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Dietmars Blog: Netzwerke, nein danke? Chancen nutzen!

Tischtennis sollte sich mehr mit anderen Sportarten austauschen und zusammentun (©Facebook)

30.10.2017 - Der große Erfolg beim Herren-World-Cup in Lüttich durch das historisch einmalige deutsche Finale zwischen Dimitrij Ovtcharov und Timo Boll bietet wieder eine gute Gelegenheit zu einer Bestandsaufnahme des Tischtennissports. Unser Blogger Dietmar Kramer richtet sein Augenmerk dabei allerdings einmal nicht auf die Perspektiven im sportlichen Sektor, sondern macht sich Gedanken über die strategische Aufstellung des Profibereichs innerhalb der deutschen und europäischen Sportstrukturen.

Tischtennis gehört, schenkt man der offiziellen Statistik des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) Glauben, seit Jahren zu den Top 10 der mitgliederstärksten Verbände in den olympischen Sportarten. Zwar hat sich der Organisationsgrad im Laufe der Zeit deutlich unter der Grenze von 600.000 Mitgliedern eingependelt, wobei sicher auch noch ein durchaus signifikanter Wert für sogenannte „Karteileichen“ herauszurechnen ist, doch ist Tischtennis ohne Frage weiterhin als eine der am weitesten verbreiteten Sportarten hierzulande anzusehen. Verankert in der Bevölkerung, verankert auch in Strukturen – möchte man meinen. Die mutmaßliche Verankerung ist mittlerweile umso bedeutsamer, als dass viele Verbände lange schon den Nutzen von sportartübergreifenden Kooperationen erkannt haben und vielerorts entsprechende Vorteile daraus ziehen. Schaut man sich in der Landschaft des organisierten Sports in Deutschland um, speziell auch auf der professionellen Ebene, sind auch reichlich Anknüpfungspunkte vorhanden.

Drei wichtige Netzwerke ohne Tischtennisbeteiligung 

Da wäre außerhalb des DOSB schon einmal der Zusammenschluss „Teamsport Deutschland“. Die Verbände für Basketball, Eishockey, Fußball, Handball und Volleyball wollen im Rahmen dieser erst im Frühjahr aus der Taufe gehobenen Initiative Interessen bündeln und im Idealfall mit einer Stimme sprechen. Die Vertreter der Mitgliedsverbände erörtern bei ihren Zusammenkünften alle betreffende Fragen wie etwa die Förderung von Leistungssport und Talenten, die inländische und internationale Situation der Medienrechte, Werbung/Vermarktung, Dienstleistungen und internationale Events.

Basketball, Eishockey, Fußball und Handball begegnen sich an einer weiteren Stelle in einem anderen Segment wieder: die „Initiative Profisport Deutschland“ ist eine Vereinigung von Profi-Ligen in Deutschland. Die von den Themen für „Teamsport Deutschland“ mitunter erheblich abweichenden Anliegen und Interessen professioneller Veranstalter von Sport, die nicht selten wirtschaftlicher oder auch juristischer Natur sind, haben in diesem Kreis ihren Platz.

Oder schon von der Premiere der „European Championships“ (EC) im kommenden Jahr gehört? Nein? Nun, parallel zu den Leichtathletik-Europameisterschaften in Berlin als Herzstück dieses innovativen Sport-Events finden im August in Glasgow kontinentale Titelkämpfe auch im Schwimmen, Radsport, Turnen, Rudern, Triathlon und auch Golf statt. EM-Wettbewerbe also in gleich sieben Sportarten, kompakt über insgesamt zwölf Tage verteilt.

Ist die Gemeinsamkeit dieser Aufzählung schon aufgefallen? Sicherlich. Aber dennoch zur Verstärkung des Bildes der Hinweis, dass bei allen und sämtlich durchaus sinnvollen Projekten eine Sportart fehlt: Tischtennis.

