La-Ola-Wellen sieht man in Tischtennishallen eher selten (©Roscher)
24.03.2015 - Die German Open in Bremen waren gut besucht. Mit insgesamt beinahe 12.000 Zuschauern waren die Veranstalter sichtlich zufrieden. Waren es aber die Fans auch? Konnten sie es – unabhängig vom sportlichen Verlauf bei den „Solja Open“ – überhaupt sein? Unser Blogger Dietmar Kramer betrachtet das Super-Series-Turnier und das allgemeine Geschehen im deutschen Tischtennis einmal vor dem Hintergrund von Timo Bolls aufsehenerregender Klage über mangelnde Fankultur.
Petrissa Solja ringt gerade im Halbfinale eine weitere Chinesin nieder. Auf dem Court bahnt sich - auch wenn Soljas Gegnerin Guo Ruochen tatsächlich ein absoluter Nobody aus dem Heer der Weltklassespielerinnen aus dem Reich der Mitte ist - also gerade wieder eine große Überraschung, ja beinahe eine Sensation an. Auf der Tribüne jedoch kann das Geschehen mit den beachtlichen Ereignissen in der Box kaum Schritt halten, die Anteilnahme auf den Rängen geht gerade so über höflichen Applaus hinaus und mündet erst nach Soljas Matchball in lauteren und länger anhaltenden Beifall. Bei den Auftritten von Dimitrij Ovtcharov und Timo Boll erreichen die Dezibel-Werte unterdessen konstant höhere Werte, und bei den Abwehr-Shows von Ruwen Filus schlägt der Zeiger regelmäßig genauso am oberen Ende der Messskala an wie vereinzelt auch im Herren-Finale zwischen den Top-Chinesen Ma Long und Zhang Jike.
Bremen bestätigt Bolls Klage über mangelnde Fankultur
Momentaufnahmen von den German Open in Bremen sind diese Beispiele alle, und sie alle lassen den neutralen Beobachter mit der Frage zurück, was die Zuschauer wohl abgesehen vom Wissen um die dargebotenen Weltklasse-Leistungen mit nach Hause nehmen. Anders ausgedrückt: War alleine der Besuch des Super-Series-Turniers ein Ausflug, von dem die Zuschauer über ihre Erinnerung an den einen oder anderen sehenswerten Ballwechsel hinaus zehren und erzählen können? War die Atmosphäre so ansteckend, dass tischtennisfremde Gäste wiederkommen möchten? Die Kernfrage: Hat Tischtennis Erlebnis- und Eventcharakter?
Glaubt man Timo Boll, heißt die Antwort „Nein“. In einem ausführlichen Zeitungsinterview schon kurz vor den Nationalen Deutschen Meisterschaften in Chemnitz beklagte Deutschlands erfolgreichster Spieler aller Zeiten nach inzwischen beinahe zwei Jahrzehnten in der Spitze, dass dem Tischtennis zumindest in Deutschland schlichtweg eine Fankultur fehle.
Auf der Suche nach Emotionen auf den Tribünen
Schaut man genau hin, ist man geneigt, Boll zuzustimmen. Bedingt wenigstens. Zwar haben einige Bundesliga-Vereine mehr oder weniger kleinere Fanklubs, die sich mit Fan-Schalen und Caps bei den Spielen in den Hallen hörbar engagieren, aber ansonsten? In Bremen drehte sich beim Herren-Finale eine Kamerafrau auf dem Court schon sichtlich verwundert um, als sich auf den oberen Rängen plötzlich ein Zuschauer in der beinahe schon andächtig anmutenden Stille zwischen zwei Ballwechseln zu einer lauten Anfeuerung für den zurückliegenden Ma Long hinreißen ließ, beriet sich via Headset mit der Regie und drehte ihr wuchtiges Gerät danach Richtung Tribüne. Gleichwohl: Für das erhoffte Bewegtbild von Emotionen über den üblichen Applaus hinaus war es zu spät. Der einsame Rufer auf der Tribüne löste auch keine durchaus denkbare Kettenreaktion unter den anderen rund 4.000 Zuschauern aus, wie es zuweilen ja selbst beim Tennis so lange zu sehen und hören ist, bis der Schiedsrichter das Publikum mit dem berühmten „Quiet, please – Ruhe, bitte“ zur Mäßigung mahnt. Im Tischtennis aber sind anhaltende Sprechchöre selten, La-Ola-Wellen absolute Ausnahmen und die inzwischen in vielen anderen Sportarten zum guten Ton gehörenden Fan-Choreographien überhaupt nicht vorstellbar.
