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Dietmars Blog: Ochsenhausens Coup ist ein wichtiges Signal

Spitzentischtennis in Deutschland funktioniert auch ohne Düsseldorfer Beteiligung (©TTF Liebherr Ochsenhausen)

07.01.2019 - Zum ersten Mal seit 2012 heißt der deutsche Pokalsieger nicht Borussia Düsseldorf. Die TTF Liebherr Ochsenhausen nutzten beim 'Endrunden-Heimspiel' in Ulm die Gunst der Stunde durch das Viertelfinal-Aus des Abonnement-Champions zur Beendigung ihrer 15 Jahre langen Durststrecke ohne Trophäe. Der Erfolg der Oberschwaben ist nach Meinung unseres Bloggers Dietmar Kramer allerdings auch ein weit über den Titelgewinn hinausgehendes Signal – in mehrfacher Hinsicht.

Groß war der Jubel bei den TTF Liebherr Ochsenhausen beim ‚Final Four‘ in Ulm – und das war überaus verständlich: Der Pokalsieg bei der Endrunde ‚vor der Haustüre‘ bedeutete für die Oberschwaben weitaus mehr als nur einen Titel. 15 Jahre nämlich waren seit dem bis dato letzten Triumph des Klubs – die Meisterschaft 2004 nach dem vorangegangenen Gewinn des Pokals – vergangen, so dass Ochsenhausen durch den 3:1-Erfolg in einem überraschend spannenden Finale gegen den früheren Meister Werder Bremen buchstäblich – und aus seiner Sicht auch endlich - an die vorübergehend fast schon unerreichbar anmutende ‚Endstation Sehnsucht‘ gelangte. 

15 Jahre sind im Profi-Sport nicht einfach nur anderthalb Jahrzehnte. Nein, 15 Jahre sind auch im Tischtennis mindestens zwei, wenn nicht gar schon drei Spieler-Generationen. 15 Jahre sind auch ein Zeitabschnitt, in denen sich im Profibereich jeder, ob Vorstand, Management, Trainer, Aktive und nicht zuletzt auch Sponsoren, irgendwie irgendwann irgendeine Rendite für die Investition von Zeit, Kraft, Nerven und natürlich auch Geld versprechen. Es spricht sehr für Ochsenhausen, seine Philosophie und die Seriosität aller Beteiligten, auf dem langen Weg vom ‚Double‘ 2004 bis zum ersten Wochenende des Jahres 2019 angesichts so manchen schmerzhaften Rückschlages nicht doch zu einem bestimmten Zeitpunkt aufgegeben zu haben. 

Titelgewinn als Lohn für Beharrlichkeit

Dieses Stehvermögen ist umso bemerkenswerter vor dem Hintergrund der Ausnahmesituation im deutschen Tischtennis durch die geradezu schon angestammte Dominanz des unbestrittenen Branchenführers Borussia Düsseldorf. Denn die TTF haben die anhaltende und zuweilen auch erdrückende Überlegenheit der Rheinländer um das Idol Timo Boll nicht allein als lange unüberwindbares Hindernis auf dem Weg zu eigenen Erfolgen begriffen, sondern vielmehr als Ansporn. Ansporn zum Aufbau eines Alternativmodells zum erfolgreichen Vorbild vor allem hinsichtlich hochprofessioneller Strukturen, in deren Rahmen junge Spieler Raum für Entwicklungen und einen notwendigen Reifeprozess erhalten.

Bei Hugo Calderano und Simon Gauzy hat die TTF-Führung dabei zunächst den richtigen Riecher besessen und anschließend auch die benötigte Geduld bewiesen. Um dieses Duo dürften die meisten Klubs in ganz Europa die Tischtennisfreunde beneiden, sind beide zusammen unter den derzeitigen Voraussetzungen nämlich ein Wechsel auf eine erfolgversprechende Zukunft, die in Ulm – angesichts von Ochsenhausens unermüdlicher Beharrlichkeit verdientermaßen - schon begonnen zu haben scheint.

