Selbst Fan Zhendong wurde bei den German Open bezwungen (©ITTF)
13.11.2017 - Die German Open in Magdeburg haben eindrucksvoll gezeigt, dass sich mit Dimitrij Ovtcharov und Timo Boll zwei Deutsche wieder an der absoluten Weltspitze tummeln. Auf der anderen Seite wurde jedoch auch deutlich, dass China mehr und mehr das Attribut „unschlagbar“ verliert. Unser freier Redakteur Jan Lüke analysiert in seinem Blog die aktuelle Situation der chinesischen Mannschaft und wo es mit ihr in naher Zukunft hingehen wird.
Wo es Gewinner gibt, da muss es auch Verlierer geben. Das galt auch für die German Open, die gestern in Magdeburg mit einem grandiosen Triumph für den Deutschen Tischtennis-Bund endeten. Während Dimitrij Ovtcharov und Timo Boll nach den Endspielen bei den China Open und dem World Cup das dritte große Finale binnen weniger Monate bestritten, kassierten Chinas Herren eine ihrer härtesten Niederlagen des letzten Jahrzehnts. Mit acht Spielern war der chinesische Verband in der GETEC-Arena angetreten. Gerade mal einer von ihnen, der topgesetzte Fan Zhendong, schaffte es überhaupt in die Medaillenränge – als Dritter.
Selbstverständlichkeit und Selbstgewissheit fehlen
Das Resultat ist bemerkenswert. Auch für dominante Athleten gehören schlechte Wochen mit schwächeren Ergebnissen zur Tagesordnung. Im Fall der Tischtennis-Chinesen aber liegen die Dinge dann doch anders: Zum einen sind fast zwei Generationen von chinesischen Spielern beinahe komplett ohne solche Ausrutscher ausgekommen, wie man sie in Magdeburg gesehen hat. Seit mehr als zehn Jahren haben Chinesen zwar vereinzelt durchschnittliche Spiele abgeliefert, in denen sie sich noch vereinzelter der nicht-chinesischen Konkurrenz geschlagen geben mussten. Wie ein Gesetz schien aber zu gelten: Wenn der eine den Job nicht macht, macht ihn eben ein anderer. Zum anderen lässt sich im Ergebnis von Magdeburg durchaus ein leiser Trend ablesen. Seit dem Streik-Debakel bei den China Open in Chengdu im Juni scheint Chinas Herren ihre jahrelange Dominanz abhandengekommen zu sein. Plötzlich fehlen Selbstverständlichkeit und Selbstgewissheit. Hat man in Magdeburg etwa den Anfang vom Ende der absoluten Dominanz der chinesischen Herren erlebt? Ist das Reich der Mitte bald schlagbar? Wird mit der Gewohnheit gebrochen, dass die großen Titel automatisch nach China gehen? Die Wahrscheinlichkeit für eine neue Ordnung im Welttischtennis ist zumindest so hoch, wie sie seit einer halben Ewigkeit nicht mehr gewesen ist.
Mit ihrem früheren Leader werden die Chinesen jedenfalls nicht zurückschlagen. Die Tage von Magdeburg haben deutlich gezeigt, dass es für Zhang Jike wohl keinen Weg zurück auf sein früheres Niveau geben wird. Zhangs Körper und damit auch sein Spiel sind bereits in den vergangenen Jahren anfällig geworden. Im nächsten Frühjahr wird Mr. Crunchtime 30 Jahre alt, schon länger hört man, dass Zhang nach den Olympischen Spielen 2016 den Wunsch geäußert hat, vom Profisport abzutreten. Sein uninspirierter Auftritt gegen Tiago Apolónia festigte jedenfalls derlei Einschätzungen. Wenn im nächsten Jahr im schwedischen Halmstad der neue Mannschafts-Weltmeister ermittelt wird, wird der chinesische Publikumsliebling nicht mehr zum chinesischen Stamm gehören.
So chancenlos hat man Xu Xin selten erlebt
In die gehörte über Jahre auch Xu Xin. Der frühere Weltranglistenerste kam im chinesischen Team zwar nie über einen Nummer-drei-Status hinaus, leistete sich aber gerade gegen europäische Spieler kaum Niederlagen. Chancenlos wie gegen den aufstrebenden Lee Sangsu im Viertelfinale von Magdeburg hat man Xu allerdings selten erlebt. Zumal sich der schlaggewaltige Linkshänder mit 28 Jahren ebenfalls in einem fortgeschrittenen Alter für chinesische Topathleten befindet, wäre es gewagt und ungewöhnlich, ausgerechnet in Xu Xin die Zukunft der chinesischen Männer zu sehen.
Wo aber versteckt sich diese Zukunft? Mit Zhou Kai (21 Jahre) und Yu Ziyang (19 Jahre) bekamen die Jugend-Weltmeister von 2013 und 2014 in Magdeburg eine World-Tour-Chance. Weder Zhou, der in der Super League schon etliche der chinesischen Topstars schlagen konnte, aber diesmal schon in der Quali an João Monteiro scheiterte, noch Yu Ziyang, der in der Zwischenrunde an Jeong Sangeun ausschied und vorher schon gegen den U-21-Europameister Tomislav Pucar gehörig gewackelt hatte (4:3), taten sich für chinesische Verhältnisse hervor. Das galt auch einmal mehr für Chinas zweite Garde: Zhou Yu (0:4 gegen Fan Zhendong) und Yan An (mit einer 0:4-Klatsche gegen Dimitrij Ovtcharov) blieb der große Wurf verwehrt. Mit Mitte 20 werden beide auch weiterhin im zweiten Glied des chinesischen Kaders bleiben. Es zeigt sich, dass es China nicht wie selbstverständlich gelingt, Nachfolger für seine Superstars herauszubringen. Nach der alles überragenden Spielergeneration um Zhang Jike, Ma Long und Xu Xin, die ihrerseits wiederum fließend Ma Lin, Wang Liqin und Wang Hao beerbte, ist nur noch ein Chinese den Weg in die vorderste Weltspitze gegangen – Fan Zhendong.
Fan Zhendong ist die Zukunft
Fan allerdings bleibt eine Ausnahmeerscheinung. Daran wird auch dessen Niederlage gegen Dimitrij Ovtcharov nichts ändern. Fan Zhendong wird sich in den kommenden Jahren zum Dominator des Welttischtennis entwickeln, er ist der Favorit auf die nächsten großen Titel. Der gerade einmal 20 Jahre alte Vize-Weltmeister ist der beste Spieler seiner Generation. Auch Japans Wunderkind Tomokazu Harimoto wird sich strecken müssen, um Fans Niveau zu erreichen. Einen Mitstreiter für die kommenden Jahre aber hat China noch nicht gefunden, auch der teilweise exzellente Lin Gaoyuan konnte sein Niveau noch nicht stabilisieren. Bisher steht Fan Zhendong allein für die große Zukunft von Chinas Herren.
So brachten die Tage von Magdeburg letztlich doch noch einen chinesischen Gewinner hervor – auch wenn der wohl einige tausend Kilometer entfernt weilte: Ma Long. Der Weltmeister und Weltranglistenerste, der selbst jüngst gegen Timo Boll beim World Cup in Lüttich verlor, unterstrich seinen Wert für das chinesische Team, ohne einen Schlag gemacht zu haben. Auch wenn Ma durch seinen Streik bei den China Open in Ungnade gefallen sein mag: Für China wird er mindestens bis zu den Olympischen Spielen von Tokio 2020 unverzichtbar sein.
Geschlagen ist China noch längst nicht – aber künftig wohl zumindest etwas schlagbarer.
(Jan Lüke)
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