Buntes

Drittligaspieler schenkt Ukrainern ein neues Zuhause

Leonid Yakymchuk bei der Jugend-EM in Belgrad und mit der Familie Brosig vor dem Weihnachtsbaum. (©privat)

05.03.2023 - Thomas Brosig und seine Frau Elisa haben einen Monat nach Kriegsbeginn im März 2022 die ukrainischen Brüder Leonid (16) und Dmytro „Dima“ Yakymchuk (13) in ihre Familie in Dortmund aufgenommen. Beide haben sich in Deutschland schnell zurechtgefunden, die Integration durch die Tischtennis-Kontakte des Drittligaspielers fiel nicht schwer. Leonid schlägt mittlerweile für den SV Union Velbert auf, gewann im Sommer eine Medaille bei der Jugend-EM in Belgrad und darf sogar bei den deutschen Meisterschaften starten.

Millionen Deutsche schalteten vor ziemlich genau einem Jahr erschrocken den Fernseher ein, als russische Truppen in die Ukraine einmarschierten und das Nachbarland auf Befehl ihres Präsidenten Wladimir Putin bombardierten. Ein Ende des Angriffskriegs ist auch ein Jahr später nicht in Sicht, doch die Solidarität in Deutschland ist nach wie vor zu spüren. Thomas Brosig verbindet mit den schlimmen Ereignissen in Osteuropa ein persönliches Schicksal – und zwar in doppelter Hinsicht. Schon wenige Tage nach der Invasion brach der Drittligaspieler des SV Union Velbert aus seiner Heimatstadt Dortmund auf und nahm eine fünftägige Odyssee auf sich, um die aus Kiew geflohenen Eltern seiner Schwägerin Marina an der polnischen Grenze in Empfang zu nehmen. „Ich habe so viel geweint, wie in meinem ganzen Leben zuvor noch nie“, sagte der 41-Jährige über seine Erfahrungen im Plattenplausch-Podcast Nummer 45. Sogar die ARD berichtete in den Tagesthemen und einem Brennpunkt über Brosigs Geschichte, die mit der Rettung seiner Verwandten allerdings erst ihren Anfang genommen hat.

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Kontakt über Union Velbert – Yakymchuks Eltern blieben in der Ukraine

Denn seither ist im Leben von Thomas Brosig viel passiert. Mitte März 2022 entschied sich der dreifache Familienvater mit seiner Frau Elisa dazu, zwei ukrainische Kinder aus der betroffenen Hafenstadt Odessa bei sich zuhause im Dortmunder Stadtteil Benninghofen aufzunehmen und ihnen eine sichere Zukunft zu ermöglichen. Am 24. März bezogen Leonid (16) und Dmytro „Dima“ Yakymchuk nach langer Anreise über Moldawien und Rumänien das Eigenheim der Brosigs. „Der Kontakt ist über den Tischtennissport entstanden“, berichtet der langjährige Zweitligaspieler. Sein Abteilungsleiter beim Drittligisten SV Union Velbert (WTTV), Michael Hinz, hatte kurz nach Kriegsbeginn die ukrainische Nummer vier Anton Limonov (in der zerbombten Trainingshalle in Kiew kann nicht mehr trainiert werden: siehe Video) für die erste Mannschaft verpflichtet, über den wiederum die Situation von Leonid Yakymchuk bekannt wurde. Dem Teenager konnte Hinz wiederum ohne Unterstützung Dritter zunächst nicht helfen. Quasi über Nacht entschied Familie Brosig, dass der ukrainische Jugend-Nationalspieler bei ihnen unterkommen kann.

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In der anschließenden Kommunikation mit der Mutter kam heraus, dass Leonid mit „Dima“ (wird im Juni 14 Jahre alt) noch einen jüngeren Bruder hat. „Für uns war klar, dass auch er hierherkommen muss“, erklärt Brosig. Die Eltern der Yakymchuk-Geschwister – der Vater arbeitet als Arzt im Krankenhaus, die Mutter im humanitären Hilfsdienst – sind verpflichtet, in der Heimat zu bleiben und dürfen ihr Land nicht verlassen. „Man kann sich nur schwer vorstellen, wie schwer diese Situation für alle Beteiligten ist. Es sind auch Tränen geflossen. Beide schreiben bis heute fast täglich mit ihren leiblichen Eltern. Sie versuchen nach Ostern noch mal zu Besuch kommen“, so Brosig, dessen mittlerer Sohn Sergio (14) sein frisch eingerichtetes Zimmer für die neuen Familienmitglieder freiräumte und ins Arbeitszimmer seines Vaters zog.

Keine Anpassungsschwierigkeiten im Alltag – Leonids TT-Karriere nimmt Fahrt auf

Die Brosigs schafften neben einem Bett und Schreibtisch, Handys und Fahrrädern noch zwei Tablets zum Deutschlernen an. Weil beide trotz direkter Anmeldung erst seit August einen Schulplatz haben, bestand so etwas komfortabler die Möglichkeit, per Gratis-App eigenständig Grammatik und Vokabeln zu lernen. Nach kurzer Zeit konnten sich die Brosigs mit ihren Pflegekindern somit nicht mehr nur auf Englisch, sondern auch für alles Notwendige auch auf Deutsch unterhalten. Die Integration funktioniert gut. Die älteste Tochter Linda (17) nimmt Leonid mit zu Freunden, Dima spielt mit Nachbarsjungen Playstation und der Jüngste, Federico (7), freut sich über weitere „große Brüder“. Ostern und Weihnachten wurde mit der Familie gefeiert, Urlaube auf Sizilien und in den Niederlanden kamen ebenso hinzu wie ein Besuch bei den Ehrlich Brothers in der Westfalenhalle, der durch einen alten Tischtennisfreund ermöglicht wurde. „Wir erledigen alles so, wie wir es auch für unsere eigenen drei Kinder tun“, sagt Brosig.

