Pro vs. Contra

Pro vs. Contra: Wie fair ist die neue Weltrangliste?

Wie fair und aussagekräftig ist die neue Weltrangliste? (©myTT)

08.06.2018 - Im Januar wurde vom Weltverband ITTF für die Weltrangliste ein neues Berechnungssystem eingeführt, bei dem fast ausnahmslos nur noch die besten acht der Ergebnisse der letzten zwölf Monate eine Rolle spielen. Geführt hat das zu teils kuriosen Platzierungen einiger etablierter Akteure. Wie fair den Spielern gegenüber und wie aussagekräftig das neue Ranking ist, darüber diskutieren Jan Lüke und Lennart Wehking in der aktuellen Pro-vs-Contra-Ausgabe!

PRO

Früher hießen die Konkurrenten von Zhang Jike Wang Hao oder Xu Xin. Heute heißen sie Zokhid Kenjaev oder Simon Pfeffer. Der Usbeke steht in der Weltrangliste knapp hinter, der Österreicher knapp vor Zhang. Der zweimalige Weltmeister aus China ist derzeit – sage und schreibe – der 168.-beste Spieler der Welt. Das zumindest sagt die Mai-Weltrangliste der ITTF.

Wegen solcher Kapriolen wurde die neue Weltranglistenberechnung, die der Weltverband zu Beginn dieses Jahres einführte, von Funktionären, Spielern und Fans teilweise heftig kritisiert. Weil in der neuen Berechnung fast ausnahmslos die Ergebnisse der jeweils vergangenen zwölf Monate berücksichtigt werden, ist die Weltrangliste weniger stabil als früher. Außerdem zählt es nicht mehr, gegen wen man gewinnt oder verliert. Es zählt, wie weit man bei Turnieren kommt. Es gibt Punkte für jede Runde. Die verschiedene Wertigkeiten der Turniere definiert wiederum, wie viele Punkte das sind. Kritiker sagen, die Weltrangliste habe dadurch an Aussagekraft verloren. Zum Beispiel deshalb, weil es auf der Welt keine 167 Spieler gibt, die besser sind als Zhang Jike. Und weil etwa der Österreicher Simon Pfeffer keiner von ihnen ist.

Das mag stimmen. Dennoch halte ich das neue Weltranglistensystem nach einem halben Jahr Bewährungsprobe für gelungen. Hinter der Kritik steckt im Kern die Frage, was eine Weltrangliste leisten soll – und was sie leisten kann. Im Idealfall soll die Weltrangliste die Spieler der Weltspitze nach Stärke sortieren: Die Nummer eins ist besser als die Nummer zwei, die Nummer 43 ist besser als die Nummer 44 und die Nummer 113 ist besser als die Nummer 114. Dafür braucht es zwangsläufig einen Berechnungszeitraum. Denn eine Weltrangliste kann immer nur ein Hilfskonstrukt dafür sein, wer zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung besser oder schlechter ist. Schon allein deshalb kann eine Weltrangliste aber schon niemals exakt sein. Das war sie früher nicht, das ist es heute nicht und das wird sie künftig nicht sein.

Was mir nicht einleuchten mag: Warum soll ein Berechnungszeitraum schlechter sein, der aktueller ist? Was soll verkehrt daran sein, dass ein Spieler, der im vergangenen Jahr sehr gute Ergebnisse gespielt hat, oben steht, und einer, der weniger gute Ergebnisse gespielt hat, weiter unten? Wer sich im alten Berechnungssystem nach vorne gespielt hatte, hatte sich das zwar über einen längeren Zeitraum verdient, aber er profitierte auch ungleich länger davon. Die Berechnung war vergleichsweise träge. Jetzt ist die Weltrangliste eben stärker in Bewegung und fluider. Das ist hervorragend!

Natürlich kommt eine manchmal befremdlich wirkende Reihenfolge zustande, wenn Spieler selten aktiv oder gar verletzt waren. Aber sie sind auch schneller wieder korrigiert, wenn Spieler mit guten Ergebnissen zurückkehren sollten. Natürlich werden Vielspieler auf der World Tour übervorteilt, weil sie viele Chancen auf Punkte bekommen. Aber es ist eben auch wünschenswert, die besten Spieler der Welt oft in Aktion zu sehen. Natürlich wird man künftig ungesetzte Spieler in den Qualifikationsrunden sehen, die man dort früher nie gesehen hätte. Aber es schadet schließlich niemandem, wenn sich Zhang Jike nach einem ziemlich mauen Jahr in der Quali erst mal einen motivierten Kilian Ort vom Hals halten muss. Mir als Zuschauer erst recht nicht.

Ich sehe keine Nachteile in der Berechnung der neuen Weltrangliste, die nun wohl mehr eine Weltbestenliste ist, und auch keine negativen Begleiterscheinungen. Aber ein grundlegendes Problem sehe ich ihrer Einführung doch: Die ITTF zwingt ihre besten Athleten mehr denn je, sich regelmäßig auf den Turnieren der Welttour blicken zu lassen, wenn sie in der Weltrangliste hoch stehen wollen. Davon profitiert der Sport, weil seine Stars öfter am Tisch sehen – aber natürlich auch die ITTF, die ihr Produkt und damit ihre Einnahmen verbessert. Ihrer Verantwortung für die Athleten wird der Weltverband aber nach wie vor nicht in ausreichendem Maße gerecht. Denn hohe Kosten und niedrige Preisgelder machen die Weltserie für den Großteil der Athleten zu einem Zuschussgeschäft. Dabei darf es nicht bleiben. Auch wenn einem Zhang Jike das herzlich egal sein kann. 

