WM 2017

US-Coach Bitzigeio: „Eltern zahlen 400-500 Dollar pro Woche“

Jörg Bitzigeio in seiner neuen Aufgabe als Nationaltrainer des US-Teams (©Fabig)

05.07.2017 - In der Düsseldorfer Messehalle lief uns ein bekanntes Gesicht in ungewohntem Outfit über den Weg. Jörg Bitzigeio, ehemals Bundestrainer der deutschen Damen, nun Coach des US-Teams. Seine Mannschaft ist eine der positiven Überraschungen des Turniers, was aber - wie Bitzigeio betont - noch nicht ‚auf seine Kappe‘ geht. Wir haben ihn gefragt, wie Tischtennis in den USA funktioniert, wie die WM-Ziele lauteten und wie es war, gegen die ehemaligen Schützlinge zu spielen.

myTischtennis.de: Früher hast du die deutschen Damen betreut, bei der WM in Düsseldorf sitzt du in der Box der amerikanischen Nationalmannschaft. Dabei habe ich gehört, dass es erst im Juli mit deinem Engagement dort losgeht. Wieso bist du jetzt schon dabei und konntest du bereits Einfluss auf die WM-Vorbereitung nehmen?

Jörg Bitzigeio: Genau, wir ziehen im Juli mit der ganzen Familie nach Colorado Springs. Aber der Verband hatte mich gefragt, ob ich bei der WM schon helfen kann, und das hat in Absprache mit meinem aktuellen Arbeitgeber gut geklappt, so dass ich kurzfristig sogar noch einen kleinen Lehrgang mit dem US-Team in Holland mitgemacht habe. Meine Idee war einfach, die Mannschaft hier erst mal ein wenig kennenzulernen, was für meine zukünftige Arbeit natürlich wichtig ist, und wenn es geht, hier und da zu unterstützen.

myTischtennis.de: Worin lag denn der Reiz, diesen Job anzunehmen?

Jörg Bitzigeio: Ich habe lange hier in Deutschland für die Nationalmannschaft gearbeitet und musste mir, als wir die Zusammenarbeit beendet hatten, erst einmal klar darüber werden, ob ich überhaupt Lust habe, noch was im Tischtennis zu machen. Denn es gibt nicht viel, wenn man von solch einem Arbeitgeber wie dem DTTB kommt, das unbedingt reizvoll ist. Und schon damals gab es zwei Dinge, von denen ich gesagt habe: Das könnte ich mir vorstellen. Das war zum einen die Geschichte mit Grenzau, die dann letztlich nicht geklappt hat, und ich habe damals schon gesagt, dass die Aufgabe des Sportdirektors im amerikanischen Tischtennis mich interessieren würde, weil ich da viel Potenzial sehe. Dort ist ein großer Markt, aber sie haben große Probleme, den Übergang von talentierten Kindern und Jugendlichen zum Erwachsenentischtennis zu schaffen. Und da bot sich jetzt, anderthalb Jahre nach diesen Überlegungen, die Gelegenheit, als wirklich ein Angebot auf dem Tisch lag, und wir mussten eine Entscheidung treffen, die uns letztlich ziemlich leicht fiel, weil auch meine Familie das Land sehr reizvoll findet und mir signalisiert hat, dass sie da Bock drauf hat. 

myTischtennis.de: Wie muss man sich die Bedingungen in den USA vorstellen?

Jörg Bitzigeio: Der Verband hatte bisher noch nicht die Möglichkeit, viel im Hinblick auf die Spieler zu tun. Und nun hat man zusammen mit dem Amerikanischen Olympischen Komitee entschieden, dass man etwas probieren und investieren möchte, so dass nun die Voraussetzungen geschaffen sind, jemanden wie mich ins Land zu holen. Und ich muss sagen, der erste Eindruck ist positiv. Die Leistungen hier bei der WM haben mit meiner Arbeit natürlich noch gar nichts zu tun - das wird man in zwei Jahren sehen, ob ich irgendwas bewegt habe.

myTischtennis.de: Ich habe vor ein paar Jahren schon einmal mit einem deutschen Nationaltrainer des US-Teams gesprochen. Ist Stefan Feth auch noch da?

