29.11.2024 - Vier Jahre lang war Zhu Yuling von der Bildfläche verschwunden. Nun ist die vierfache Weltmeisterin und ehemalige Weltranglistenerste aus China zurück und hat bereits ihr erstes WTT-Turnier gewonnen. Dabei ist die 29-Jährige inzwischen mit einem komplett anderen Mind-Set unterwegs als noch vor vier Jahren. Nach überstandener Krankheit hat sich ihr Fokus im Leben um 180 Grad gedreht, so dass sie nun wohl die Einzige auf der Tour ist, die Tischtennis nur als Hobby ansieht.
2017 war Zhu Yuling schon einmal in Düsseldorf. Damals lieferte sie sich im Finale der Individual-WM ein heißes Rennen mit ihrer Teamkameradin Ding Ning, in dem die Bälle nur so über den Tisch schossen. Am Ende wurde zwar die Rivalin zur Weltmeisterin gekrönt, dafür sicherte sich Zhu im selben Jahr noch den World Cup und übernahm erstmals die Führung in der Weltrangliste. Sieben Jahre später ist die inzwischen 29-Jährige wieder zu Gast in der Rheinmetropole, allerdings ist diesmal alles anders. Nicht nur, dass sie nun an einem Turnier der untersten WTT-Kategorie, einem Feeder, und nicht am wichtigsten ITTF-Event des Jahres teilnimmt. Oder dass sie für Macau und nicht für ihre Heimat China antritt. Vor allem ist ihre Einstellung eine völlig andere als damals bei der WM in der Messe Düsseldorf. „Früher war Tischtennis meine Karriere und hat mein ganzes Leben bestimmt. Jetzt ist es nur mein Hobby. Das ist eine große Veränderung“, erzählt Zhu im Bistro des Deutschen Tischtenniszentrums, wo Mitte November das WTT Feeder Düsseldorf II stattfand. „Früher war bei mir alles nur auf Tischtennis ausgerichtet, ich habe nur gespielt, um zu gewinnen. Aber jetzt beeinflusst es mein Leben nicht mehr, ob ich mit einem Sieg oder einer Niederlage vom Tisch gehe.“
Geschäftsfrau, Universitätsdozentin, Tischtennisspielerin
Zhu Yulings Fokus im Leben hat sich in den vergangenen Jahren komplett verschoben. Im August 2020 berichtete die ITTF vom Ausfall der Top-Athletin wegen eines Problems mit ihrem Immunsystem. Danach kehrte sie vier Jahre lang nicht mehr auf die internationale Tischtennisbühne zurück. Es sei kein Krebs gewesen, wie zeitweise gemutmaßt wurde, erzählt die Chinesin, ihre Erkrankung erforderte aber eine Operation und eine sechsmonatige Pause. Ein krasser Einschnitt für die Nationalspielerin, zumal die Konkurrenz nicht schlief und ständig neue, jüngere Spielerinnen nachrückten. „Wir trainieren in China um die sieben, acht Stunden pro Tag. Als ich mit dem Training aufhörte, verschlechterte sich auch mein Level“, berichtet die vierfache Weltmeisterin. „Als ich die gesundheitlichen Probleme bekam, entschied ich mich für einen Karrierewechsel und ging zur Universität.“ Das war auch der Ratschlag ihrer Eltern gewesen, denen eine Halbleiter-Firma gehört, in der ihre Tochter nach dem Rückzug aus dem Leistungssport mithalf. Inzwischen arbeitet sie in leitender Funktion im Unternehmen, schreibt an ihrer Doktorarbeit im Bereich Wirtschaftsmanagement und ist Sport-Dozentin an ihrer Universität.