Fankultur bedeutet allerdings noch viel mehr als farbenfrohe und lautstarke, sprich: spektakuläre Happenings in den Arenen. Ein Fußball-Fan lebt heutzutage jeden Tag mit seinem Verein und seinen Idolen, verfolgt via Smartphone das Geschehen bei seinen Lieblingen und saugt in der heutigen multimedial ausgerichteten Gesellschaft jede noch so kleine Nachricht oder Neuigkeit oft geradezu gierig auf. Doch wie tickt der Tischtennis-Fan? Gibt es den Tischtennis-Fan, der konstant ein gesteigertes Interesse am Geschehen in der Spitze und nicht nur an seinem nächsten eigenen Spiel hat, überhaupt?
Das Angebot reicht nicht aus
Zur Ehrenrettung der Tischtennis-Interessierten muss konstatiert werden, dass ihnen kaum mehr als die Fokussierung auf sich selbst übrig bleibt. Denn bei allen Bemühungen hat Tischtennis es bislang kaum geschafft, eine dauerhafte Präsenz in der Öffentlichkeit herzustellen. Hauptsächlich die Liga plätschert von Spiel zu Spiel vor sich hin, an den vielen Tagen dazwischen jedoch findet Tischtennis in der Wahrnehmung der Sportfans schlichtweg nicht statt. Verfolgt man den Nachrichtenfluss, ist im Tischtennis - auch wenn es ja gar nicht gleich eine 24-Stunden-Dauerberieselung wie im Fußball sein muss - einfach nichts los. Ovtcharov spielt, Boll spielt, nun auch eine Petrissa Solja und bei den Vereinen auch Borussia Düsseldorf - das war es beinahe schon, was Außenstehende vom Tischtennis in Deutschland mitbekommen, mehr aber eben auch nicht geboten bekommen.
An diesem Punkt ist Bolls Kritik zu kurz und teilweise auch in die falsche Richtung gesprungen. Fankultur ist in aller Regel zunächst einmal auch nur der Rückfluss dessen, was in Richtung Anhängerschaft investiert wird, zumal die heutige Mediengesellschaft dazu vielfältige Möglichkeiten bietet. Heutzutage leicht ablesbare „Follower“-Daten der größten Accounts in den sozialen Medien jedoch deuten mehr als auf eine mangelnde Fankultur vor allem auf einen Totalverlust der Identifikation der Tischtennis-Familie mit der Spitze hin: Dass alleine an der Mitgliederzahl der Vereine gemessen die maßgebliche Quote in Zeiten von zwei Top-10-Spielern gerade einmal nur wenig mehr als ein kümmerliches Prozent beträgt, liegt mitnichten an der völlig unverständlichen Missachtung des Tischtennis-Sports durch die (elektronischen) Medien und muss an allen entscheidenden Stellen im Tischtennis die Alarmglocken schrillen lassen.
Ganzheitliche Konzeptionen für mehr Identifikation
Vereine, Verbände und die Spitzenspieler selbst sind an dieser Stelle besonders gefordert. Zur effektiven Mobilisierung des enormen Potenzials, das der „schlafende Riese“ Tischtennis tatsächlich zumindest weitgehend entfalten können sollte, bedarf es schon mehr als die Übermittlung von auch bei click-TT erhältlichen Ergebnisinformationen. Ovtcharov und Solja gehen mit einigermaßen regelmäßigen und dazu überwiegend auch authentischen Postings in der richtigen Manier auf die Tischtennis-Anhänger zu. Nun sollten allerdings alsbald vom gesamten Tischtennis-Sport Konzepte entwickelt werden, die den Sport lebendiger erscheinen lassen. Vielleicht sollte dabei auch einmal über gänzlich neue Inszenierung des Spiels nachgedacht werden. Was spricht eigentlich gegen Einpeitscher auf den Tribünen?
Ob sich Tischtennisspieler überhaupt für den eigenen Spitzensport interessieren, diese Frage wird in unserem TT-Stammtisch aufgeworfen!
(Dietmar Kramer/DK)
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