Jörg Bitzigeio: Stefan ist ja schon vor knapp zwölf Jahren ausgewandert und betreibt dort mit seiner Lebensgefährtin und den angehenden Schwiegereltern einen privaten Club. Der Verband hat zurzeit keine hauptamtlichen Trainer, ich bin jetzt der Erste im leistungssportorientierten Bereich. Aber es ist natürlich das Ziel, in Zukunft hauptamtliche Strukturen wachsen zu lassen - und womöglich irgendwann mal wieder ein zentrales Tischtenniszentrum zu haben. Das sind alles so Ideen in meinem Kopf. Aber da muss ich jetzt erst mal ins Land, um zu schauen, was überhaupt möglich ist. Aktuell werden Leute wie Stefan, die als Privattrainer arbeiten, auf Honorarbasis dazugeholt. Die Möglichkeit sehe ich auch. Denn man hat im Land definitiv qualifizierte Trainer, es ist nur die Frage, inwiefern wir die Möglichkeit haben, diese Leute in den Hochleistungssport miteinzubeziehen, weil sie als Privattrainer ja tagtäglich mit Kunden ihr Geld verdienen müssen - und zwar Kunden jeglichen Niveaus. Und je besser ihre Spieler werden, desto größer ist die Gefahr, sie als Kunden zu verlieren, weil sie einfach weiter müssen. Das ist eine Lücke, die man dort hat. Und ich würde mir wünschen, dass man mehr Leute wie Stefan hätte, die am internationalen Tischtennis interessiert sind, weil sie da auch herkommen, und das Projekt unterstützen. Denn ohne die Unterstützung dieser Kollegen werde auch ich keine Chance haben. Es wird also viel Überzeugungsarbeit geleistet werden müssen - auch in der Denke der Spieler und Eltern. Denn die Eltern sind der Hauptsponsor ihrer Kinder. Sie investieren pro Woche 400-500 Dollar in Privattraining. Also der Wille und die Möglichkeiten sind da. Aber das Ganze muss einmal in ein optimiertes System gepackt werden.

myTischtennis.de: Noch einmal zurück zur WM. Die amerikanischen Spieler haben ja wirklich blendend abgeschnitten. Lily Zhang und Wu Yue haben es bis ins Viertelfinale im Doppel geschafft, Zhang war im Einzel unter den besten 32 und Kanak Jha hat Adrian Crisan geschlagen. Was haben sich die USA eigentlich für Ziele gesetzt?

Jörg Bitzigeio: Ganz einfach: So gut spielen wie möglich und das zeigen, was sie trainiert haben. Und jedes Spiel, das sie bekommen, ist ein Extra und das genießen sie. Wir haben vorher in die Haupthalle geguckt und gesagt: Wow, es wäre ein Traum, dort spielen zu dürfen. Und jetzt sind wir hier. Ich hätte vorher auch nie gedacht, dass wir Donnerstag noch im Wettbewerb sind, jetzt hat es sogar noch für den Freitag gereicht. 

myTischtennis.de: Drei Begegnungen deiner neuen Schützlinge gingen gegen deine ehemaligen deutschen Spielerinnen. Wie ist da inzwischen das Verhältnis?

Jörg Bitzigeio: Das ist unterschiedlich. Aber im Spiel gehe ich da relativ nüchtern ran. Das ist jetzt meine Arbeit und da kämpfe ich für meine Spielerinnen, egal, wer auf der anderen Seite steht. Ob deutsch oder nicht. Natürlich kann es kein Nachteil sein, dass ich die Mädels kenne, wenn wir gegeneinander spielen. Aber andersrum kennen sie mich auch. Sie wissen auch, worauf ich meine Leute vorbereite, bereiten sich darauf dann wiederum vor. Peti Solja hat das am Mittwoch im Einzel zum Beispiel sehr gut gemacht - sie war schon vorbereitet auf das, was da kam. Aber bei mir gibt es keinerlei Gedanken wie: Jetzt hast du es den Deutschen gezeigt. Ich habe so lange beim DTTB gearbeitet und hatte dort eine tolle - wenn auch nicht immer ruhige - Zeit. Von daher ist für mich da alles in Ordnung. 

(JS)

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