„Ich bin jetzt ein Multitasker“, lächelt Zhu. „Ich habe jeden Tag viele verschiedene Sachen zu tun, kann aber nicht sagen, was davon meine Lieblingsaufgabe ist, weil ich mein ganzes Leben gerade sehr mag.“ Manchmal kollidieren die Aufgaben allerdings auch - zum Beispiel, wenn sie gerade bei einem WTT Feeder in Düsseldorf ist, während ihr wöchentlicher Kurs an der Uni stattfindet. „Also habe ich ein Video aufgenommen und nach China geschickt, damit meine Studenten am Mittwoch Aufschläge üben“, lacht die 29-Jährige. Ihre Studenten seien mit ein Grund dafür, dass sie trotz ihres vollen Terminplans den Weg zurück auf die internationale Tischtennisbühne gefunden hat. Denn auch wenn ihr eigenes Studium und die Firma ihrer Familie nichts mit Tischtennis zu tun haben, unterrichtet sie ihre Studenten wöchentlich in dem Sport, in dem sie selbst so viele Erfolge gefeiert hat. „In diesem Rahmen rede ich noch immer sehr viel über Tischtennis. Vielleicht ist das die Motivation für mein Comeback, weil ich jeden Tag noch sehr nah am Sport dran bin“, überlegt Zhu. „Also habe ich meine Meinung geändert: Ich möchte zurückkommen.“
Ungewohnte Bühne bei WTT
Dies tat sie im September beim WTT Champions in der Sonderverwaltungszone Macau, unter deren Flagge sie ab jetzt auch antritt. Zhu hat einen Teil ihrer Kindheit in Guangdong, an der Grenze zu Macau, verbracht, so dass sich die Sonderverwaltungszone wie ihre zweite Heimat anfühle. Das Champions-Turnier, für das sie eine Wildcard erhielt, war das erste WTT-Event ihrer Karriere. Denn vor ihrem Rückzug war man noch auf der ITTF World Tour unterwegs gewesen. „Ich war sehr nervös“, gibt die ehemalige Nummer eins der Welt zu. „Ich war es gewöhnt, dass mehr Licht in der Halle ist, bei dem WTT-Champions-Turnier ist nur der eine Tisch beleuchtet, wie auf einer Bühne. Also liegt der komplette Fokus auf dir.“ Wohler fühlte sie sich beim WTT Feeder in Cagliari, wo sie im Oktober antrat. Während sie in Macau nach ihrem Erstrundensieg gegen die Polin Natalia Bajor ihrer ehemaligen Doppelpartnerin Wang Manyu gratulieren musste, gewann sie das Turnier in Italien, das sie mehr an die früheren, ihr geläufigen ITTF-Wettkämpfe erinnerte. Die Feeder in Düsseldorf und in Nova Vila de Gaia waren dagegen recht schnell für sie beendet. Doch für die Chinesin macht dies keinen Unterschied. „Egal, ob ich einen Wettbewerb gewinne oder verliere: Ich muss nächste Woche trotzdem meinen Unterricht geben oder an meiner Doktorarbeit schreiben“, stellt sie klar. „Das unterscheidet mich von den anderen Spielern, die an diesen Wettkämpfen teilnehmen. Sie machen das hauptberuflich und wollen so viel erreichen, wie sie können. Ich bin wahrscheinlich die Einzige, die hier nicht den professionellen Weg geht, sondern es als Hobby betrachtet.“
Und wie bei einem Hobby üblich, hat man dafür als Geschäftsfrau und Universitätsdozentin nicht übermäßig viel Zeit übrig. Dreimal pro Woche geht Zhu für eineinhalb bis zwei Stunden zum Training in die Halle, einen Trainer hat sie dabei aber nicht. Wozu auch? Die Zeit, in der sie den Titeln nacheiferte, sind für sie endgültig vorbei. „Vor fünf Jahren hatte ich ganz klare Ziele, die ich erreichen wollte“, betont sie. „In China ist gewinnen alles, was zählt. Aber jetzt geht es mir nur um den Spaß.“ Und den hatte sie auf ihrer kleinen Hobby-Tour durch Europa fernab von der Jagd nach Weltranglistenpunkten, Preisgeldern und Titeln ganz offensichtlich.
(JS)
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