25.02.2024 - Bei einer Tischtennis-WM wird nicht nur Spitzensport betrieben, im Hintergrund treffen sich auch viele Fachleute, um über verschiedene Dinge zu beraten und zu entscheiden. DTTB-Sportdirektor Richard Prause ist Teil einer Weltranglisten-Arbeitsgruppe der ITTF, die zwar nur beratende Funktion hat, sich aber für 2024 viel vorgenommen hat. Im Interview erzählt Prause, ob er das Ranking aktuell für aussagekräftig hält und wie er es gestalten würde, wenn er entscheiden dürfte.
myTischtennis.de: Bei einer ITTF-Ratsversammlung wird im Rahmen der WM in Busan über einen Antrag des dänischen Verbands abgestimmt. Danach soll es bei Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen wieder mehr Weltranglistenpunkte zu gewinnen geben als bei Grand Smashes, die aktuell gleichwertig behandelt werden. Wie lautet deine Meinung zu dem Vorschlag?
Richard Prause: Für uns sind Weltmeisterschaften und Olympische Spiele immer noch die herausragenden Events, das sieht man auch hier sehr gut. Ein Grand Smash ist zwar ein neues und ganz großes Event, aber ich persönlich könnte gut damit leben, wenn man die WM und Olympia wieder höher ranken würde.
myTischtennis.de: Zumal die Grand Smashes ja auch noch nicht den Anforderungen entsprechen, die anfangs an sie gestellt wurden. So gab es etwa bislang noch kein Jahr, in dem wirklich vier dieser Turniere stattgefunden haben. Ist der Schritt, sie mit den bisherigen Top-Turnieren gleichzustellen, aus deiner Sicht zu früh gekommen und hätte man dem Event erst mal Zeit geben müssen, sich zu etablieren?
Richard Prause: Ich glaube, dass das Konstrukt WTT Corona ein wenig zum Opfer gefallen ist. 2024 wird es einen Grand Smash in Singapur und Saudi-Arabien geben - man hört auch, dass ein dritter geplant ist. Wenn es so käme, wäre das ja schon mal was. Aber im Augenblick sind es die WM und Olympischen Spiele, für die sich die Spieler zerreißen. Und der Grand Smash ist vielleicht erst auf dem Weg dahin. Deswegen hätte man das durchaus vielleicht ein bisschen langsamer angehen können.
myTischtennis.de: Eine Veränderung bezüglich der Weltrangliste wurde in den vergangenen Monaten bereits vorgenommen. So kann man nun auch bei großen Teamwettbewerben wieder Punkte für die Einzelweltrangliste gewinnen - wie auch hier in Busan. Ist das eine Entwicklung, die du befürwortest?
Richard Prause: Ich glaube, dass es grundsätzlich eine gute Entwicklung ist, weil Tischtennis zwar auf der einen Seite eine Einzelsportart ist, aber trotzdem von einer Mannschaft lebt. Das hat man oft genug festgestellt, dass die Mannschaft mehr ist als eine Addition der Einzelergebnisse, dass Spieler im Team über ihrem Level spielen, sich in einen Rausch spielen. Insofern finde ich es eine gute Sache. Aber ich finde es nicht glücklich, dass man das jetzt so kurz vor Olympia einführt.
myTischtennis.de: Beide Dinge, die wir jetzt angesprochen haben - die Wertigkeit von WM und Olympischen Spielen und die Berücksichtigung von Teamwettbewerben für die Einzelweltrangliste - sind ja keine neuen Ideen, sondern waren früher schon einmal so. Nun macht die ITTF gegebenenfalls wieder eine Rolle rückwärts. Ist das aus deiner Sicht begrüßenswert, weil man damit einen Fehler wiedergutmacht, oder lässt das den Verband unentschlossen erscheinen?
Richard Prause: Alles mit „zu“ ist schlecht. Und ich glaube, am Anfang wurde über die Grundsystematik, um die es ging, zu schnell entschieden. Ich finde, es zeugt von Größe, wenn man eingesteht: Hier müssen wir nachbessern. Man wollte hier am Anfang gerne was komplett Neues machen, die alten Zöpfe abschneiden, aber manchmal trifft man dann zu schnelle Entscheidungen. Und dann wiederum muss man die Größe haben, zu sagen, dass nicht alles optimal war, und sich öffnen, um es noch mal anzupassen.
myTischtennis.de: Ich habe den Eindruck, dass das Ansehen der Weltrangliste stark verloren hat. Bildet sie noch die Spielstärke ab - oder soll sie das überhaupt noch?
