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Kilians Blog: Vom Landei zum Tischtennisprofi

Wandern für die Bundeswehr: die beiden Sportsoldaten Kilian Ort und Dang Qiu auf einem Übungsleiterlehrgang in Sonthofen (©Dang Qiu)

13.07.2020 - "Ich will Tischtennisprofi werden" - diese Ankündigung würde bei vielen Eltern womöglich keinen Jubel verursachen. Schließlich gibt es sicherere Jobs, mit denen das Kind sein Geld verdienen könnte. Kilian Ort hingegen hat nach dem Abitur alles auf die Karte Tischtennis gesetzt und ist vom ländlichen Idyll in die TT-Hauptstadt Düsseldorf gezogen. Wie leicht ihm der Übergang in den Erwachsenenbereich gefallen ist und wie er mit der großen Konkurrenz klarkommt, erzählt er in seinem Blog.

„Wenn ich groß bin, werde ich Fußballprofi.“ Ja, das war meine Standardantwort in den Freundebüchern, die besonders bei den Kids in den 00er Jahren voll im Trend waren, auf die Frage nach meinem Traumberuf. Heute würde ich in einem Steckbrief unter der Rubrik „Beruf“ Sportsoldat eintragen. In den folgenden Zeilen werde ich euch unter anderem davon berichten, wie es dazu gekommen ist und wie für mich der Sprung aus dem Jugend- in den Erwachsenenbereich abgelaufen ist.

Vom Land in die Großstadt

Wenige Monate nach meinen letzten Abiturprüfungen ging es für mich 2014 nach Düsseldorf, um mich der Trainingsgruppe im DTTZ anzuschließen. Für den damals 18-jährigen Kilian hieß das: Raus aus der ländlichen Idylle um Bad Königshofen und rein in die rheinländische Großstadt. Für viele Teenager ein Traum, für mich, so heimatverbunden, wie ich bin, war es zu Beginn gewöhnungsbedürftig. Eine noch größere Umstellung stellte das Training dar. Mit dem zwei Jahre älteren Benedikt Duda gehörte nur ein Spieler, den ich bereits aus dem Jugendbereich kannte, der mit nationalen und internationalen Topspielern gespickten Trainingsgruppe an. So musste ich mich beispielsweise erst darauf einstellen, dass mein heutiger Teamkollege Bastian Steger als Blocker die Bälle nicht nur präzise verteilt, sondern auch gern zum aggressiven Pressblock oder auch zum Rückhandgegentopspin ansetzt. Obwohl oder sogar weil ich das eine oder andere Mal mit der Frage, ob mein heutiger Trainingspartner und ich noch die gleiche Sportart betreiben, die Halle verließ, profitierte ich aus sportlicher Sicht selbstverständlich von der Tatsache, dass ich ausschließlich nach oben trainierte.

Anfang 2015 rückte ich in den Perspektivkader des DTTB auf und erhielt im April desselben Jahres die Möglichkeit, als Soldat im Bereich Spitzensport in die Bundeswehr einzutreten. Nach Rücksprache mit meinen Eltern trat ich am 1. April 2015 meinen Dienst an, der für mich eine sechswöchige Grundausbildung in Hannover und anschließend die Reise zu meiner Einheit in die Sportfördergruppe Köln vorsah. Ohne die Unterstützung der Bundeswehr wäre es vielen Sportlern – damit meine ich vor allem die Athleten der Randsportarten – besonders zu Beginn deren Karriere nicht möglich, sich finanziell im grünen Bereich zu bewegen. Im Alltag sind wir für unseren Sport freigestellt und müssen nur ungefähr jedes zweite Jahr an einem mehrwöchigen Bundeswehrlehrgang teilnehmen, was beim einen oder anderen Kameraden, der schon in Auslandseinsätzen im Auftrag unserer Bundesrepublik tätig war, verständlicherweise nur zu einem müden Lächeln führt. Darüber hinaus ist es für uns Tischtennisspieler wichtig, einen Topausrüster hinter sich zu wissen, der in meinem Fall die Firma Andro ist. Gefühlt seit ich laufen kann, steht mir Andro mit Rat und Tat zur Seite und unterstützt mich in guten und schlechten Zeiten – wenn zum Beispiel das Knie zwickt und das Laufen schwerer fällt.

