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Dietmars Blog: Hat die ETTU richtig entschieden?

Dimitrij Ovtcharovs Club Orenburg kann seinen Titel in diesem Jahr nicht verteidigen (©Instagramkanal Dimitrij Ovtcharov)

25.05.2020 - Auch ohne einen einzigen Ballwechsel sorgte die Champions League in den vergangenen Tagen und Wochen für Gesprächsstoff. Unserem Blogger Dietmar Kramer sind dabei im Lager des Europa-Verbandes (ETTU) zwischen der Veröffentlichung der Setzlisten für die kommende Saison und der Reaktion auf prominente Kritik an den Absagen von Halbfinals und Endspielen der ausklingenden Spielzeit wegen der Corona-Krise bemerkenswerte Unterschiede aufgefallen.

In Zeiten der erzwungenen Ereignislosigkeit können auch vermeintliche Randnotizen aufhorchen lassen. Nicht nur wegen der Corona-Pandemie sind gleich die zwei jüngsten Veröffentlichungen der ETTU im ausklingenden Monat tiefergehende Betrachtungen wert, denn sowohl die Reaktion des Verbandes auf Kritik von Topspielern wie Dimitrij Ovtcharov an der Absage der entscheidenden Champions-League-Runden als auch die Bekanntgabe der Setzlisten für die kommende Spielzeit in der Königsklasse und im Europe Cup enthielten Gesprächs- und tatsächlich sogar auch Zündstoff.

ETTU-Vorgehensweise steinzeitlich

Pikant erscheint inzwischen besonders die Absage der Halbfinals und der Endspiele in der Champions League. Stellt man einerseits Ovtcharovs Aussagen über die Bereitschaft der vier beteiligten Klubs zu modifizierten Austragungsformen und andererseits die ETTU-Erklärung dazu gegenüber, drängt sich zumindest der Eindruck einer steinzeitlichen Führungskultur in der ETTU-Spitze auf. Weil Ovtcharovs Angaben zum grundsätzlichen Willen der Klubs zu einer späteren Ansetzung eines Final-Four-Turniers an einem neutralen Ort von der ETTU nicht einmal dementiert wird, mutet die Vorgehensweise des Verbandes zudem auch geradezu skandalös an: Sich ohne absolut stichhaltige Argumentation und scheinbar auch kommentarlos über die Wünsche und in diesen Tagen teilweise auch existenziellen Bedürfnisse von professionellen Tischtennis-Unternehmen hinwegzusetzen, zeugt von Pflichtvergessenheit. Danach trotz angeblich vorheriger Konsultationen mit den Klubs den schwarzen Peter an die Vereine weiterzugeben, weil die Teams keinen Widerspruch eingelegt haben (auf welche Regel hätten sich die Klubs auch berufen sollen?), ist ein Schlag ins Gesicht der Vereine.

Die Begründung der Absagen mit der Sicherung eines ordnungsgemäßen Beginns der Saison 2020/21 ist denn auch ein Armutszeugnis: Rund um den Globus kämpfen Verbände und Klubs um die Rückkehr zu einer weitmöglichen Normalität sowie angesichts weggebrochener Einnahmen nicht zuletzt auch die Rettung von überlebenswichtigen Zahlungen und Prämien durch Sponsoren. Aber für das Tischtennis hat ein pünktlicher Beginn der neuen Wettbewerbe Priorität. Dass die ETTU auch noch obendrein auf andere Sportarten verweist, ist gerade in einer Phase international einsetzender Lockerungen und konkreter gewordener Überlegungen zu „Geister-Wettbewerben“ auch in anderen Sportarten als nur Fußball lächerlich.

Fürsorgepflicht für Vereine und Sport verletzt

Dabei ist die Fahrlässigkeit der ETTU-Spitze, die auch noch für das denkbare 12-Stunden-Event Terminschwierigkeiten und - vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Debatten über Möglichkeiten für Urlaubstrips ins Ausland trotz Corona - anhaltende Reisebeschränkungen anführte, beinahe zum Heulen. Nach Lage der Dinge nämlich ist eine durchaus reale Chance auf ein Tischtennis-Fest und damit viel Interesse in der Öffentlichkeit hiermit vernichtet worden. 

Weltweit nämlich hat das Sicherheits- und Hygienekonzept des deutschen Fußballs für die Wiederaufnahme seines Profi-Betriebs große Beachtung und Anerkennung als „Blaupause“ auch für andere Sportarten gefunden, so dass man schon die Frage stellen sollte, warum sich aus der ETTU-Führung zur Rettung des Premiumproduktes Champions League trotz der erheblich einfacheren Rahmenbedingungen im Tischtennis offenbar niemand um eine Ausfertigung dieses hochprofessionellen Plans oder vergleichbare Handlungsrichtlinien bemüht zu haben scheint. Die ETTU hat damit die Fürsorge für ihre Klubs und auch ihren Sport an sich vermissen lassen. Gerade weil andere Sportarten für eine Wiederaufnahme des Spielbetriebs momentan noch viel größere Schwierigkeiten zu bewältigen haben, hätte ein Champions-League-Final-Four die Gelegenheit zu außerordentlich viel Aufmerksamkeit besonders bei den livesport-hungrigen Medien bedeutet. 

Zeitgemäße Reform der Champions-League-Setzung

Im Gegensatz dazu steht dagegen die zeitgemäße Veränderung des Setzungsmodus. Die in der Ankündigung nicht erkennbare Abschaffung der Wertung von Weltranglistenpunkten der jeweils neuen Mannschaften und die stattdessen vorgenommene Einführung einer Drei-Jahres-Wertung (nach Vorbild der weithin bekannten Fünf-Jahres-Wertung im Fußball-Europapokal) beseitigt nach mehr als 20 Jahren einen „Geburtsfehler“ der europäischen Königsklasse: Die neue Regelung stellt nämlich eine Verzahnung mit sportlich erzielten Ergebnissen auf internationaler Bühne her statt bisher nur mit den Kassen der Klubs. Die ab 2021 gültige Zusicherung eines Platzes in der nachfolgenden Champions League für den Gewinner des Europe Cups (früher ETTU-Pokal) ist ebenfalls ein kluger Schachzug, wertet die Aussicht auf den Aufstieg in die Beletage des europäischen Tischtennis den „kleinen“ Europacup zumindest im Prinzip nicht unerheblich auf.

Was nun noch fehlt, ist die Vernetzung mit den nationalen Meisterschaften. Noch immer ist für die Champions League ein schwerer Makel, dass die Qualifikation für den wichtigsten Vereinswettbewerb nicht wenigstens an ein Mindestmaß entsprechenden Erfolgs in der Vorsaison einer Liga gebunden ist (bei allem Respekt vor dem Post SV Mühlhausen ist alleine die diesjährige Teilnahme der Thüringer als Bundesliga-Sechster der zurückliegenden Spielzeit nicht wirklich vermittelbar gewesen). Nicht zuletzt aber muss die Champions League auch noch so viel attraktiver für Vereine werden, dass Verzichtserklärungen wie zuletzt von Meister TTF Liebherr Ochsenhausen oder davor auch „Vize“ TTC RhönSprudel Fulda-Maberzell überhaupt keine Option mehr sind.

So sehr die Reform des Setzungsmodus Zuversicht für weitere fortschrittliche Verbesserungen schürt, so sehr aber dämpft das Champions-League-Vorgehen der ETTU die Hoffnung auch wieder darauf. Man darf also gespannt sein, welchen Weg der Verband nach der Corona-Krise gehen wird.

(Dietmar Kramer)

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