WM 2019

Leonie Hartbrich: Zur Hälfte deutsch, aber im Herzen Ungarin

Gegen die Nummer acht der Welt machte Leonie Hartbrich in ihrer Heimatstadt Budapest das beste Spiel ihres Lebens (©Gohlke)

27.04.2019 - Sabine Winter? Kennt man. Petrissa Solja? Na klar! Aber dass noch eine andere, zumindest zur Hälfte Deutsche bei der WM in Budapest mitgespielt hat, ist vielen sicherlich nicht bewusst. Leonie Hartbrich hat bis voriges Jahr im Heimatland ihres Vaters, Deutschland, gelebt, tritt aber für das Land ihrer Mutter, Ungarn, an. Im Interview erzählt sie, warum sie diese Entscheidung getroffen hat, wie sie ihre erste WM als Gastgeberin erlebt und wie groß der Sport in der alten TT-Nation noch ist.

myTischtennis.de: Leonie, du hast einen deutsch klingenden Namen, sprichst die Sprache fließend. Wie kommt es, dass du hier für den Gastgeber Ungarn antrittst?

Leonie Hartbrich: Meine Mutter ist Ungarin, mein Vater Deutscher. Ich bin in Budapest geboren, aber in Deutschland aufgewachsen. Mit elf Jahren war ich für zwei Jahre in Budapest, bin hier zur Schule gegangen und habe ungarisch Schreiben gelernt. Bis zu meinem Abitur letztes Jahr war ich wieder in Deutschland und bin danach nach Ungarn gezogen.

myTischtennis.de: Hatte deine Entscheidung, für Ungarn und nicht für Deutschland zu spielen, etwas damit zu tun, dass es dort etwas einfacher ist, in die Nationalmannschaft zu kommen?

Leonie Hartbrich: Nein, ich habe diese Entscheidung, dass ich mich eher als Ungarin fühle, schon sehr früh, mit zehn Jahren, getroffen. Das habe ich auch ohne meine Eltern entschieden - also irgendwelche strategischen Gedanken hatte ich in dem Alter sicher nicht. Ich hatte schon immer meinen eigenen Kopf. Und diese Entscheidung habe ich nie bereut, ich fühle mich hier wohl und zu Hause.

myTischtennis.de: Hast du denn irgendwelche Kadermaßnahmen wahrgenommen, als du in Deutschland gelebt hast?

Leonie Hartbrich: Als ich sehr klein war, habe ich ein paar Minikaderlehrgänge mitgemacht. Ich hätte dann dreimal pro Woche zum Stützpunkttraining nach Heilbronn gemusst, konnte das aber mit der Schule nicht vereinbaren. So habe ich mit meiner Mutter trainiert. Sie arbeitet als Tischtennistrainerin und war auch mal ungarische Nationalspielerin.

myTischtennis.de: Wer ist denn deine Mutter?

Leonie Hartbrich: Szilvia Káhn. Sie hat 1987, als sie noch ganz jung war, WM-Bronze mit der ungarischen Mannschaft gewonnen. So war ich als Kind schon immer in der Halle mit dabei.

myTischtennis.de: Wenn du dich mit zehn Jahren schon für Ungarn entschieden hast, wie hast du das logistisch gemacht? Du konntest ja wahrscheinlich nicht ständig zu Lehrgängen und Wettkämpfen dorthin fahren.

Leonie Hartbrich: In Ungarn ist das ein bisschen anders. Alles ist kleiner, es gibt nicht so viele Tischtennisspieler. Mit zehn Jahren war ich schon die Beste meiner Altersklasse. Und da hat der Verband es mir ermöglicht, dass ich nicht zu allen Lehrgängen, sondern nur zu den wichtigsten kommen musste. Aber diese muss man mitmachen, sonst kann es sein, dass man gesperrt wird. Das passiert hier schneller als in Deutschland. Wenn man nicht zu einem wichtigen Lehrgang kommt, kann der Trainer einen für drei Monate sperren - das ist mir schon dreimal passiert.

myTischtennis.de: Gefällt es dir denn sonst in der ungarischen Nationalmannschaft?

