16.07.2025 - Wenn Arbeitskollegen zu Mitspielern oder Gegnern werden, ist der Betriebssport in Aktion – und das längst nicht nur zum Ausgleich am Feierabend. Besonders im Tischtennis blickt die Sparte auf eine lange Geschichte zurück. Doch wie ist der Betriebssport in Deutschland heute organisiert und wie hat er sich entwickelt? Die myTischtennis-Redaktion hat mit zwei engagierten Aktiven gesprochen und zeigt, wie vom Werksgelände bis zur EM echte Gemeinschaft, sportlicher Ehrgeiz und sogar ein früherer Weltklassespieler die Szene mitprägen.
Die Luft riecht noch nach Schmieröl, irgendwo klirrt eine Metalltür. Es ist Mittag, Feierabend auf dem Industriegelände von Ruhrchemie in Oberhausen – doch für Friedhelm Hobert beginnt jetzt erst die zweite Schicht. Keine Überstunden, sondern Tischtennis. Der Spieler der 2. Bezirksklasse des TuS Borth (WTTV) ist inzwischen im Ruhestand, doch nach wie vor aktiver Betriebssportler. „Angefangen hat alles im Jahr 2014, als ein Sportkamerad aus der Firma, der auch im Betriebsrat war, mich davon überzeugt hat“, erinnert sich der 68-jährige Rentner an seinen Einstieg bei der BSG Eintracht Waldhuck. Heute schlägt Hobert für die SG Eintracht Rheinhausen, seinen Betriebssportverein, in Duisburg auf.
Vom Werk in die Stadtliga: Keine Überschneidungen mit dem normalen Spielbetrieb
Was auf den ersten Blick wie ein entspannter Ausklang der Work-Life-Balance wirkt, hat eine tief verwurzelte Tradition: Die Ursprünge des Betriebssports reichen bis ins späte 19. Jahrhundert zurück. Damals gründeten Arbeiterbewegungen erste Sportgruppen zur Förderung von Gesundheit und Gemeinschaft. Vieles hat sich seitdem verändert: Einst fester Bestandteil großer Unternehmen wie der Mannesmann AG in Düsseldorf, hat sich der Betriebssport im Laufe der Zeit zu einem offenen System entwickelt. Statt reiner Werksmannschaften sind immer mehr Spielgemeinschaften entstanden, in denen auch Vereinsmitglieder ohne direkte Firmenzugehörigkeit mitspielen, weiß Hobert, der in einer Stadtliga in die Box geht.
Acht Mannschaften aus verschiedenen Kreisverbänden - darunter Oberhausen, Duisburg, Essen und Mülheim an der Ruhr - treten regelmäßig auf regionaler Ebene gegeneinander an. Die Spielstruktur ähnelt dem Bundessystem: Vierer-Mannschaften mit zwei Doppeln und acht Einzeln. Die Spiele steigen meist unter der Woche, in enger Abstimmung mit dem regulären Ligabetrieb im WTTV. „So gibt es keine Überschneidungen. Durch den Betriebssport ist es problemlos möglich, in zwei Vereinen zu spielen“, sagt Hobert.
Außendienstler Mazunov holt EM-Medaille auf Mallorca
Während der Borther die Basis verkörpert, gilt die Firma Bilgram Chemie GmbH aus Ostrach, zwischen Bodensee und Ochsenhausen gelegen, als einer der bundesweiten Vorreiter für den höherklassigen Betriebssport. Im Werk werden auch Belagreiniger und Klebstoff hergestellt. Seit 2020 nimmt das Unternehmen jährlich abwechselnd sogar an Europa- und Weltmeisterschaften im Betriebssport teil – mit großem Erfolg: Ob aus Athen, Arnheim oder Bordeaux, die Medaillen kamen stets zurück nach Süddeutschland. Noch mehr konnte das Kollegen-Team bei den 25. europäischen Betriebssportspielen Ende Juni auf Mallorca glänzen. Ein besonderer Trumpf auf der Urlaubsinsel: Dimitrij Mazunov. Der mehrfache russische Olympiateilnehmer, bis zur Auflösung des Vereins 2024 beim TTC Neu-Ulm und zuvor auch bei den TTF Liebherr Ochsenhausen als TTBL-Trainer tätig, ist seit einem Jahr halbtags als Außendienstler im Salzbereich von Bilgram angestellt.