(Jan Lüke)

CONTRA

Ma Long hat gerade die China Open gewonnen – mal wieder. Der 29-jährige „menschliche Außerirdische“ hat seinen Status als unbesiegbar untermauert – mal wieder.  Er ist der kompletteste und beste Spieler aller Zeiten. Komisch nur: die Weltrangliste spiegelt das nicht wieder. Hier stand der chinesische Volksheld bis vor kurzem nur auf Platz 6, aktuell immerhin auf Platz 2. Für mich der Beweis, dass mit der neuen Weltrangliste auch nach einem halben Jahr Bewährungszeit etwas ganz und gar nicht stimmt. Die Idee einer Weltbestenliste kann doch nur sein, einen möglichst fairen, durchschaubaren und transparenten Überblick über die besten Spielerinnen und Spieler zu liefern, oder? 

Seit Januar wird die Rangliste des Tischtennisweltverbands nach einem völlig neuen Schlüssel berechnet, der sicherlich auch einige sinnvolle Ansätze aufweist, wie beispielsweise die Einfachheit in der Punkteberechnung. Unabhängig der Tatsache, dass ich mich mit einigen Änderungen durchaus anfreunden kann, bleibe ich extrem kritisch in der Gesamtbetrachtung des neuen Rankings. Das liegt besonders an einem Faktor, der mit der Umstellung entscheidend für den vielbeachteten Auf- oder Abstieg der Athleten geworden ist: je mehr Events des Weltverbands man spielt, desto größer die Chance auf Punkte. Denn die besten acht Ergebnisse zählen, Punkte können nicht mehr verloren, sondern nur noch über ein Bonussystem gewonnen werden, völlig unabhängig vom Gegner. Vielspieler werden also belohnt und der Teilnahmezwang erhöht. Das wird den wenigen finanzkräftigen Topspielern keine allzu großen Sorgen bereiten, die immense Anzahl an Selbstzahlern im internationalen Tischtenniszirkus aber mächtig in Bedrängnis bringen. Eine Teilnahme an einem World-Tour-Turnier ist nämlich nicht gerade ein Schnäppchen, vor allem dann nicht, wenn man auf das offizielle Turnierpaket mit Hotel und Verpflegung zurückgreift, wie es die Mehrheit der Teilnehmenden schon aus logistischen Gründen zumeist tut. Mit einem Flugticket sind so schnell rund 1000 Dollar verbrannt, bevor der erste Ball gespielt, geschweige denn die ersten Preisgelder ergattert werden. Dass dieses System die zweite und dritte Garde der internationalen Tischtenniselite unter Druck setzt, die selten im Geld schwimmt, zudem oft noch am Anfang ihrer Karriere steht und ohne große Sponsoringverträge oder solvente Verbände im Hintergrund agiert, lässt sich nicht verneinen. Ich kann verstehen, dass es der ITTF ein Anliegen ist, die besten Spielerinnen und Spieler des Planeten möglichst häufig zu präsentieren, das darf aber nicht auf Kosten der vielen passionierten Jungprofis gehen, die mit dem Schritt ins Profitum sowieso schon ein finanzielles Risiko eingehen. 

Neben den monetären Diskrepanzen auf der individuellen Ebene der Teilnehmenden herrscht auch auf Ebene der Verbände ein großes Gefälle in Bezug auf die Finanzierungsmöglichkeiten. Gutbetuchte Verbände können ihre besten Spielerinnen und Spieler für mehr Turniere melden als kleinere, finanzschwächere Nationalverbände. Und diese finanzielle Kluft spiegelt sich eben auch in der Weltrangliste wieder. Gleichzeitig müssen die Spieler, die auf Vereinsebene stark eingebunden sind – und noch sind das zum Wohle der Ligen der Großteil der Profis – einen viel heftigeren Spagat vollziehen als bislang. Sie stehen permanent unter Druck, die Interessen und die Terminflut von Verein und Weltverband zu vereinen. Fakt ist, dass das regelmäßige Einkommen und damit die finanzielle Grundlage vom Großteil der auf der World Tour startenden Tischtennisprofis aus den Vereinskassen kommen. 

Die Nichtteilnahme oder Absage eines Turniers, ob aus Verletzungsgründen oder nicht, wird hart bestraft. Das führt zu krassen Schwankungen innerhalb kurzer Zeitintervalle und mündet für mich darin, dass das offizielle Ranking seine Aussagekraft einbüßt. Ich bleibe dabei: eine Weltrangliste sollte den Anspruch haben, die Ergebnisse und ergo den Leistungsstand aller aktiven Tischtennisprofis möglichst valide zu erfassen, gerne innerhalb eines Jahres. Das muss aber möglichst unabhängig von den finanziellen Voraussetzungen passieren.

(Lennart Wehking)

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