Versäumte EC-Teilnahme ein Ärgernis

Lässt sich die Abwesenheit unseres Sports in den erstgenannten beiden strategischen Arbeitskreisen ungeachtet des vermutlich eminent hohen Know-how-Transfers von Topsportarten wie eben Fußball gerade in Richtung Tischtennis sicherlich verschmerzen, ist die Zuschauerrolle für Dimitrij Ovtcharov, Timo Boll, Petrissa Solja und Co. bei den „European Championships“ durchaus als Ärgernis einzustufen. Umso mehr bei der Lektüre eines Interviews von ETTU-Präsident Roland Kramer im deutschen Monatsmagazin „tischtennis“: Über die Teilnahme und Teilhabe von Tischtennis an diesem kontinentalen Multi-Event, räumte der Niederländer nach seiner weitgehend in den Tiefen des Internets versunkenen Mannschafts-EM Ende September in Luxemburg freimütig ein, habe er sich noch keine Gedanken gemacht. Was mag Kramers Haltung und die offenkundig gleiche Position der ETTU dabei prägen? Naivität? Ignoranz? Oder einfach nur Arroganz? Weitsicht oder gar Instinktsicherheit jedenfalls kommen als Antwort nicht in Betracht. 

Denn die EC erscheinen nicht nur auf den ersten Blick als eine der bislang besten Antworten des Sports auf die erdrückende Dominanz des Fußballs auch und besonders im Fernsehen. Aus den langen Wintersport-Wochenenden auf den Bildschirmen haben die beteiligten EC-Verbände ihre Schlüsse für den Sommer gezogen und in Abstimmung mit der EBU als europäischer Verbund öffentlich-rechtlicher Sender wie ARD/ZDF einen gemeinsamen Zeitplan entwickelt. Das Konzept verspricht jeder Sportart über Tage hinweg eine beinahe paradiesische TV-Präsenz im frei empfangbaren Fernsehen, deren Dauer wohl keine Sportart im Alleingang erreicht hätte. Bei den übertragenden Anstalten in allen europäischen Kernländern (Deutschland, Frankreich, Italien, Großbritannien und Spanien) herrscht unterdessen schon Vorfreude auf Quoten, von denen im Sommerloch ansonsten nur geträumt werden kann. Insider sagen für die zwölf EC-Tage weltweit etwa eine Milliarde Zuschauer an den TV-Geräten voraus.

Was für Biathlon-Queen Laura Dahlmeier und die „Könige der Lüfte“ wie Skispringer Severin Freund bei Eis und Schnee vorzüglich klappt, sollte auch im Sommer machbar sein: „Julian Reus hat in Berlin das 100-m-Finale erreicht, von dem wir uns heute Abend wieder aus dem Olympiastadion melden. Jetzt aber erst einmal schnell zurück nach Glasgow zur Schwebebalken-Kür von Weltmeisterin Pauline Schäfer. Vorher noch der kurze Hinweis, dass sich danach der Deutschland-Achter im Finale um den EM-Titel in die Riemen legt.“

Möglichkeit zu Millionen-Quoten verschenkt

Zu schön die Vorstellung, dass auch noch ein Hinweis auf die nahende Liveübertragung eines EM-Viertelfinales womöglich von Weltcupsieger Dimitrij Ovtcharov gegen den französischen Titelverteidiger Emmanuel Lebesson oder ähnliche Matches erfolgen könnte – hätte man bei der ETTU nur einmal überhaupt darüber nachgedacht. Natürlich wäre Tischtennis nicht mal eben so in das EC-Programm zu integrieren gewesen. Doch es wäre sicherlich lohnenswert gewesen, dieses Leuchtturm-Projekt als finalen Auslöser für die Einführung von Reformen für eine einigermaßen kalkulierbare Dauer von Tischtennisspielen zu betrachten. Die Möglichkeit zu Werbung für Tischtennis allgemein sollte Rechtfertigung genug sein können, auf dieser Profi-Ebene andere Regularien gelten zu lassen als an der (scheinbar ohnehin nicht allzu sehr am Spitzensport interessierten) Basis. Immerhin hat sogar das traditionsreiche und –bewusste Golf sogar eigens für die EC einen neuen Mannschaftswettkampf kreiert….

Eigenbrötlerei in vielen Bereichen

Die EC sollen übrigens vier Jahre nach Berlin und Glasgow wieder stattfinden. 2022 dann mit Tischtennis? Leider nein – die teilnehmenden Verbände werden schon im Laufe des Novembers bekannt gegeben. Vielleicht wäre es für das Tischtennis und viele seiner Vertreter angebracht, aus den bisherigen Nischen herauszukommen und seine zumindest typisch erscheinende Eigenbrötlerei auf nahezu allen Ebenen aufzugeben. Durch Zugehörigkeit zu den übergreifenden Netzwerken wäre man mit einiger Sicherheit wohl doch noch auf den Gedanken über die Chancen einer EC-Teilnahme gekommen.

(Dietmar Kramer)

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