Olympia 2021

Bärenstarker Ovtcharov schrammt am Finale vorbei

Dimitrij Ovtcharov hatte Ma Long am Rand einer Niederlage (©ITTF)

29.07.2021 - Sage und schreibe 18 Niederlagen musste Dimitrij Ovtcharov schon gegen Ma Long einstecken, während er selbst hingegen noch keinen einzigen Sieg verbuchen konnte. Diesmal sollte es anders laufen. Und diesmal sah es zeitweise tatsächlich so aus, als ob der erste Triumph von Ovtcharov gegen den Chinesen ausgerechnet im olympischen Halbfinale geschehen würde. Nach einem Spiel auf unfassbar hohem Niveau hieß der Sieger am Ende aber wieder Ma Long. Für den Deutschen bleibt damit der Kampf um Bronze.

Als Ma Longs finales „Cho“ durch die Halle gellte, sank Dimitrij Ovtcharov in sich zusammen. Er hatte alles in diesen letzten Ballwechsel im siebten Satz gelegt, nachdem er schon zwei Matchbälle des Olympiasiegers von 2016, Ma Long, abgewehrt hatte. Doch der letzte seiner knallharten Schläge in dieser unglaublichen Rallye landete im Netz - und für Ovtcharov brach in diesem Moment eine Welt zusammen. „Da war nur noch Leere in meinem Kopf“, gab der 32-Jährige nach dem Match preis. „Ich habe es nicht fassen können, dass das Spiel tatsächlich vorbei ist.“ Gemessen an der 18:0-Bilanz, die Ovtcharov mit ins Spiel brachte, nahm er zwar statistisch gesehen die Rolle des Underdogs ein. Am Tisch war davon aber nichts zu merken. Der Taktiker hatte sich gut vorbereitet und einen Matchplan zurechtgelegt, mit dem er Ma Long einige Male überraschen konnte und absolut auf Augenhöhe begegnete. 

Nur von Punkt zu Punkt gedacht

Der Spielverlauf erinnerte ein bisschen an das Viertelfinale gegen Hugo Calderano, als Ovtcharov bereits mit 0:2 hinten gelegen hatte und dann noch einmal sensationell zurückkam. Mit dem Unterschied, dass der World-Cup-Sieger von 2017 diesmal von Beginn an fokussiert und entschlossen wirkte. Nichtsdestotrotz ließ er sich den ersten Satz nach einer 8:4-Führung noch abnehmen und musste Ma wenig später auch den zweiten überlassen. „Es ist sehr schade, dass ich den ersten Satz nicht geholt habe“, fand Ovtcharov. „Aber ich habe das dann abgehakt und das ganze Spiel nur noch von Punkt zu Punkt gedacht und mich überhaupt nicht am Spielstand orientiert.“ Mit dieser Einstellung holte er sich nicht nur den dritten, sondern auch den vierten Satz, so dass zeitweise wieder alles offen war. Zwar war es Ma, der sich die 3:2-Führung mit einem 11:7 sicherte, ein vorzeitiges Ende des Spiels konnte aber auch er nicht herbeiführen.

So ging das Spiel in den siebten Satz und endete mit drei Matchbällen für Ma Long, von denen der Chinese den letzten nutzte. „Es ist das größte Turnier der Welt und Ma Long ist der beste Spieler, den es je gab. Aber ich denke, ich hatte ihn wirklich am Rand einer Niederlage, irgendwo hat halt ein Punkt gefehlt“, sagte Ovtcharov. „Dass das unglaublich schmerzt, ist noch untertrieben.“ Bundestrainer Jörg Roßkopf baute ihn direkt nach dem Spiel auf. „Ich habe ihm gesagt, dass er aus dieser Leistung Mut für das morgige Spiel um Platz drei schöpfen muss, denn mit solchen Leistungen gewinnt man hier Medaillen“, verriet Roßkopf. „Dima hat Erfahrungen mit solchen Situationen. 2012 hat er auch Bronze geholt. Es gibt nicht viele Spieler, die bei Olympia zwei Medaillen im Einzel gewonnen haben - und er kann dazu gehören. Das muss jetzt seine Motivation sein.“ 

Beistand von der Familie

Im zweiten Halbfinale hatte es allerdings einen ähnlich spektakulären Schlagabtausch zwischen Fan Zhendong und Lin Yun-Ju gegeben - und auch der Taiwaner war im letzten Moment noch am Finale vorbeigeschrammt. „Für Dima ist Lin sehr schwer zu spielen. Er ist Linkshänder, hat sehr gute Aufschläge und extrem gute Rückschläge. Gegen Chuang Chih-Yuan war es für Dima 2012 sicher etwas einfacher“, schätzte Roßkopf. „Unsere Aufgabe ist es jetzt, ihn für morgen aufzubauen.“ Beistand hatte sich Ovtcharov auch direkt nach dem Spiel von seiner Frau und seinem Vater geholt, die er von der Tribüne aus anrief. „Ohne meine Familie könnte ich das alles nicht bewältigen - die ganzen Turniere und das harte Training, das ich durchziehe. Sie haben mir sehr aufbauende Worte zugerufen und das tat natürlich gut.“ Morgen werden sie ihm wieder die Daumen drücken, wenn er die Chance hat, der erste deutsche Tischtennisspieler mit zwei Einzelmedaillen zu werden.
 

Die Spiele im Herren-Einzel

Halbfinale
Fan Zhendong CHN - Lin Yun-Ju TPE 4:3 (-6,9,12,-13,9,-9,8)
Dimitrij Ovtcharov - Ma Long CHN 3:4 (-11,-8,9,9,-7,5,-9)

Spiel um Bronze
Lin Yun-Ju TPE - Dimitrij Ovtcharov, Freitag 13 Uhr

Finale
Fan Zhendong CHN - Ma Long CHN, Freitag 14 Uhr

(JS)

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