Nach dem Ende seiner Profi-Karriere und dem Trainer-Aus in der Bundesliga fand der 54-Jährige beruflich wie sportlich eine neue Heimat und greift seit Sommer gemeinsam mit seinem Arbeitskollegen Christian Narr sowie dem tischtennisbegeisterten Geschäftsführer Hugo Bilgram beim nahegelegenen TTBW-Klub TTF Altshausen zum Schläger und ist dort auch als Coach aktiv. In der vergangenen Spielzeit gelang der ersten Mannschaft der Aufstieg in die Verbandsoberliga. „Dimitrij Mazunov ist eine Legende, ein Veteran. Unser Chef beschäftigt viele Tischtennisspieler“, erklärt Narr. Die selbsterrichtete, firmeneigene Halle steht den Mitarbeitern nach Feierabend zum Training zur Verfügung.
Duelle gegen Lufthansa und Porsche, sogar Timo Boll gratulierte
Bei den großen Turnieren treffen Bilgram und Co. auf starke Konkurrenz – etwa von Lufthansa oder Porsche. Deutschland spielt regelmäßig vorne mit. Bei den European Company Games starten in der Regel Dreier-Mannschaften im Einzel und Doppel über zwei Gewinnsätze. Bilgram nahm eine goldene (Senioren) und eine silberne Medaille (Aktive) mit nach Hause. Doch es geht um mehr als nur das Podium. Betriebssport fördert Teamgeist, verbindet Generationen und schafft neue Netzwerke. Das Miteinander steht im Vordergrund – ganz ähnlich wie bei Seniorenturnieren. Und auch zu Timo Boll gibt es eine Verbindung: Sogar der scheidende Rekord-Europameister gratulierte dem Unternehmen über das Job-Portal LinkedIn mit persönlichen Worten zum Titelgewinn.
„Die Betriebs-Europa- und Weltmeisterschaften sind ein wichtiger Teil der Tischtennisszene und bieten eine Plattform für Unternehmen und ihre Mitarbeiter, um ihre Leidenschaft für den Sport auszuleben“, sagt Narr. Sein Wunsch: mehr öffentliche Aufmerksamkeit und gezielte Förderung – national wie international. Die nächste große Bühne ist bereits in Sicht: 2026 steigt die WM im dänischen Frederikshavn. Ob Mazunov und sein Team dann erneut Edelmetall mit nach Hause bringen, bleibt abzuwarten. Friedhelm Hobert jedenfalls blickt mit Freude auf die kommende Stadtliga-Saison mitten im Ruhrgebiet – dort, wo für ihn einst alles begann.
INFO:
Der Betriebssport in Nordrhein-Westfalen ist über den Betriebssportverband NRW (BSV NRW) organisiert (Website/Regelwerk). Auch die Bundesebene wird über den Deutschen Betriebssportverband koordiniert (betriebssport.net). Die Zeitschrift Sport im Betrieb liefert regelmäßig Einblicke in diese Szene (zur Zeitschrift).
Der im Jahr 1954 gegründete DBSV ist ein wichtiger Teil des gesamten organisierten Sports in der Bundesrepublik Deutschland. Er ist Mitglied im Deutschen Olympischen Sportbund e.V. (DOSB) als Verband mit besonderen Aufgaben (VmbA) und vertritt derzeit ca. 200.000 dem Verband gemeldete aktive Sportlerinnen und Sportler, die in den Bereichen Gesundheits-, Freizeit- und Breitensport in aktuell 103 verschiedenen Sportarten / Aktivitäten ihren Betriebssport ausüben.
Mitglieder der Landesbetriebssportverbände (LBSV'e) und Direktmitglieder des DBSV können neben den nationalen Wettbewerben auch an den Weltspielen des Betriebssports der WFCS (Weltbetriebssportverband) und den Europäischen Betriebssportspielen der EFCS (Europäischer Betriebssportverband) teilnehmen. Der DBSV ist Mitgliedsverband sowohl in der EFCS als auch in der WFCS.
Zu den Ergebnissen von der EM auf Mallorca.
(FKT)
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