Leonie Hartbrich: Ja, sehr. Die ganze Nationalmannschaft ist hier in Budapest und trainiert zusammen. Keiner trainiert im Ausland. Das gefällt mir wirklich gut, weil dadurch ein richtiges Mannschaftsgefühl entsteht. Klar, Tischtennis ist ein Einzelsport, aber mir ist der Teamgeist extrem wichtig. Hier fühlt es sich richtig heimisch an, wenn man in die Halle kommt.

myTischtennis.de: Fühlst du dich hier bei der WM als Gastgeberin?

Leonie Hartbrich: Ja, auf jeden Fall. Ich habe auch so viel Unterstützung von den Zuschauern bekommen. Das war wirklich toll.

myTischtennis.de: Habt ihr Spieler denn noch andere Verpflichtungen als Gastgeber?

Leonie Hartbrich: Es gab schon vor WM-Start viele Fototermine mit uns und Shows, bei denen wir dabei waren. Für mich ist es auch sehr ungewohnt, dass man nach den Spielen immer nach Interviews gefragt wird. Da fühlt man sich fast wie eine von den Großen. 

myTischtennis.de: Schaust du dir auch die Spiele der Deutschen an, drückst Timo Boll und Co. die Daumen? Oder hast du dazu keine spezielle Verbindung mehr?

Leonie Hartbrich: Naja, wer schaut nicht gerne Timo Boll zu?! Aber ich gucke mir generell unheimlich gerne Tischtennisspiele an, egal, aus welchem Land die Spieler kommen. Vom deutschen Team kenne ich noch die Leute aus meiner Altersklasse. Von denen, die hier bei der WM waren, kenne ich Peti persönlich. 

myTischtennis.de: Wie zufrieden bist du sportlich mit deiner ersten WM?

Leonie Hartbrich: Nach der Qualifikation habe ich in der ersten Runde direkt die Nummer acht der Welt, Cheng I-Ching, zugelost bekommen. Dort habe ich zwar mit 2:4 verloren, habe aber das Spiel meines Lebens gemacht. Ich habe richtig gut gespielt, habe es gelebt. Es war das erste Mal für mich, gegen die absolute Weltklasse zu spielen. Und ich war überaus zufrieden, wenn nicht sogar mehr. Ich habe das Maximum rausgeholt. 

myTischtennis.de: Jetzt bist du ausgeschieden, aber trotzdem noch in der Halle…

Leonie Hartbrich: Naja, eine WM vor der Haustür hat man ja nicht alle Tage. Ich mag die Stimmung und die Atmosphäre hier und ich schaue mir halt gerne die Spiele an. Mein erstes WM-Finale habe ich 2011 in Rotterdam gesehen - da war ich live dabei. Und ich habe es nie vergessen. Genauso werde ich mich an diese Momente hier mein ganzes Leben lang erinnern.

myTischtennis.de: Die Tribünen hier sind ja ganz gut gefüllt. Wie groß ist Tischtennis in Ungarn?

Leonie Hartbrich: Es ist immer noch ein Traditionssport, weil es früher so viele erfolgreiche Spieler gab. Da können sich noch alle sehr gut dran erinnern. Und trotzdem spielen nur relativ wenig selber. Es gibt zwar noch immer viele Tischtennisverrückte, die auch hier als Zuschauer zur WM kommen, aber nur wenige Spieler. Das sieht man zum Beispiel bei ungarischen Meisterschaften, wo es früher wohl ein 128er-Hauptfeld gab. Inzwischen müssen alle in die Gruppe - sogar die Besten. Es kann sich keiner so recht erklären, warum das so gekommen ist. Aber ich finde es richtig schade.

myTischtennis.de: Wie sieht deine Planung für die Zukunft aus? Willst du nun alles auf die Karte Tischtennis setzen und Profispielerin werden?

Leonie Hartbrich: Im Damentischtennis darf man sich leider nicht darauf verlassen, dass man davon leben könnte. Klar, im absoluten Spitzenbereich geht das, aber darunter wird es schwer. Ich bin erst 19 Jahre alt und will mir Zeit lassen. Ich möchte irgendwann Zahnmedizin studieren - doch das parallel zu machen, ist, denke ich, schwer. Meine Familie lässt mir Zeit, macht mir keinen Druck und das Tischtennisspielen macht mir so viel Spaß. Ich liebe diesen Sport. Und ich wünschte, ich könnte davon leben.

(JS)

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