Buntes

Handicap Open: Verborgene Talente in Vereinen finden

Natalia Partyka ist im Behinderten- und Nicht-Behindertensport Weltklasse (©ITTF)

10.05.2017 - Einmal zu Weltmeisterschaften oder sogar Olympischen Spielen fahren? Für die meisten Sportler ist das ein unerreichbares Ziel. Volker Ziegler glaubt, dass es so manchen deutschen Tischtennisspieler gibt, der dies erreichen könnte, es aber gar nicht weiß. Der Bundestrainer des Para-TT-Teams sucht Spieler mit kleiner oder großer Behinderung, die aktuell nur in den normalen DTTB-Ligen unterwegs sind, und hofft, sie bei den Handicap Open am 25. Juni in Düsseldorf zu finden.

myTischtennis.de: Aktuell sprechen alle über die Tischtennis-WM in Düsseldorf, dabei findet nächste Woche noch eine weitere Tischtennis-WM, nämlich die Para-WM in Bratislava, statt, was allerdings die Wenigsten wissen. Würdest du in Sachen öffentliche Aufmerksamkeit gerne mit Jörg Roßkopf tauschen wollen oder ist es dir ganz recht, dass ihr da ein wenig mehr unter euch seid?

Volker Ziegler: Grundsätzlich ist Aufmerksamkeit vor allem für die Sportler wichtig, weniger für mich. Ich bin schon ganz froh darüber, dass ich essen gehen kann, ohne erkannt zu werden, was bei Rossi sicherlich nicht immer so ist. Aber für die Sportler wäre es schon schön, wenn ihre Leistungen auch öffentlich gewürdigt würden. Wir beobachten da seit den Paralympics 2012 in London, vor allem aber seit Rio, wo mehr Zuschauer die Paralympischen als die Olympischen Spiele verfolgten, Fortschritte.

myTischtennis.de: Wie äußert sich das?

Volker Ziegler: Nach den Paralympics gibt es immer viele Interviewanfragen und Ehrungen. Danach geraten wir wieder in Vergessenheit, während das olympische Tischtennis wenigstens stets ein gewisses Grundlevel an Aufmerksamkeit genießt. Aber wir sehen das zumindest teilweise auch positiv: Dann können wir uns wieder voll auf das Training konzentrieren, das wir während des Ehrungsmarathons etwas herunterfahren mussten.

myTischtennis.de: Wer fährt zur Mannschafts-WM nach Bratislava? Die altbekannten Gesichter?

Volker Ziegler: Wir schicken 16 Sportlerinnen und Sportler an den Start, also acht Teams. Darunter sind erfahrene Spieler, wie zum Beispiel die Silbermedaillengewinner von Rio, Thomas Schmidberger und Thomas Brüchle, oder Valentin Baus und Jan Gürtler, die sich ebenfalls Hoffnungen auf einen Treppchenplatz machen können. Aber neben den bekannten Gesichtern setzen wir diesmal stark auf die Jugend und haben zum Teil sehr junge Spieler nominiert, die bei der WM Erfahrung sammeln sollen.

myTischtennis.de: Wenn so viele junge Sportler mitfahren dürfen, kann man also sagen, dass es in Sachen Nachwuchs im Behindertensport aktuell gut läuft?

Volker Ziegler: Nein, wir haben ein Nachwuchsproblem und können viele Wettkampfklassen nicht international konkurrenzfähig besetzen. Das liegt daran, dass viel mehr Nationen inzwischen sehr leistungssportlich orientiert sind und unter professionellen Bedingungen arbeiten als früher. Das hat sich in den letzten 20 Jahren stark verändert. Aber ich bin mir sicher, dass wir Spieler in Deutschland haben, die diese Lücke schließen könnten. Nur wissen die oftmals nicht, dass sie neben dem Regelsport im DTTB-Spielbetrieb auch Behindertensport betreiben können.

myTischtennis.de: Wie soll sich das ändern?

Volker Ziegler: Wir starten am 25. Juni in Düsseldorf mit den Handicap Open, einem Turnier für Spieler mit Behinderung, einen Versuch. Wir wollen diese Spieler, die in den deutschen Ligen schlummern, ansprechen und die Vereine dazu bringen, dass sie potenzielle Behindertensportler dazu ermutigen, diese Möglichkeit auszunutzen. Alle, die mit dem Behindertensport in Berührung kommen, sehen, wie spannend dieser zusätzliche Aspekt ist. Gerade aus taktischer Sicht ist Tischtennis im Behindertenbereich äußerst anspruchsvoll und eine wahre Horizonterweiterung.

myTischtennis.de: Was zählt denn als Handicap? Wer darf an eurem Turnier teilnehmen?

