Buntes

Liang Qiu: Mehr als nur der "Bruder von Dang"

Liang Qiu triumphierte Ende Januar bei den baden-württembergischen Meisterschaften. (©Volker Arnold/TTBW)

03.02.2023 - Mit seinem ersten Titel bei den baden-württembergischen Einzelmeisterschaften hat sich Liang Qiu Ende Januar wieder in den Fokus gespielt. Im Gespräch mit der myTischtennis.de-Redaktion erklärt der 27-Jährige, wie er seinen stressigen Berufsalltag als Controller mit dem Tischtennis vereint und warum er den Leistungssport noch nicht komplett aufgegeben hat. Der ehemalige Bundesligaspieler spricht auch über das Verhältnis zu seinem jüngeren Bruder Dang, der ihn mit seiner rasanten Entwicklung sportlich in den Schatten gestellt hat.

Als Liang Qiu am 21. Januar die Umkleidekabine der Georg-Fink-Sporthalle in Gerstetten für seine Teilnahme an den baden-württembergischen Einzelmeisterschaften betrat, erlebte er eine Situation, die sich in der jüngeren Vergangenheit immer öfter ereignete. „Du bist doch der Bruder von Dang, oder? Hast du auch über 2.000 TTR-Punkte?“, war Qiu von einem jüngeren Starter gefragt worden und lachte. „Ich hätte nicht gedacht, dass ich so schnell in Vergessenheit gerate.“ Das Gespräch diente dem 27-Jährigen erst recht als Ansporn. Der deutsche Jugendmeister von 2012 (Finalsieg gegen Benedikt Duda) zeigte der Konkurrenz, dass mit ihm immer noch zu rechnen ist. Auch wenn er sich im sechsten Anlauf erstmals zum baden-württembergischen Meister krönte – 2014 unterlag der damals 17-Jährige Lei Yang im Endspiel -, wollte Qiu dem Triumph keinen zu großen Stellenwert beimessen: „Ich habe mich natürlich gefreut, weil ich lange kein Turnier gewonnen habe und wollte mich noch mal für die deutschen Meisterschaften qualifizieren.“

Dang auf der Überholspur: Erinnerung an Brüder-Duell in der TTBL

Lange Zeit entwickelten sich die Qiu-Brüder auf Augenhöhe weiter. Es schien unklar, wer von den beiden eher durchstartet und ob einer von ihnen irgendwann den Sprung in die Weltspitze schafft. Liang, der am 9. Februar seinen 28. Geburtstag feiert und damit knapp eineinhalb Jahre älter ist als Dang, nimmt den rasanten Aufstieg seines kleinen Bruders mit viel Freude wahr und wollte der Familienehre mit dem Gewinn des TTBW-Meistertitels auch deshalb gerecht werden. „Ich musste ja fast schon gewinnen, wenn er schon amtierender deutscher Meister und Europameister ist“, scherzt Liang mit Blick auf den steilen Aufstieg des Nationalspielers. Dang habe sich den Erfolg hart erarbeitet, so der 27-Jährige. „Er hat nach dem Abi voll auf die Profikarte gesetzt und ist alleine nach Düsseldorf gezogen, während ich zuhause geblieben bin. Vielleicht hat mir ein bisschen der Mut gefehlt oder ich war zu bequem, um den Extra-Weg zu gehen“, äußert sich Liang ein wenig nachdenklich und gibt zu, dass die Leistungsexplosion des Weltranglistenzehnten in diesem Ausmaß so schnell nicht zu erwarten gewesen sei.

„Ich wusste immer schon, dass er sehr gefährlich und auf einem hohen Niveau spielen kann“, ergänzt Liang. „Viele aus der jüngeren Generation glauben mir nicht, dass ich bis Anfang 20 noch einen Tick besser war als er.“ Das Penholderspiel war für ihn jedoch nie eine Überlegung wert. Auch Dang hielt den Schläger zunächst im Shakehandgriff und stieg aufgrund einiger Rückhanddefizite früh um. Zuletzt haben sich die Brüder, die beide in Frickenhausen ihre TTBL-Premiere feierten, an Weihnachten gesehen. Der Konkurrenzgedanke und der Sport sind dann nicht unbedingt Gesprächsthema Nummer eins. Ohnehin haben die Qius ein gutes Verhältnis und schreiben oft hin und her. Ein Duell bei den deutschen Meisterschaften in Nürnberg soll es dann aber lieber nicht werden. „Das wäre unangenehm“, stellt Liang klar und erinnert sich an das letzte Aufeinandertreffen zurück. Am 11. September 2016 gelang Dang mit Grünwettersbach in seinem vierten TTBL-Spiel überhaupt sein erster Bundesliga-Sieg mit einem Fünf-Satz-Erfolg gegen seinen Bruder. „Es hat sich für uns beide nicht gut angefühlt. Der Respekt vor dem anderen ist sehr groß.“  

