Pro vs. Contra

Pro vs. Contra: Wildcard für die TTBL - Fluch oder Segen?

Haben Wildcards ihre Berechtigung oder verstoßen sie gegen sportliche Grundprinzipien? (©Fabig)

25.03.2019 - Wie vor wenigen Wochen berichtet, hat sich die TTBL zur kommenden Saison für die Aufnahme des TTC Ebner Ulm in ihre Reihen entschlossen. Dass ein Verein ohne sportliche Qualifikation ins Tischtennis-Oberhaus vorstoßen darf, stößt so manchem sauer auf. Die Gegenseite argumentiert mit Chancen für den Sport und die Liga. Welcher Meinung unsere beiden freien Redakteure Jan Lüke und Lennart Wehking sind, lesen Sie im Pro vs. Contra.

PRO

Wildcards dienen dazu, „Sportlern oder Mannschaften, die den Qualifizierungsregeln nicht genügen, dennoch die Teilnahme zu ermöglichen“. Das schreibt die Wikipedia. Klingt zunächst mal nach einer milden Gabe für Bedürftige: Jemand ist nicht gut genug und darf trotzdem mitmachen. In der Realität sind die Motive, eine Wildcard zu vergeben, meist weniger selbstlos und uneigennützig. Für Sender und Empfänger der Wildcard ist es eine Win-win-Situation, von der sich beide Seiten etwas versprechen – meist einen wirtschaftlichen Vorteil. Mehr Zuschauer, mehr Sponsoren, mehr Einnahmen.

Auch im Falle des TTC Ebner Ulm, der bald in der TTBL mitmischen darf, ist das so. Der Verein bekommt eine Startberechtigung für die höchste deutsche Spielklasse und die damit verbundene Aufmerksamkeit, ohne dafür sportlich etwas geleistet zu haben. Die Liga bekommt einen neuen Starter, was beileibe keine Selbstverständlichkeit ist. Gewinn auf der einen Seite, Gewinn auf der anderen Seite. So war denn auch die Lesart, die Verein und Liga dem Thema verpassen wollten. „Seine Kompetenzen im sportlichen, administrativen und medialen Bereich sowie seine exzellente Vernetzung lassen daran keinen Zweifel“, lobt TTBL-Geschäftsführer Nico Stehle seinen zukünftigen Geschäftspartner Florian Ebner in feinstem Business-Sprech. Verlierer gibt es keine. Und ich bin der Meinung, dass das auch stimmt.

Das Argument, dass die Wildcard für Ulm den sportlichen Wettbewerb ad absurdum führt, muss man gelten lassen. Mit der Grundidee, dass Sieg und Niederlage entscheiden, wie sich die Vereine auf die Spielklassen verteilen, hat das Freilos für den TTC Ebner Ulm nicht viel zu tun. Geschenkt! Die Frage aber ist doch: Gibt es diesen Wettbewerb, den sich viele im Tischtennis wünschen, weil sie ihn aus dem deutschen Fußball oder Handball zu kennen glauben, überhaupt? Eben nicht. Die TTBL ist zwar die höchste Liga im deutschen Spielbetrieb, aber wenn man ehrlich ist, hat sie mit dem Rest vom Fest wenig zu tun. Die Hürden, um in der Eliteliga mitmachen zu dürfen, sind immens. Zudem ist das Spielsystem anders, manchmal sogar die Regeln. Die TTBL ist ein Satellit, der hochklassigen Sport als Unterhaltungsprodukt vermarktet. Mit Turnhalle, Vereinsheim und klassischen Vereinsstrukturen hat das in den meisten Fällen nichts mehr zu tun. Das kann man mögen oder nicht. Aber das ist nun mal der Ausgangspunkt, wenn man loszieht, um sich darüber zu beschweren, dass man per Wildcard in die Liga einsteigen kann. 

Für einen klassischen Verein und entsprechende Strukturen ist die TTBL kein attraktives Ziel. Zumindest war sie das in den vergangenen Jahren nicht. Die Vereine konnten oder wollten nicht in die erste Liga. Wer doch wollte und konnte, wie etwa der TTC Jülich in der vergangenen Saison, der durfte auch. Auch der Verein aus der Nähe von Aachen hatte die sportliche Qualifikation für die TTBL nicht geschafft. Sich jetzt über den TTC Ebner Ulm zu beschweren, ist billig. Warum hat sich in den vergangenen Jahren niemand über die Vereine beschwert, die als Meister nicht aufsteigen wollten? Warum hat man sich in den vergangenen Jahren nicht über die TTBL beschwert, die den Zweitliga-Topteams nicht weiter entgegengekommen ist? Beides wäre berechtigter als das Jammern über eine Wildcard.