Dazu gehört auch die sportliche Förderung. Dima konnte beim Volleyball-Verein TV Hörde fußfassen. Leonid schlägt für den SV Union Velbert in der NRW- und 3. Liga auf, trainiert täglich, unter anderem beim Zweitligisten BV Borussia Dortmund. Die befreundete Familie Fadeev sprang in den Anfängen als Dolmetscher ebenfalls helfend zur Seite. Zum WTTV-Kadertraining im DTTZ nach Düsseldorf wurde Leonid in der Bahn zu Beginn von seinem „Stiefbruder“ Sergio begleitet, der parallel zum Hockey fährt. Mittlerweile kennt er sich so gut aus, dass er eigenständig zu jeder Trainingseinheit anreist. Dank der Hilfe des DTTB konnte Leonid im Juli 2022 in den Flieger zur Jugend-EM nach Belgrad steigen. Der 16-Jährige hatte großen Anteil daran, dass die ukrainische Mannschaft am Ende die Bronzemedaille gewann. Die Karriere geht weiter steil bergauf. Denn der Abwehrspieler qualifizierte sich durch das Erreichen des Halbfinals bei den westdeutschen Jugendmeisterschaften für die deutschen U18-Einzelmeisterschaften am 29./30. April in Lehrte (TTVN). „Die Tischtennis-Community steht zusammen. Über meine Kontakte können wir Leonid bestmöglich fördern“, schwärmt Brosig von den jüngsten Erfolgen Yakymchuks.

Probleme mit den Behörden – Ovtcharov hilft bei Wohnungssuche für Verwandte

Die Reaktionen im Umfeld sind durchweg positiv. Doch es sind nicht nur schöne Dinge, die die Brosigs seit ihrer mutigen Entscheidung vor einem Jahr erlebt haben. Den Entschluss fällten sie damals vor dem Hintergrund der Politik angekündigten „unbürokratischen Hilfe. Wir dachten, zu Kriegszeiten in Europa müssen wir alle zusammenhalten. Genau das würden wir uns auch von unseren Nachbarn wünschen“, so Brosig. Doch alles, was mit der Stadt Dortmund zu tun habe, gestalte sich schwierig, erklärt der 41-Jährige und spielt auf die unzähligen, teils chaotischen Behördengänge mit Blick auf Krankenversicherung und Co. an.

Diese stellen sich für die Eltern, die neben den fünf Kindern auch noch arbeiten müssen, als große Hürden dar. „Wir hatten damals eigentlich keine Ahnung und sind davon ausgegangen, dass wir zur Stadt gehen und dort gesagt bekommen, was zu tun ist“, sagt Brosig. So dauerte es fünf Monate, bis die Yakymchuks - und das nur dank tatkräftiger Mithilfe und Kontaktaufnahme von Helmut Diegel (CDU-Politiker und Präsident des TTC Hagen) zur NRW-Bildungsministerin Dorothee Feller - überhaupt einen Schulplatz bekommen haben. Die Sorgerechtsvollmacht wurde zwar unproblematisch ausgestellt. Die Prüfung, ob die Brosigs als Plegeeltern geeignet sind, ist vom Jugendamt aber noch immer nicht abgeschlossen. Diese bezieht sich nur auf die Geeignetheit von Thomas und Elisa Brosig als Pflegeeltern: „Dass wir drei eigene Kinder haben und Leonid und Dima bereits seit fast einem Jahr bei uns leben bzw. wie es den beiden geht, interessiert hier im Prinzip nicht.“

Trotz aller Hindernisse genießen die Brosigs die Zeit zu siebt. Die Schwiegereltern seines Bruders wohnen inzwischen seit einem Jahr in einem nahegelegenen Mehrfamilienhaus in Dortmund und haben sich in Deutschland gut eingelebt. Bei der Wohnungssuche unterstützte übrigens auch Dimitrij Ovtcharov, den Brosig noch aus alten Tagen kennt. Über Brosigs Mannschaftskameraden Lars Hielscher hatte Dima (bekanntlich selbst vom Krieg betroffen) von der Situation erfahren, beide Seiten standen sich gegenseitig zur Seite. So hat Brosigs Schwägerin auf Wunsch des Nationalspielers Kontakt zu seiner Cousine, die zunächst in der Nähe von Dortmund unterkam und kein Wort deutsch sprach, aufgenommen.

Bleibt nur noch zu hoffen, dass zwischen Russland und der Ukraine irgendwann die Friedensgespräche aufgenommen werden und das Blutvergießen ein baldiges Ende hat. Bis dahin werden Leonid und Dima Yakymchuk ein geregeltes Leben in Dortmund führen, dem Tischtennissport und der Familie Brosig sei Dank.

Zu den TTR-Historien von Thomas Brosig und Leonid Yakymchuk

Lesen Sie auch: Interview Katharina Michajlova: "Schläger gegen Gewehre getauscht" (16. März 2022)

Info: Viele Amateur- und Profi-Vereine in Deutschland durften sich im vergangenen Jahr über Zuwachs aus der Ukraine freuen. Wie ist es weiteren ukrainischen Spielern ergangen, die nach Deutschland flohen und hier versuchen, wieder Fuß zu fassen? Das Magazin 'tischtennis' hat in der März-Ausgabe einen Schwerpunkt auf die Ukraine gesetzt, unter anderem den Nationalspieler Yarsolav Zhmudenko befragt und erzählt die Geschichte des 13-jährigen Yaroslav „Yarik“ Kovalchuk.

(FKT) 

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