Signal für Liga und Vereine

Deswegen kann Düsseldorfs Abwesenheit bei der Pokalendrunde auch kaum als ein Makel am Pokalsieg der TTF gewertet werden - wenn überhaupt. Denn schon in den durchaus denkwürdigen Duellen beider Vereine in der vergangenen Saison begegneten sich die beiden Mannschaften auf Augenhöhe, setzte sich die Borussia im Champions-League-Halbfinale gar nur aufgrund der besseren Balldifferenz und im Bundesliga-Finale auch nur nach einer langen Zitterpartie durch. Nicht von ungefähr orakelten Düsseldorfs Manager Andreas Preuß und auch Boll schon im zurückliegenden Sommer nach der erneuten Meisterschaft bereits im Hochgefühl des seinerzeit perfekt gemachten ‚Triples‘, dass fortan mit stärkster Gegenwehr und Konkurrenz durch Ochsenhausen zu rechnen sei.

Die Bestätigung dieser Voraussagen vom „Zweikampf der Zukunft“ schon bei der Pokalendrunde ist denn auch ein Signal weit über Ulm hinaus. Ein Signal nämlich für die Liga und ihre Vereine: Hatte schon der Coup des ASV Grünwettersbach im Pokal-Viertelfinale gegen die Borussia als Indiz für zumindest einen Ansatz schwindender Dominanz der Düsseldorfer angesehen werden können, zeigt Ochsenhausens Titelgewinn eindeutig Perspektiven auch für weitere Klubs auf. Die Botschaft ist eine ähnliche wie jene von Borussia Dortmund in der Fußball-Bundesliga: Mit kluger Vereinspolitik und geschickter Personalplanung sind selbst unantastbar scheinende Größen wie Bayern München oder im Tischtennis eben auch Borussia Düsseldorf wenigstens angreifbar und keineswegs unbesiegbar. 

Alleine für den weiteren Verlauf der Bundesliga-Saison und auch die Play-offs schürt Ochsenhausens Erfolg somit Vorfreude. Die zu Saisonbeginn durchaus mit Recht befürchtete Langweile dürfte sich nicht einstellen, und der nach München ausgelagerte und nunmehr zu einer Art inoffiziellem Supercup aufgewertete Showdown zwischen Meister Düsseldorf und dem neuen Pokalsieger Ochsenhausen (23. Februar) verspricht außer einer Rekordkulisse vor allem auch einen Fingerzeig auf die derzeitigen Kräfteverhältnisse in der deutschen Eliteklasse.

Bestätigung für derzeitige Attraktivität

Doch nicht nur für die Liga allein war Ulm eine erfreuliche Standortbestimmung. Denn durch den Ausfall der absoluten Zugnummer Timo Boll aufgrund des Düsseldorfer K.o.s war die Endrunde ungewollt auch ein Maßstab für den Stellenwert des Tischtennissports in Deutschland ohne seinen unbestrittenen Superstar. Selbst bereinigt um das überdurchschnittliche Interesse von Fans aus der Region aufgrund von Ochsenhausens großen Erfolgsaussichten sandte das ‚Final Four‘ mit seinem neuen Zuschauerrekord für den Standort Ulm von 4.020 Besuchern ein mindestens für Skeptiker unerwartet starkes Lebenszeichen für den Sport. 

Die TTBL-Macher können sich dadurch – ungeachtet der einmal wieder überdeutlich zutage getretenen Ignoranz der deutschen TV-Sender gegenüber der immerhin zweitwichtigsten Titelentscheidung im nationalen Tischtennis – sehr wohl auf ihrem Kurs ermutigt fühlen. In Ulm war schließlich nicht weniger als auch die Attraktivität von Tischtennis in Deutschland ohne die faktische Präsenz der Galionsfigur Timo Boll zu beweisen. Dieser Lackmus-Test ist vorerst als weitgehend bestanden zu bewerten. 

Konzepte für die Post-Boll-Ära notwendig

Für die weitere Zukunft kann Ulm denn auch sicher als Grundlage für weitere Bemühungen dienen. Muss es aber wohl auch: Bolls Abschied aus der Box zieht sicherlich in nicht mehr allzu langer Zeit mindestens am Horizont auf, und ein neuer ‚Local hero‘ mit einem annähernd ähnlichem Standing wie der Publikumsliebling ist noch nicht in Sicht. Für die Zeit nach dieser unweigerlich anstehenden Zäsur im deutschen Tischtennis bedarf es die Entwicklung von Konzepten. Die Zugkraft des Tischtennis in Deutschland nach der ‚Ära Boll‘ ist dann nämlich erst noch zu beweisen.

(Dietmar Kramer)

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