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Dietmars Blog: Fortschritt mit selbstgebauten Hindernissen

Die EM soll nicht länger vor allem als 'Familientreffen' angesehen werden (©Stosik)

25.09.2017 - Mannschafts-Europameisterschaften werden künftig nur noch mit 24 Teams ausgespielt. Dieser Beschluss ging bei den Titelkämpfen Mitte September in Luxemburg beinahe unter, dabei ist die Entscheidung des Europaverbandes ETTU zeitgemäß und richtungsweisend gleichermaßen. Unser Blogger Dietmar Kramer plädiert jedoch nach der aus seiner Sicht seit Jahren schon überfälligen Reform für weitere, notwendige Schritte.

Fast, so schien es, hätte die ETTU bei den Mannschafts-Europameisterschaften in Luxemburg einen der wichtigsten Beschlüsse ihrer 60-jährigen Geschichte gar nicht veröffentlicht. Ganze zwei Tage benötigte der Europa-Verband nämlich, um die Entscheidung des Kongresses zur Begrenzung künftiger Titelkämpfe für Teams bei Damen und Herren auf jeweils 24 Mannschaften offiziell bekanntzugeben. Dabei hätte die Entscheidung der Delegierten aus den über 50 ETTU-Mitgliedsverbänden durchaus, wie man heutzutage zu sagen pflegt, den Wert einer Breaking News gehabt, für Tischtennis-Verhältnisse jedenfalls: Denn in Luxemburg bekannte sich die ETTU so eindeutig wie noch nie zuvor zum Event-Charakter ihrer größten Veranstaltung und wandte sich damit zugleich gegen die traditionalistische Betrachtung des Turniers als in den vergangenen Jahren schon oft belächeltes „Familientreffen“.

Professionalisierung nicht die stärkste Triebfeder

Die buchstäbliche Häutung dürfte jedoch nur teilweise der Einsicht in die Notwendigkeit einer weiteren Professionalisierung geschuldet sein. Vielmehr waren vermutlich schlicht und einfach Sachzwänge der Hinter- und Beweggrund für die fast schon revolutionäre Entscheidung: Noch immer nämlich waren bis zum Kongress keine Kandidaten für die nächsten Titelkämpfe im bisherigen Format in Sicht (inzwischen schon: zum Bericht!) – derart große Massenveranstaltungen mit ihren inzwischen so vielfältigen Anforderungen sind heutzutage sogar selbst von sogenannten „großen Nationen“ nur noch durch wahre Kraftakte zu stemmen. Ausfallende Europameisterschaften aber würden - abgesehen von einem kolossalen Imageschaden – besonders erhebliche Einnahmeverluste bedeuten. Geld bewegt eben die Welt – und damit auch das Tischtennis.

Die ausgesprochen bemerkenswerte Zäsur muss (und wird) deswegen ja auch nicht schlecht sein. Gleichwohl glich der Entscheidungsprozess einer Zangengeburt: Wie viel Bauchschmerzen die Delegierten gehabt haben müssen, machte die zuvor erfolgte Ablehnung eines noch drastischeren Einschnitts einer Verkleinerung auf nur noch 16 Mannschaften pro Wettbewerb deutlich: Gerade einmal sieben Verbände stimmten dafür. 

Endrunde mit 16 Mannschaften das optimale Format

Doch dürfte und sollte dieser noch weiter gehende Schritt nur noch eine Frage der Zeit sein. Warum auch will oder muss sich Tischtennis einen Modus für seine Europameisterschaften leisten, der unter den ernstzunehmenden Sportarten mit olympischen Weihen geradezu exotisch ist? Nur noch schwer vertretbare Einzelinteressen verhindern momentan, dass auch Teamwettbewerbe im Tischtennis nach einem weltweit verbreiteten, weil auch einleuchtenden Spielsystem mit einer Vorrunde mit 16 Mannschaften in vier Vierer-Gruppen und danach entweder einem Viertelfinale der zwei besten Teams aus jeder Gruppe oder gar einem Halbfinale nur mit den Gruppensiegern. Der Tischtennis-Sport ist dabei, zu erkennen, dass seine über Jahrzehnte beanspruchte Sonderrolle im Konzert der wichtigen Sportarten zu Lasten seiner Konkurrenzfähigkeit geht.

Heutzutage müssen große Events spektakulär und kompakt, sprichwörtlich leicht verdaulich sein. Die Dauer von fünf Tagen der Titelkämpfe in Luxemburg war beinahe schon zu lang, besser wären sicherlich vier Tage. Mit ihrer Hoffnung auf mehr Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit und mehr Medienpräsenz alleine durch die Reduzierung ist die ETTU angesichts der nun vorgesehenen Ausdehnung auf sogar wieder sechs Tage eindeutig auf dem Holzweg.

Ausscheidungsspiele ohne Ausscheidung

Ganz ähnlich stellt sich die Situation fortan in der EM-Qualifikation dar. Die Chance zur Aufwertung wurde dadurch vergeben, dass paradoxerweise in der Ausscheidung auf der höchsten Ebene erst einmal überhaupt keine Mannschaft ausscheiden kann. Aus sechs Dreier-Gruppen nämlich qualifizieren sich gleich immer zwei Teams direkt für die nächste EM, während die sechs schwächsten Mannschaften sozusagen als „Joker“ noch an einem weiteren Turnier mit mehreren bislang zweitklassigen Nationen um nicht weniger als gleich zehn weitere EM-Plätze teilnehmen können. Man muss kein Prophet sein für die Behauptung, dass sich die Spannung eher in Grenzen halten wird. Hopp oder top – das Basisprinzip der Faszination sportlicher Wettkämpfe jedenfalls wird kurzerhand weitgehend außer Kraft gesetzt.

Den jungen Talente kann man somit durch zu erwartende Einsätze in den Qualifikationsspielen zwar zusätzliche Wettkampfpraxis verschaffen, wichtige Wettkampfhärte allerdings dürften sich die Bolls und Soljas von morgen durch so wenig Druck kaum holen. Vermutlich herrscht in China bei jeder Trainingseinheit der Nachwuchskader höherer Zwang zu Topleistungen. Immerhin hat die ETTU in Luxemburg schon einmal ein markantes und voraussichtlich auch unumkehrbares Signal gesetzt. Für einen Anfang gar nicht so schlecht, und die sich abzeichnenden Lehren dürften weitere Konsequenzen nach sich ziehen. Gut so, weiter so!

(Dietmar Kramer)

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