Buntes

Tuning: Was unternimmt der Weltverband dagegen?

Getunte Beläge scheinen nicht nur im absoluten Topsport ein Problem zu sein (©Roscher)

18.11.2016 - Timo Boll hatte im Vorfeld der WM in Kuala Lumpur mit einem Zeitungsinterview für Furore gesorgt. Darin fand der Rekordeuropameister deutliche Worte und beschuldigte 80 Prozent der Topspieler des Schlägertunings. Die ITTF versprach, sich um das Problem zu kümmern - Ergebnisse sind neun Monate nach dem Boll-Interview aber noch nicht verkündet worden. Dabei besteht das Problem weiterhin, wie auch Regionalligaspieler Leon Abich nach dem Bundesranglistenfinale berichtete.

„Das Belagmaterial muss ohne irgendeine physikalische, chemische oder sonstige Behandlung verwendet werden“, heißt es in Paragraf 4.7 des Tischtennisregelwerks. Dass sich viele internationale Spieler angeblich dennoch einen Vorteil verschaffen, indem sie tunen, hatte schon Jun Mizutani 2013 beklagt. Im Februar dieses Jahres platzte auch Timo Boll der Kragen und er trug das Thema über ein Zeitungsinterview in die breite Öffentlichkeit. Während der darauffolgenden WM in Malaysia wurde viel über das Problem gesprochen, selbst eine schnelle Lösung bis zu den Olympischen Spielen in Rio stand im Raum. Was ist nun aber der Stand neun Monate nach Bolls Interview? Ist eine Lösung in Sicht? Hat sich das Problem von selbst erledigt? Es sieht nicht danach aus.

Tuning auch hierzulande ein Problem

Leon Abich, Regionalligaspieler beim TSV Sasel, brachte das Thema nach dem Bundesranglistenfinale Ende Oktober noch einmal auf den Tisch. Er ist der Ansicht, dass nicht nur in der internationalen Spitze getunt wird, sondern auch „bei Spielern der 2. oder 3. Liga in Deutschland als selbstverständlich gilt“, wie er in einem Beitrag auf der Saseler Vereinswebseite beschreibt. Der 19-Jährige sei bei dem Turnier auf ungläubige und belustigte Gesichter gestoßen, da er selbst mit sauberen Belägen spiele, obwohl er dadurch einen Nachteil im Wettkampf hat. „Dass selbst Mizutanis Boykott und Bolls Aufruf nach strengeren Kontrollen durch Laboranalysen der Beläge nach Wettkämpfen kein Gehör findet“, schreibt Abich, „zeigt, wie wenig Sinn die Verantwortlichen für den Fairnessgedanken noch besitzen.“

Diese Kritik weist ITTF-Chef Thomas Weikert zurück. Seit der WM sei das Thema nämlich nicht ad acta gelegt, sondern vor allem vom ITTF-Materialkomitee weiter bearbeitet worden. Allerdings sei man bei der Suche nach einem geeigneten Kontrollverfahren noch nicht auf eine Lösung gestoßen, die auf allen Ebenen überzeugt. Die Japaner hatten eine Methode vorgeschlagen, bei der der Belag für den Test allerdings zerstört wird. Der vielversprechendere Vorschlag kam von einem Chemiker aus Regensburg, Professor Hubert Motschmann, der mit seinem etwa 85 kg schweren Rheometer, einem Messgerät zur Ermittlung des Verformungs- und Fließverhaltens von Materie, einen „Fingerabdruck der zugelassenen Beläge“ anfertigt, wie Weikert erklärt, und die Eigenschaften des zu überprüfenden Materials mit denen der handelsüblichen Beläge vergleicht. Wenn die Deformation des Belags und der Katapulteffekt zu stark abweichen, könnte dies als Beweis für die Nachbehandlung des Belags dienen. Das Hauptproblem dabei besteht laut Weikert allerdings darin, dass sich die Zulassung der ITTF nur auf die Obergummis und nicht auf die Schwämme bezieht. Da also in den Richtlinien nicht weiter darauf eingegangen wird, welche Eigenschaften der Schwamm haben muss - von der Dicke inklusive Gummi einmal abgesehen -, können diese in einem solchen Verfahren auch nicht überprüft werden. 

Lösung für den Topsport oder die breite Masse?

Dabei wirkt das Tuning, wie Torsten Küneth, Mitglied des ITTF-Materialkomitees, beschreibt, vor allem auf den Schwamm: „Das Prinzip ist eigentlich wie damals beim Frischkleben. Der Schwamm wird durch den Tuner aufgebläht, indem sich die Bläschen ausdehnen. Dadurch wird der Belag schneller und die Rotation nimmt zu.“ Um die Eigenschaften eines regelkonformen Schwamms zu definieren, müsste die ITTF mit ihren über 200 Nationalverbänden bei ihrer Jahreshauptversammlung die Zulassung für Schwämme beschließen, was das Ganze von der technischen auf die sportpolitische Ebene verlagert. Was die technische Seite betrifft, ist Küneth jedenfalls noch immer zuversichtlich, dass eine Lösung gefunden wird. Wenn ein Apparat wie das Rheometer zur Überprüfung eingesetzt wird, ist allerdings auch klar, dass diese Lösung wahrscheinlich nur für den Topsport gelten wird - und nicht für die breite Masse, wahrscheinlich noch nicht einmal für die von Leon Abich angesprochenen 2. und 3. deutschen Ligen. „Wünschenswert wäre natürlich eine Lösung, die für die breite Masse gilt“, findet auch Küneth. „Zunächst wird die ITTF allerdings ein praktikables Verfahren für die von ihr veranstalteten Turniere suchen. Inwiefern dieses auch auf nationaler Ebene oder im Breitensport eingesetzt wird, ist dann letztlich Sache der nationalen Verbände.“

Wenn keine zufriedenstellende Maßnahme gefunden wird, bliebe noch die Freigabe des Tunings. „Wir kehren einfach zu den Verhältnissen des Frischklebens zurück, nur dass der Tuner nicht gesundheitsschädigend oder in sonstiger Art und Weise gefährlich ist, wenn dem so ist“, schlägt etwa Leon Abich vor. Für Thomas Weikert wäre dies durchaus eine Möglichkeit: „Im Moment arbeiten wir noch an einer anderen Lösung, aber die Freigabe des Tunings ist weiterhin eine Option, wenn es nicht gesundheitsschädlich ist. Und danach sieht es aktuell nicht aus.“ Torsten Küneth sieht allerdings auch die Gefahr, dass dadurch neue Probleme auftreten. „Durch die Freigabe hätte man natürlich erst einmal eine Regelung weniger, die man überwachen muss. Aber vielleicht verschiebt sich dadurch auch nur die Grenze und es wird ein neuer Raum für Tüfteleien eröffnet“, gibt der Materialexperte zu bedenken. 

Ende offen

Ist nun also mit einer schnellen Lösung des Problems - ob durch eine Freigabe oder eine neue Messmethode - zu rechnen? Danach sieht es aktuell nicht aus. Das Materialkomitee arbeitet weiterhin mit der Uni Regensburg zusammen - wann dort neue Ergebnisse zu erwarten sind, kann aber noch nicht gesagt werden. Auch Weikert hat für das Thema keine Deadline gesetzt. Bei den World Tour Grand Finals Anfang Dezember sollen in Doha auf jeden Fall wieder die Köpfe zu diesem Problem zusammengesteckt werden. Traurig nur, dass ein paar Räume weiter womöglich ein Spieler mit getunten Belägen zum Grand Finals-Sieger gekürt wird.

(JS)

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