Meiner Meinung nach muss man sich mit einem schlichten Gedanken anfreunden: Schon heuer ist es schwierig, eine Profi-Mannschaft im Tischtennis auf die Beine zu stellen – und es wird in einer Sportart mit enormem Schwund an Aktiven in Zukunft sicherlich nicht leichter. Aufwand und Ertrag, Kosten und Nutzen stehen in der Regel in keinem gesunden Verhältnis zueinander. Erst recht nicht dann, wenn man sich wünscht, dass Spieler am Tisch stehen, die als Profis trainieren und dementsprechend auch davon leben müssen. Wenn die TTBL eine reine Profi-Liga mit dem entsprechenden sportlichen Niveau bleiben soll, wird man in Zukunft froh sein über jeden Verein, der sich auf dieses Unterfangen einlässt. Ob der TTC Ebner Ulm dazu beitragen wird, eine kränkelnde Liga zu genesen, wird sich zeigen. Aber schaden wird der neue Erstligist sicherlich niemandem.

(Jan Lüke)

CONTRA

In diesem Punkt bin ich wahrscheinlich Traditionalist. Mannschaftssport im Ligabetrieb, egal auf welchem Niveau, muss für mich immer einhergehen mit der sportlichen Qualifikation für eine Spielklasse. Auf- und Abstiege werden durch das sportlich erfolgreiche oder eben weniger erfolgreiche Handeln definiert. Das macht den Reiz aus. Das sorgt dafür, dass letztendlich jeder Kreisligaakteur im gleichen System um Punkte und Siege kämpft wie die großen Stars unseres Sports in den Profiligen. Wildcards sind in diesem Konzept nicht vorgesehen. 

Modelle, in denen eine Liga losgelöst von sportlichen Leistungen zusammengesetzt werden kann, widersprechen diesem Grundprinzip gänzlich. Ich bin mir bewusst, dass sie existieren, teilweise gar schon seit Jahrzehnten, wagt man einmal den Blick über den großen Teich und analysiert den US-amerikanischen Sport. Und auch der Tischtennissport hat durchaus erfolgreiche Modelle in Asien neu aufgelegt oder aber bisherige weiterentwickelt, die völlig losgelöst vom Hobbysport die Besten der Besten anlocken und neue Zuschauersegmente erschließen konnten. Der Tischtennissport in Deutschland hat jedoch eine andere Tradition. Hier sorgen solche Systeme zwangsläufig für eine Kluft zwischen dem organisierten Sport von Amateuren und Hochleistungssportlern. In einer Sportart wie Tischtennis, die weiterhin auf einer sehr breiten, bunten Basis fußt, ist dieser Grundsatz in meinen Augen besonders bedeutend. 

Dieses Credo wurde nun zum ersten Mal ausgehebelt: Der TTC Ebner Ulm hat die erste Wildcard in der Historie des deutschen TT-Ligabetriebs erhalten und darf den zum x-ten Mal freigebliebenen Startplatz in der deutschen Eliteklasse einnehmen. Unabhängig davon, dass es aus Ligasicht und aus insbesondere wirtschaftlicher Sicht des Unternehmens TTBL bestimmt gute Gründe gegeben haben muss für den Einkauf bzw. Zukauf dieser Mannschaft: Ich bin erschrocken, dass der deutsche Tischtennissport diesen Schritt nun wirklich formal vollzieht. Dass diese Idee schon länger in der TTBL-Schublade schlummert, kann dabei auch die gefühlt in Schriftgröße 8 verbreitete und zurückhaltend formulierte Meldung über das neue Bundesligamitglied nicht verschleiern. 

Ein Argument saust bei der Debatte über die Ulmer Neulinge immer wieder durch den Raum: Endlich sei die Spielklasse voll, heißt es oft, endlich gäbe es wieder einen Abstiegskampf, endlich wehe frischer Wind durch die etwas eingestaubte Tischtennis-Bundesliga. Für mich ein Argument, das im Kern durchaus seine Berechtigung hat. Die abgeleitete Konsequenz ist aber dann die völlig falsche: Anstatt ein trotz aller Bekenntnisse für Vereins- und Jugendarbeit letztendlich doch sehr stark auf wirtschaftlichen Erfolg ausgerichtetes Ein-Mann-Projekt durch die Ligahintertür zu lassen, hätten die TTBL-Macher das Konzept einer Zwölfer-Staffel überdenken können. Bis heute habe ich diesen ja mit Vehemenz vorangetriebenen und umgesetzten Ausbau der Sollstärke nicht verstanden. Eine spannende Zehner-Staffel wäre problemlos möglich – Abstiegskampf inklusive. Nun also ein Projekt, das losgelöst von einem von Mitgliedern getragenen Unterbau ganz oben mitmischt. Mitmischen darf, die Bundesligaclubs haben sich gemeinsam für diesen Weg entschieden. 

Abzuwarten bleibt nun, wie sich der neue Ulmer Club ausrichtet und wofür er steht. Zu den (Hinter)gründen des Projekts ist bisher wenig bekannt. Ob diese Wildcard für die erhoffte Professionalisierung sorgt und dem stetig sinkenden Zuschauerinteresse entgegenwirken kann, bezweifele ich stark. Wildcards sind einfach nicht mein Ding. 

(Lennart Wehking)

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