Buntes

„Tuning war mir schon immer ein Dorn im Auge“

Michael Geiger findet Timo Bolls Vorstoß richtig (©Stosik)

01.03.2016 - Wenn Timo Bolls in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung geäußerte Kritik berechtigt ist, versucht gerade bei der Team-WM in Kuala Lumpur ein Großteil der Spieler, sich mit behandelten Belägen einen Vorteil zu verschaffen. Wir sprachen mit Michael Geiger, DTTB-Präsident und ehemaliger Schiedsrichter, über die Schläger der Profis und wie man dieses Problem lösen könnte. Schließlich hat er das Material der Stars jahrelang kontrolliert.

myTischtennis.de: Timo Boll hat mit seinen Anschuldigungen bezüglich des Tunings von Belägen in Profikreisen für ziemlichen Wirbel gesorgt. Was denkt man da als DTTB-Präsident? Ist man stolz, dass es eines der eigenen Zugpferde einmal anspricht, oder denkt man: Oh nein, das gibt sicher Ärger?

Michael Geiger: Zunächst einmal habe ich es mit Interesse gelesen und mich darüber gefreut, dass über unseren Sport geschrieben wird. Wenn ein Timo Boll so etwas äußert, den man sonst eher zurückhaltend kennt, dann ist aber auch klar, dass dies höhere Wellen schlagen wird. Man hat schon lange gemunkelt, dass viele tunen, und mir war früher als Schiedsrichter auch klar, dass die in den Richtlinien definierten Kontrollen, die wir durchzuführen hatten, nicht alle Aspekte abdecken konnten. Ich denke, es ist richtig, solche Dinge, wie Timo sie behauptet hat, anzusprechen.

myTischtennis.de: Sie hatten als ehemaliger Schiedsrichter ja ständig mit den Schlägern der Profis zu tun. Was ist denn Ihre Sicht der Dinge?

Michael Geiger: Wenn man darüber diskutieren will, muss man erst einmal definieren, was erlaubt ist und was nicht - oder ob die Dinge, die gemacht werden, in den Regeln vielleicht gar nicht explizit ausgeschlossen werden. So bezieht sich die ITTF-Zulassung des Belags nur auf das Obergummi, aber nicht auf den Schwamm und das Holz. Das Schlägerblatt muss zu 85 Prozent aus Holz bestehen, was allerdings nicht kontrolliert wird. Und der Schwamm wird nur im Rahmen der vorgegebenen Belagdicke behandelt, in der er mit eingeschlossen ist. Die Schiedsrichter müssen nun vergleichen, ob der Ist-Zustand mit dem Soll übereinstimmt. Hieran schließt sich aber das große Dilemma an: Das, was wir da bei den Schlägerkontrollen machen, ist dafür nicht ausreichend. Von daher bin ich bei neuen Vorstößen in diesem Bereich vor allem skeptisch, ob die Überprüfbarkeit von heute auf morgen gewährleistet werden kann. Also, dass neue Messmethoden schon bei den Olympischen Spielen angewendet werden sollen, sehe ich noch nicht.

myTischtennis.de: Also war Timo Bolls Gang an die Öffentlichkeit für die Katz’?

Michael Geiger: Den Vorstoß an sich, dass ein Spitzenspieler sich benachteiligt fühlt und dies öffentlich äußert, halte ich für richtig. Nur so können Prozesse beschleunigt in Gang kommen. Man muss seine Meinung sagen und dann diskutiert man darüber.

myTischtennis.de: Sie hatten als Schiedsrichter direkten Zugang zu den Profischlägern. Können Sie sich vorstellen, dass Boll mit seiner Behauptung, 80 % der Schläger seien nicht regelkonform, Recht hat?

Michael Geiger: Vorstellen muss ich mir alles können. Ich bin Wirtschaftsprüfer, da muss man eine kritische Grundhaltung haben, sonst ist man fehl am Platz. Die behaupteten 80 % kann ich ebenso wenig ausschließen wie jede andere Prozentzahl, zumal das ja auch nicht geprüft werden kann. Allerdings ist Timo da auch viel näher dran.

myTischtennis.de: Was wäre aus Ihrer Sicht jetzt die richtige Vorgehensweise?

Michael Geiger: Zunächst muss man prüfen, ob die zu kontrollierenden Eigenschaften überhaupt ausreichend definiert sind. Zugelassen wird nämlich nur der Belag, nicht der zugehörige Schwamm. Damit kenne ich aber - abgesehen von der maximalen Dicke - auch nicht die Eigenschaften des Schwamms und kann deshalb nicht beurteilen, ob er behandelt und dadurch verändert wurde. Boostern soll sich aber vor allem auf den Schwamm auswirken. Spezifiziert man hier also die Regeln oder gibt man gleich alles frei? Gesundheitsschädlich ist es schließlich nicht. Und wenn man die Betrüger verfolgen will, wird man immer hinterlaufen. Derjenige, der etwas entwickelt, hat immer einen Vorsprung. Ein neues Phänomen taucht auf und darauf wird reagiert. Das ist im Radsport oder Skispringen nicht anders. Solche Entwicklungen können den Sport auch spannend machen. Man muss sich die Optionen anschauen, die möglichen Konsequenzen durchspielen und am Schluss bewerten. Dafür war Timos Interview ein guter Beitrag, dass dieses Problem nun breit und ergebnisoffen diskutiert wird.

myTischtennis.de: Die Spieler sollen jetzt auch ihr Einverständnis gegeben haben, ihren Belag vom Holz zu reißen, damit dieser untersucht werden kann. Inwiefern hilft das?

Michael Geiger: Das hilft enorm, weil man dann zum Beispiel auch sehen kann, was drunter ist. Wurde das Holz womöglich im Bereich der Haupttrefferfläche abgeschmirgelt, damit der Belag dort etwas dicker sein kann als erlaubt? Aber wir sprechen hier ja nur über den absoluten Spitzenbereich. Was ist mit dem Bundesligaspieler? Wird bei ihm die Einhaltung dieser Regel nicht überprüft? Vielleicht muss man auch über die Regel an sich nachdenken. Regel und Nachweisverfahren müssen eine Einheit sein, damit man ans Ziel kommt.

myTischtennis.de: Wie, denken Sie, geht es in der Sache jetzt weiter?

Michael Geiger: Die Japaner machen sich auch schon lange darüber Gedanken, haben gerade erst wieder ein neues Testverfahren vorgeschlagen. Und Jun Mizutani hat auf die Problematik auch schon einmal hingewiesen. Also Timo steht da nicht alleine. Trotzdem gibt es 222 Verbände, die über Anträge abstimmen. Und Deutschland hat nur eine Stimme, auch wenn Tischtennis hier viel mehr Bedeutung hat als in anderen Staaten. Ich bin auf jeden Fall froh, dass das Tuning jetzt mal angesprochen wurde. Mir war das schon immer ein Dorn im Auge.

(JS)

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