Segen und Fluch zugleich

Zurück ins DTTZ: Im Vergleich zu meinem Premierenjahr als Profi ist der Altersdurchschnitt der heutigen Düsseldorfer Trainingsgruppe deutlich gesunken, was zum Großteil mit der Einführung des U23-Kaders zu tun hat, der den jungen Athleten den Übergang vom Jugend- in den Erwachsenenbereich erleichtern soll. Dies hat zugleich zur Folge, dass die Qualität insgesamt abgenommen hat. Wenn man sich aber beispielsweise anschaut, welche Namen sich 2013 noch regelmäßig heiße Trainingsduelle nahe des Grafenberger Waldes lieferten, darf man sich schon fragen, ob man auf unserem Kontinent auch nur ansatzweise eine ähnliche Zusammenkunft solcher europäischer und asiatischer Aushängeschilder finden konnte. Die Namen Ovtcharov, Baum, Tokic, Steger, Franziska, Süß, Walther, Achanta, Duda, Hielscher, Groth und Yoshimura lassen sicher nicht nur deutsche Tischtennisfanatiker mit der Zunge schnalzen. Da die Ovtcharovs und Bolls aber auch im Herzen Europas nicht einfach so vom Himmel fallen, war es sicherlich richtig, mehr junge deutsche Spieler ins DTTZ zu lotsen, um diese möglichst schnell, möglichst nah an das spielerische Niveau der Arrivierten heranzuführen.

Auch ohne deutsche Brille lässt sich behaupten, dass global gesehen nur die Nationaltrainer Chinas, Japans und Südkoreas auf eine noch größere Auswahl an Topspielern zurückgreifen können als Jörg Roßkopf, was der Entwicklung junger deutscher Athleten zum einen hilft, zum anderen schadet. Die zahlreichen Einheiten mit routinierten und spielerisch besseren Landsmännern zeigen im Normallfall ihre Wirkung und so kann man sich selbst schnell auf das nächste Level bringen. Dadurch, dass aber immer noch genügend Spieler vor einem stehen, ist es schwierig, Erfahrungen auf internationalen Großveranstaltungen zu sammeln – Erfahrungen, von denen Gleichaltrige, die aus kleineren Tischtennisnationen stammen und eine ähnliche sportliche Entwicklung nahmen, bereits seit dem Teenageralter zehren. Letztendlich bleibt einem in dem Fall nichts anderes übrig, als hart an sich zu arbeiten, um die arrivierten Kräfte zu verdrängen.

Abitur oder nicht Abitur?

Bevor dies aber passiert, stellen sich viele Talente die Frage: „Abitur, ja oder nein?“. Der Vorteil, beispielsweise nach der 10. Klasse voll auf die Karte Tischtennis zu setzen, liegt ganz klar darin, bereits in jungen Jahren hohe Umfänge fahren zu können, und eignet sich besonders für Spieler, bei denen früh erkennbar ist, dass sie eine herausragende Zukunft an der Platte vor sich haben werden. Dass Timo Boll heute noch sein Abitur nachholen muss, um entspannt durchs Leben zu gehen – das darf getrost ins Reich der Fabeln verwiesen werden. Für „Normalsterbliche“ geht der Trend allerdings dahin, das Abitur oder zumindest das Fachabitur zu absolvieren, um sich für die Zukunft ein Stück weit abzusichern und oftmals auch die Nerven der eigenen Eltern zu schonen. Für die meisten Jungprofis im DTTZ wäre wohl ein Studium Plan B gewesen. Bei mir wäre es aufgrund chronischer Planlosigkeit im Bereich Naturwissenschaften und durchschnittlichen Talents in den Fremdsprachen wahrscheinlich in Richtung Sport – möglicherweise auch kombiniert mit einem anderen Fach auf Lehramt – hinausgelaufen.

Alles in allem kann ich, denke ich, mit einer Brise fränkischer Sachlichkeit sagen, dass es schlimmere Berufe als den des Tischtennisprofis gibt und der Übergang vom Jugend- in den Erwachsenenbereich nicht ganz ohne, aber machbar ist. Dazu kommt noch, dass Düsseldorf eine tolle Stadt ist und es selbst ein fränkisches Landei in der Hauptstadt NRWs mehr als nur aushalten kann. 

Doch noch zu den Kickern?

Was ich dagegen nach meiner Tischtenniskarriere machen werde – das steht noch in den Sternen. Der 1. Vorstand meines Vereins TSV Bad Königshofen hat mich vor geraumer Zeit darauf hingewiesen, dass mein Spielerpass vom Fußball immer noch im Keller unseres Sportheims liegt und ich doch mal wieder kicken könnte. Er weiß ganz genau, dass das so schnell nichts wird. Einer Sache bin ich mir aber sicher: Sollte es mein Körper in zwei Jahrzehnten noch zulassen, werde ich mich weder gegen einen Altherrenkick gegen den TSV Trappstadt noch gegen ein Unterfrankenderby in der Eschauer Schulturnhalle wehren.

(Kilian Ort)

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