sondern: in einer Kirche. Untertitelt wurde das Ganze mit dem Claim „The Revenge“ – die Revanche. Für das damalige WM-Match, das an Ma gegangen war, nachdem Maze dessen Landsleute Wang Hao und Hao Shuai aus dem Turnier gekegelt hatte. Maze baute sich also selbst die große Bühne in der Absalon-Kirche in Kopenhagen. So ist er eben, der Popstar unter den Tischtennisspielern.

Nur eine lockere Generalprobe

Fürwahr: Die Spiele gegen Ma Lin waren wirklich nicht viel mehr als Show. Die Ballwechsel hatten alles, aber doch nicht die Intensität eines Profi-Wettkampfs. Wenngleich sich der zumeist erfolgreiche Maze rund bewegte und bewies, dass er sein unvergleichliches Ball- und Körpergefühl noch immer besitzt. Schließlich glückte ihm die Revanche gegen Ma auch. Ein bisschen Selbstvertrauen gab es also für den Gastgeber obendrauf. Trotzdem: Es war eine lockere Generalprobe. Mehr nicht. Die Premiere, Mazes Rückkehr auf die internationale Bühne, sollte eigentlich bei den Austrian Open Anfang September steigen. Doch Maze sagte den ersten Meilenstein auf dem Weg zurück zu alter Klasse ab. Zu früh kam das hoch dekorierte und stark besetzte Kräftemessen mit den Größen der internationalen Szene. Diese Woche soll für den Dänen nun die Woche der Wahrheit werden: Er hat seinen Start bei der EM in Jekatarinburg angekündigt. Maze wird ohne große Wettkampfpraxis (nichts für ungut, Ma Lin!) die Kontinentaltitelkämpfe in Angriff nehmen und seinen Fokus nach Aussage seines dänischen Trainers Linus Mernsten vor allem auf den Einzelwettkampf richten. Dort heißt es dann mal wieder: Maze is back!

Für das internationale Tischtennis, gerade das europäische, ist Mazes Rückkehr, sofern sie denn stattfindet, ein Glücksfall. Klar, zum einen ist Maze das, was so abgegriffen immer als ‚Typ‘ bezeichnet wird. Maze sieht aus wie ein Hugo-Boss-Model, mal mit langer Braveheart-Mähne, mal mit kurzgeschorenem Skalp, er kämpft in der Box wie ein Löwe und hat im Spiel eine Ausstrahlung wie wohl kein anderer Spieler auf der Tour. Wenn Maze am Tisch steht, denkt man, für ihn gäbe es auf die Frage nach dem besten Spieler der Welt nur eine Antwort: Michael Maze nämlich. Der Wettkampfspieler Maze ist ein Erlebnis. Ein Erlebnis ist auch sein Spiel, das etliche technische Defizite, vor allem beim Vorhand-Topspin, mit grandiosem Ballgefühl ausgleicht – mal bei Schlägen über dem Tisch, mal bei Schlägen aus der Defensive. Maze spielt sie, wie er will. Doch das Maze-Comeback wäre aus noch einem ganz anderen Grund eine tolle Sache für die Szene: Es würde sie aufmischen.

Europäische Spitze könnte in Unordnung geraten

Mit Verlaub: Gerade das europäische Spitzentischtennis ist ein wenig eintönig geworden – und das ausgerechnet in Zeiten, in denen die Europameisterschaften oft und für meinen Geschmack deutlich zu oft stattfinden. Ich liebe das Spiel von Samsonov und Boll, auch das gegeneinander, aber bitte: Das gefühlt fünfzigste EM-Finale der beiden gegeneinander möchte ich bei den Wettkämpfen in Jekaterinburg nun wirklich nicht sehen (und werde ich nach Bolls Absage wohl auch nicht). Zwar haben die beiden Dominatoren des europäischen Tischtennis‘ der 00er Jahre in Dimitrij Ovtcharov und Marcos Freitas zwei weitere und mittlerweile gar fast stärkere Gegenspieler bekommen, wirklich breit ist die Spitze im europäischen Tischtennis allerdings nicht. Und der Nachwuchs ist noch nicht so weit: Der hoch veranlagte Anton Källberg, der stetig besser werdende Liam Pitchford, der ‚neue‘ Portugiese Joao Geraldo. Sie alle sind eher noch keine Anwärter auf das Treppchen. Am ehesten käme dafür noch Simon Gauzy infrage, dem der Sprung in den Seniorenbereich als einem von wenigen talentierten Franzosen mittlerweile uneingeschränkt geglückt ist. Aber wenn ich wetten müsste: Ich würde keinen Cent darauf setzen, dass der Titel an einen geht, der nicht aus dem Top-Trio Samsonov, Ovtcharov und Freitas stammt.

Bitte noch einmal solch ein Michael-Maze-Moment

Na gut, den Mumm, mein Geld für die EM auf Maze zu setzen, hätte auch ich nicht. Und doch ist Maze ein Spieler, der die europäische Spitze wieder ein wenig in Unordnung bringen kann, obwohl er eigentlich schon seit fast 15 Jahren mit dazuzählt. Denn es gibt so etwas wie Maze-Momente. Das WM-Viertelfinale 2005 gegen Hao Shuai war so einer, als Maze aus der Ballonabwehr agierend einen 0:3-Satzrückstand aufholte. Die EM 2009 in Stuttgart war so einer, als Maze Timo Boll vor heimischer Kulisse den Titel wegschnappte. Und so weiter, und so fort. Den letzten echten Maze-Moment erlebte die Tischtennis-Welt 2012 in London bei den Olympischen Spielen. Maze kam, fast ähnlich wie dieser Tage, aus einer langen Wettkampfpause – und stand plötzlich Dimitrij Ovtcharov im siebten Satz des Viertelfinals gegenüber, mit einer Hand bereits an der Olympia-Medaille. Ähnliches wiederholte er in kleinerer Version bei den German Open 2014 in Madgeburg, eines von nur zwei Pro-Tour-Turnieren seit 2012 (!) für Maze, der seit einem Jahr nicht mehr in der Weltrangliste gelistet wird: Plötzlich tauchte Maze auf und spielte sich ins Viertelfinale, wenig später auch noch ins Finale beim DHS Europe Cup. Ehe er wieder verschwand mit einer neuerlichen Knie-Operation im Herbst des Vorjahres. Seitdem trainiert Maze. Viel im Kraftraum, immer öfter auch wieder am Tisch. Wenn ich mir für den Tischtennis-Sport etwas wünschen kann, dann wäre das noch so ein Michael-Maze-Moment dieser Tage in Jeketarinburg: eine Medaille für den Rückkehrer – die gewohnte Show inklusive.

(Jan Lüke)

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