18.02.2024 - Eigentlich hatte Jia Liu ihre Karriere bereits beendet. Doch die 42-Jährige, die den österreichischen Tischtennissport über zwei Jahrzehnte mit geprägt hat und unter anderem Europameisterin wurde, kam zurück, um sich in den Dienst ihrer Mannschaft zu stellen und mitzuhelfen, den österreichischen Olympia-Traum zu erreichen. Bei der WM in Busan, wo es Startplätze für Paris zu gewinnen gibt, wartet ihr Team noch auf den ersten Sieg, auch wenn Liu quasi ohne Training wieder vorne mitspielt.
Mit dickem Schal und gefütterter Jacke macht sich Jia Liu hinter der österreichischen Bank ein bisschen warm. Es ist kalt in der zweiten Halle der Team-WM in Busan, sie ist nicht die Einzige, die in winterlicher Kleidung auf ihren Einsatz wartet. Für ihre Mannschaft geht es um viel. Die Österreicherinnen möchten sich in Südkorea ihren Olympia-Startplatz erspielen. Dafür wäre der Einzug ins Viertelfinale die Voraussetzung. Und die Vorrundengruppe sechs ist durchaus machbar, auf den ersten Sieg warten die Österreicherinnen jedoch trotzdem. Nach dem 1:3 gegen Hongkong im ersten Spiel hofft man nun auf einen Sieg gegen Portugal. Direkt im ersten Match holte Liu einen Punkt gegen Shao Jieni, Sofia Polcanova erhöhte gegen Fu Yu auf 2:0. Doch die Portugiesinnen kamen zurück - und nun hängt es im letzten Einzel von Liu ab, das Ruder wieder herumzureißen.
Liu bewegt sich gut, hält mit Yu mit, obwohl sie kaum noch trainiert. „Ich schaffe es nicht mehr, so viel zu trainieren, und werde auch nicht mehr besser durch das Training“, erklärt sie später mit einem Schmunzeln. „Ich habe ein gutes Ballgefühl und halte mich körperlich natürlich trotzdem fit. Aber Tischtennis habe ich mein ganzes Leben lang trainiert, das reicht.“ Gegen Yu reicht es am Schluss nicht, auch wenn alle vier Sätze sehr knapp sind und der Entscheidungsdurchgang schon zum Greifen nah war. „Wenn du 2:0 führst und dann noch eingeholt wirst… Das war irgendwie zu viel Stress für mich“, erklärt sie nach dem Match. Der Sieg wäre wichtig gewesen, nun darf sich Österreich quasi keinen Fehler mehr leisten, um doch noch unter die besten Drei der Gruppe zu kommen und die Möglichkeit der Olympia-Qualifikation offen zu halten. Liu selbst wäre dafür nach ihrem erklärten Karriereende im Jahr 2022 nicht mehr zurückgekommen. Sie war bereits sechs Mal bei Olympischen Spielen und hatte keine Ambitionen, in den erlesenen Kreis derjenigen einzutreten, die sieben Teilnahmen auf dem Buckel haben. „Aber der Österreichische Tischtennisverband hat mich schon mehrmals gefragt und da ich so viele Jahre unterstützt wurde, war es jetzt Zeit, etwas zurückzugeben“, erklärt die 42-Jährige, die in Busan ihren Geburtstag feierte. „Unsere jungen Leute sind noch nicht ganz so weit und da wollte ich nun in diesem wichtigen Moment ein wenig unterstützen.“
In Paris nur für die Mannschaft da
Falls das Olympia-Ticket gelöst wird, ist für Liu auch ganz klar, dass sie in Paris kein Einzel mehr spielen wird. „Ich bin hier, um meiner Mannschaft zu helfen“, stellt sie klar. „Mein Fokus im Leben ist jetzt ganz woanders - und ich genieße mein Leben gerade so sehr.“ Die eigenen sportlichen Ziele treten da - als Mutter und hauptberuflich in einem Brotunternehmen arbeitend - eher in den Hintergrund. Für die Ziele ihrer Mannschaft und ihrer Schützlinge kämpft sie dagegen mit Inbrunst. So unterstützt sie den Österreichischen Verband auch im U15-Bereich. „Das ist wirklich ein großes Ziel von mir, dass ich die Mädchen so weit bringe, dass sie irgendwann zu den Olympischen Spielen fahren dürfen.“ So ganz lässt sie das Tischtennisspielen im ‚normalen Leben‘ aber auch noch nicht sein. Seit ihrem Comeback im Mai 2023 spielt sie für den französischen Verein Saint-Denis und hält sich spielerisch dort ein wenig „warm“, wie sie erzählt. „Und viele Dinge sind auch einfach Kopfsache und mit Erfahrung wettzumachen.“
In Busan ist ihre Erfahrung nun mehr denn je gefragt. Es stehen noch Spiele gegen Kasachstan und Australien auf dem Programm, um zunächst den Sprung aus der Gruppe in die K.-o.-Runde zu schaffen - und dann ins Viertelfinale. Liu steht bereit - sowohl für den Kampf um den Olympia-Startplatz als dann gegebenenfalls auch für Paris. Winterjacke und Schal könnte sie dann jedenfalls zu Hause lassen, wenn es Ende Juli noch einmal an die Seine ginge.
(JS)
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