Richard Prause: Sie soll ein Zwischending erfüllen. Sie soll natürlich die Spielstärke abbilden, aber auch die Möglichkeit einer hohen Fluktuation eröffnen. Damit man nicht wieder den Zustand von früher hat, als man, wenn man einmal oben angekommen war, dort auch über Jahre blieb. Dafür hat man sich das eine oder andere beim Tennis abgeguckt. Wir müssen uns als konservativ strukturiertes Tischtennis davon lösen, dass eine Rangliste über 36 oder 48 Monate läuft, sondern nur eine Zwölf-Monats-Rangliste ist. Wenn man die Topspieler nicht dazu bringt, viel zu spielen, oder sie vielleicht verletzt sind, dann hakt es natürlich an der einen oder anderen Stelle. Aber ich glaube schon, dass die Spielstärke in weiten Teilen richtig abgebildet wird.
myTischtennis.de: Was ist aber zum Beispiel mit den Siegern der Kontinentalwettbewerbe, die alle gleich viele Punkte bekommen, egal wie stark die Konkurrenz auf dem Kontinent ist? Ich erinnere mich gut an Ozeanienmeister Aditya Sareen, der plötzlich 39. der Welt war.
Richard Prause: Die Kontinentalwettbewerbe sind auf jeden Fall ein Knackpunkt. Wenn ein Spieler 509 Punkte hat, neun Punkte von einem WTT Feeder und 500 Punkte von einem Kontinentalturnier, und er kommt damit unter die Top 40, dann ist das nicht gut und dann muss darüber gesprochen werden. Aber es ist nicht so einfach. Wenn man alle Kontinentalpunkte absenkt, bestraft man damit die starken Kontinente. Andere Ansätze gehen in die Richtung, dass man die Kontinentalturniere in Relation dazu staffelt, wie viele Topspieler daran teilnehmen. Aber am Ende braucht man für solch einen Vorschlag halt eine große Mehrheit im ITTF Executive Board.
myTischtennis.de: Ist denn eine Wiedereinführung der Rating Points als Bonus auch noch im Gespräch - also dass man zusätzlich auch Punkte dafür bekommt, je nach dem, wie stark der besiegte Gegner war?
Richard Prause: Das ist einer der Punkte, über die wir in der Arbeitsgruppe gerade diskutieren. Das könnte zum Beispiel in die Richtung gehen, dass man, wenn man das Halbfinale eines Champions-Turniers erreicht, zusätzlich zu den 350 Punkten, die es dafür gibt, noch 100 Punkte bekommt, wenn man zwei Top-10-Spieler besiegt hat. Das fände ich spannend, aber das ist nur meine persönliche Meinung. Und das Feld an Ideen und Überlegungen, über die wir sprechen, ist sehr weit.
myTischtennis.de: Wie würdest du das Weltranglistensystem denn gestalten, wenn du die Entscheidungsgewalt hättest?
Richard Prause: Ich würde wohl den komplizierten Weg gehen - mit der Gefahr, dass die Rangliste dann schwieriger zu verstehen ist. In Sachen Kontinentalturniere würde ich Wettbewerben, an denen 20 Spieler aus den Top 100 teilnehmen, mehr Punkte zugestehen als jenen, bei denen nur zwei mitmachen. Dann würde ich über die Bonuspunkte nachdenken, die es noch on top gäbe. Und in Sachen Wertigkeit von Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen könnte ich gut mit den Dänen mitgehen. Das wären drei Punkte - aber dafür müsste man halt auch erst mal eine Mehrheit bekommen.
myTischtennis.de: Welche Projekte hat sich die ITTF oder eure Arbeitsgruppe nun für 2024 vorgenommen?
Richard Prause: Wir werden das ganze System evaluieren, das ist der große Plan. Wir haben uns hier in Busan das erste Mal zum Thema Evaluierung getroffen und werden nun Punkte identifizieren, an denen es hakt. Am Ende muss das Ganze dann natürlich auch wieder durch das Executive Board. Aber wir hoffen, dass wir die Ranglistensystematik zum 1. Januar 2025 verbessern können.
(JS)
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