Volker Ziegler: Oft sieht man den Spielern ihr Handicap gar nicht an. Vor allem in den höheren Wettkampfklassen ist das der Fall. Bei dem einen ist die eine Wade etwas dünner als die andere, der andere hat vielleicht eine Einschränkung an der Nicht-Schlaghand. Gerade solchen Spielern ist es oft gar nicht bewusst, dass sie im Behindertensport starten könnten. Wir möchten diese verborgenen Talente finden und laden jeden mit kleineren oder größeren Handicaps ein, in Düsseldorf vorbeizuschauen.

myTischtennis.de: Du gehst davon aus, dass diese Spieler nicht wissen, dass sie starten dürften. Wäre es aber nicht auch möglich, dass sie einfach keine Behindertensportler sein möchten?

Volker Ziegler: Das spielt sicherlich beides eine Rolle. Unsere Gesellschaft versucht unter dem Stichwort ‚Inklusion‘, Normalität herzustellen, und das ist gut so. Man verfolgt das Ziel, ‚normal‘ zu sein - und nicht behindert. Im Tischtennis lassen wir uns von unseren Handicaps nicht behindern. Wir spielen trotzdem Tischtennis und kompensieren die Beeinträchtigungen, die wir haben. Das ist übrigens nicht nur im Para-Tischtennis der Fall. Jeder Tischtennisspieler hat eine Einschränkung. Der eine hat kein goldenes Händchen, der andere ist nicht so schnell zu Fuß. Auch das wird kompensiert.

myTischtennis.de: Wenn also eigentlich viele Gemeinsamkeiten bestehen, widerspricht es dann nicht der inklusiven Idee, ein Turnier ins Leben zu rufen, das sich nur an Menschen mit Behinderung richtet?

Volker Ziegler: Das ist immer eine Gratwanderung, selbst in der UN-Behindertenrechtskonvention, die aber auch behinderungsspezifische Angebote fordert. Aber uns geht es nicht um Exklusion, sondern darum, adäquate Klassen zu schaffen. Das macht man auch bei Menschen verschiedenen Alters und Geschlechts. Man bildet Klassen, in denen Sportler zusammenkommen, die ähnliche Voraussetzungen mitbringen. So würde ja auch niemand auf die Idee kommen, einen B-Schüler mit einer Seniorin bei Deutschen Meisterschaften in eine Wettkampfklasse zu stecken. Wir wollen also nicht exkludieren, sondern eine zusätzliche Möglichkeit aufzeigen.

myTischtennis.de: Werden denn bei den Handicap Open auch genügend Spieler da sein, um die verschiedenen Wettkampfklassen bilden zu können?

Volker Ziegler: Nach dem, wie viele Anmeldungen bereits kurz nach Veröffentlichung der Ausschreibung eingegangen sind, können wir sicherlich viele Wettkampfklassen bilden. Welche das sein werden, können wir erst vor Ort endgültig sagen. Es werden aber auf jeden Fall genügend Spieler für das Turnier anwesend sein, weil wir auch viele Top- und Nachwuchsspieler eingeladen haben. Man kann bei den Handicap Open also den bunten Blumenstrauß aller möglichen Behinderungen kennenlernen und feststellen, dass alle Spieler trotzdem Tischtennis spielen können.

myTischtennis.de: Was versprichst du dir von dem Turnier? Was könnte nach den Handicap Open im besten Fall passieren?

Volker Ziegler: Im besten Fall haben wir Tischtennis für Menschen mit Behinderung in den Fokus gerückt und Aufmerksamkeit erregt. Von der sportlichen Seite aus hoffe ich, dass spielstarke Spieler diese Möglichkeit für sich entdecken und wir international in allen Klassen konkurrenzfähiger werden. Zudem liegen mir die Trainer sehr am Herzen, für die es wirklich eine Horizonterweiterung ist, sich mit Handicaps auseinanderzusetzen. Als Trainer entwickelt man sich dann weiter, wenn man über den Tellerrand hinausblickt und zum Beispiel statt der vielen Offensivspieler auch mal einen Abwehrspieler trainiert - sich also taktisch in neue Sphären vorwagt. Der Behindertensport kann das bieten, ist taktisch viel komplexer und hochinteressant. Ich lade ausdrücklich alle Trainer ein, am 25.6. nach Düsseldorf zu kommen und ihre Spieler hier zu begleiten.

Anmeldeschluss für das Turnier ist am 18. Juni. Für die Anmeldung füllen Sie bitte dieses Formular aus und schicken es an Hannes Doesseler (doesseler@brsnw.de).

(JS)

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