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Dietmars Blog: Glaubenskrieg durch neue Liga-Experimente?

Die Zeit ist abgelaufen - das Spiel ist beendet. So funktioniert T2APAC (©T2APAC)

17.07.2017 - In Asien laufen aktuell zwei interessante Experimente: die T2 Asian Pacific Table Tennis League in Malaysia und Ultimate Table Tennis in Indien. Die beiden Testballons geben eine Vorstellung von möglichen Veränderungen des Tischtennis in der Zukunft - und von Herausforderungen für die Bundesligen. Unser Blogger Dietmar Kramer klopft die Versuche auf ihre Alltagstauglichkeit hin ab und sieht vor allem in der Spielzeitbegrenzung Chancen.

Nach zum Teil extrem viel ‚Ballyhoo‘ haben in Asien die T2 Asian Pacific Table Tennis League (T2APAC) in Malaysia und Ultimate Table Tennis (UTT) in Indien begonnen. Hierzulande herrscht an den beiden Privatserien weniger wegen der Beteiligung von Deutschlands momentan besten Aktiven Interesse als vielmehr aufgrund durchaus interessanter Experimente in den zwei Wettbewerben. 

Die Innovationen der Organisatoren erscheinen durchaus vielversprechend und im Mainstream zu liegen. Insbesondere die Modifizierungen von Spielregeln zur generellen Reduzierung der Dauer eines Matches sind höchst beachtenswert. Kein Wunder, dass auch beim Weltverband ITTF genau auf die Ergebnisse dieser Experimente geschaut wird, wie Präsident Thomas Weikert schon im Vorfeld der beiden Serien mehrfach zu Protokoll gab. Nicht zuletzt deswegen sind auch die Leitungen der beiden Bundesligen gut beraten, das Geschehen in Asien aufmerksam im Auge zu behalten und zu analysieren.

Versuche zur Spieldauerbegrenzung vielversprechend

Vor allem zweierlei Veränderungen verbreiten, wenn man auf künftig mehr Tischtennis im Fernsehen hoffen können möchte, Charme: zum einen die allgemeine Begrenzung eines Einzelspieles auf 24 Minuten plus höchstens einen weiteren Ballwechsel in der T2APAC, und zum anderen die in beiden Wettbewerben erfolgte Abschaffung des zwingend vorgeschriebenen Zwei-Punkte-Vorsprungs zum Gewinn eines Satzes (Sudden Death/T2APAC bzw. Golden Point/UTT). Weitere Maßnahmen wie der Einsatz von Ballkindern und eine weitere Zeitbegrenzung zum Beginn des nächsten Ballwechsels verstärken die Zeitersparnis nur noch zusätzlich.

Die entscheidenden Stellschrauben jedoch sind die zeitlichen Obergrenzen für ein Spiel. Es muss dabei gleichwohl zunächst einmal dahin gestellt sein, ob eine generelle Deckelung der Spielzeit wie bei der T2APAC als der Weisheit letzter Schluss zu gelten hat. Ebenso ein Eingriff in die Tradition des Tischtennissports ist das automatische Ende eines Satzes mit dem elften Punkt. Unkalkulierbare, wenngleich auch eher selten stattfindende Verlängerungen mit beispielsweise mehr als neun zusätzlichen Punkten (16:14 etc.) würden damit ausgeschlossen. 

Investoren forcieren Entwicklung – und eine neue Debatte

Bezeichnend an den beiden Testballons ist ihr jeweils inoffizieller Charakter: Erst private Investoren mit entsprechendem Geschäftssinn haben den Mut aufgebracht, aus in der heutigen Welt offenkundigen Mängeln des Tischtennissports mitunter knallharte Konsequenzen zu ziehen und zum Teil sehr alte Zöpfe abzuschneiden. Die Durchsetzung einer Versuchsreihe zur Erprobung der Regeländerung auf Ebene der Verbände hätte vermutlich noch weitere wertvolle Jahre benötigt.

Doch nun sind die Themen in der Welt. Am Horizont, dazu bedarf es keiner sonderlichen prophetischen Fähigkeiten, zieht damit auch wieder einmal ein Glaubenskrieg auf. Ein Glaubenskrieg zwischen Vertretern einer zeitgemäßen Präsentation und auch Austragung des Tischtennissports im 21. Jahrhundert und vor allem im TV-Zeitalter auf der einen Seite und Traditionalisten auf der anderen Seite. Die Argumentationsketten sind bereits vorhersehbar und – nicht einmal abhängig vom Standpunkt – auch nachzuvollziehen. Die Modernisierer dürften als schwerstes Pfund die Planbarkeit von Einzel- und Mannschaftsspielen für Fernsehübertragungen als Voraussetzung für wichtige Sponsorengelder und die Steigerung von Interesse am Tischtennis allgemein in die Waagschale werfen. Tatsächlich ließe sich durch die 24-Minuten-Regel bei großen Turnieren für TV-Sender recht mühelos eine kompakte 60- bis 90-minütige Liveübertragung von zwei oder drei Topspielen mit dazugehörigen Nebenberichten arrangieren, auch wäre ein Mannschaftskampf beispielsweise in der Herren-Bundesliga auf eine maximale Dauer von knapp zweieinhalb Stunden zu limitieren.

Auch die Sudden-Death- oder Golden-Point-Variante bei Gleichständen an Satzenden birgt einige Möglichkeiten zur Zeitersparnis – und wäre im Grunde genommen nach der Einführung der Elf-Punkte-Regel auch nur deren wohl logische Fortentwicklung. Allerdings kann das Potenzial dieses Modells einzig bei Verlängerungen ausgeschöpft werden, so dass seine Anwendung alleine auch nicht zwangsläufig Auswirkungen auf die benötigte Zeit erzielen würde.

Liebhaber des Tischtennis in der sogenannten Reinkultur hingehen dürften alsbald ins Feld führen, dass schon die Elf-Punkte-Regel als Zugeständnis an die Bedürfnisse des tatsächlich weiterhin dem Tischtennis kaum zugetanen Fernsehens schon sehr weitreichend war. Auch können die Gegner weiterer Innovationen durchaus mit Recht argumentieren, dass ohne Verlängerungen keine mitunter hin- und herwogenden Matches mit Matchball A, Gleichstand, Satz- oder Matchball B mehr stattfinden würden und damit ein charakteristisches Spannungselement verloren ginge.

Chancen für die Bundesliga

Ungeachtet der zu erwartenden Debatten sollten sich die Bundesliga-Macher das Momentum des Interesses an den beiden Wettbewerben in Asien zu eigen machen und sich, nach Auswertung der erworbenen Erkenntnisse, an die Spitze der Bewegung setzen. Durch die Multiball-Einführung und die ebenfalls schon zur bevorstehenden Saison beschlossene Zeitregel für den Aufschlag ist das deutsche Oberhaus weitgehend auf der Höhe der Zeit. Für ihr Ansehen und nicht zuletzt auch ihre Zukunftssicherung wäre ausgesprochen vorteilhaft, würden von der Bundesliga nunmehr weitere Signale für eine zukunftsweisende Reform des Sports ausgehen. Womöglich lässt sich aus einer sinnvollen Kombination der beiden Versuche oder durch leichte Modifizierungen der zwei Instrumente ein Bundesliga-Modell und damit ein echtes Markenzeichen entwickeln.

(Dietmar Kramer)

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