Volle Konzentration auf Arbeit und Tischtennis

Seither, spätestens mit Beginn der Corona-Pandemie, ist die Karriere von Liang Qiu etwas ins Stocken geraten. Zu seinen Hochzeiten schlug der Rechtshänder in der TTBL unter anderem Spitzenspieler wie Hugo Calderano, Patrick Franziska oder Steffen Mengel. Nach drei Jahren in der höchsten deutschen Spielklasse entschied sich der gebürtige Nürtinger 2017 dazu, in die zweite Liga zu gehen, wo er bis zum Ende der vergangenen Saison für die SU Neckarsulm aufgeschlagen hatte. Das Bachelor-Studium an der Universität Stuttgart-Hohenheim ließ Qiu noch neben dem Tischtennis laufen, für den Master in „Finance“ verschlug es ihn nach Straßburg. Die Trainingsintensität und die Anzahl der Wettkämpfe wurden durch den zwischenzeitlichen Umzug nach Frankreich immer geringer.

Nach dem Abschluss und einem sechsmonatigen Praktikum trat der 27-Jährige schließlich vor drei Monaten eine Vollzeitstelle als Junior-Controller bei Hugo Boss in Metzingen an, das Büro liegt nur 15 Autominuten von seinem Wohnort Frickenhausen entfernt. Die stressigen Stunden, die Qiu früher in der Halle schwitzte, verbringt er nun am Schreibtisch. Manchmal fehle ihm die Motivation, sich nach einem harten Arbeitstag in einer vollen Woche noch in die Halle zu quälen. Und doch ist der Sport mehr als ein wichtiger Ausgleich oder ein zweites Standbein. „Ich bin zwar ziemlich abgebremst worden, aber auch erst 27. Tischtennis wird mir nie egal sein, weil es schon mein ganzes Leben bestimmt hat“, so Qiu, dessen Vater Jian Xin inzwischen in Japan lebt und sich dort eine eigene Tischtennisschule aufgebaut hat. 

Vater Qiu arbeitet in Japan - Liang Qiu glaubt weiter an seine Stärken

Der ehemalige chinesische Nationalspieler trainierte von 2013 bis 2017 den TTC Frickenhausen in der TTBL. 2016 führte es den 57-Jährigen nach Japan, wo er als Nationaltrainer der Herren- und später auch Damen-Nationalmannschaft tätig war und dort aktuell mit vielen Topspielern als Privattrainer zusammenarbeitet. Auch Liang setzte sich früher regelmäßig in den Flieger, um in Asien zu trainieren. Mit der Qualifikation für die DM hat ihn der Ehrgeiz wieder gepackt, sich vernünftig vorzubereiten. Um dieses Vorhaben in die Tat umzusetzen, werden sogar einige Urlaubstage geopfert. „Das ist auch nicht selbstverständlich“, findet Liang. Der deutsche Schülermeister von 2010 ist überzeugt davon, weiter auf gutem Level spielen zu können, und war phasenweise selbst von sich überrascht, trotz des fehlenden Rhythmus‘ bei den Challengerseries im Oktober unter anderem gegen den Polen Maciej Kubik von den TTF Liebherr Ochsenhausen bestanden zu haben. 

Vor den nationalen Titelkämpfen in Nürnberg am letzten März-Wochenende möchte der Baden-Württemberger dann deutlich besser vorbereitet sein als 2021. In Saarbrücken ereilte Qiu das Erstrunden-Aus gegen Kirill Fadeev, allerdings hatte er auch erst zehn Tage zuvor vom Verband mitgeteilt bekommen, überhaupt mit dabei zu sein. Zwar blickt Liang Qiu gerne auf seine Erfolge zurück, tief im Inneren kommt dann aber doch schon mal ein leichter Schmerz auf, dass er einen anderen Weg eingeschlagen und sich letztlich für die berufliche Laufbahn entschieden hat. „Es ist schon ein bisschen schade und ich bedauere es manchmal, weil ich heute vom Wissen her noch besser bin als vor fünf Jahren in der Bundesliga. Früher habe ich viele Punkte über Rallyes gemacht, heute sind Aufschläge meine Stärke.“ An die Ergebnisse von einst wird nur schwer anzuknüpfen sein, das weiß Liang Qiu. „Aber wenn ich gar nicht mehr spielen würde und in zehn Jahren zurückdenke, würde ich mir selber Vorwürfe machen. Deswegen versuche ich jetzt noch mal mein Bestes zu geben.“

Den unterschiedlichen sportlichen Werdegang von Liang und Dang Qiu können Sie sich in den TTR-Historien der beiden Brüder anschauen!

(FKT)

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