WM 2016

Dr. Kass: Plastikball kann mit schuld an Verletzungen sein

Dr. Toni Kass sitzt einsatzbereit in Boxennähe und feuert seine Schützlinge an (©Stosik)

28.02.2016 - Die Nachricht über Dimitrij Ovtcharovs verletzungsbedingte Absage traf viele Fans unvorbereitet. Was hat ‚Dima‘ genau und warum ist gefühlt bei jedem Großevent irgendjemand aus dem deutschen Team verletzt? Wir haben uns mit Mannschaftsarzt Dr. Toni Kass über die Verletzungssorgen unterhalten. Für ihn trägt der Plastikball eine Mitschuld an den Beschwerden und muss eine Anpassung des Trainings nach sich ziehen, was bisher noch zu wenig geschehen ist.

myTischtennis.de: Können Sie einmal für Laien erklären, was Dimitrij Ovtcharov genau hat und warum die Absage nötig war?

Dr. Toni Kass: Dima hat Rückenbeschwerden, die sich darauf zurückführen lassen, dass er sich beim letzten Trainingslager eine Zerrung zugezogen hat. Das ist eine ähnliche Geschichte, wie er sie vor ein paar Monaten schon einmal hatte. Das hat viel mit dem Kreuz-Darmbein- oder Iliosakralgelenk zu tun, das immer wieder blockiert und wo er sich jetzt eine Nervenreizung geholt hat. Das ist nicht dramatisch, aber wenn er hätte spielen sollen, wäre dies nur unter Einsatz erlaubter Hilfsmittel, also Schmerzmittel, gegangen. Wir haben uns dann schweren Herzens dazu entschlossen, die WM abzusagen, damit er das jetzt erstmal auskuriert und sich auf den Rest der Saison und die Höhepunkte, allen voran die Olympischen Spiele, gut vorbereiten kann.

myTischtennis.de: Das heißt, er hat jetzt etwas Akutes, was aber auf einem prinzipiellen Problem beruht…

Dr. Toni Kass: Es ist jetzt das zweite Mal, dass dieses akute Problem aufgetreten ist, und deswegen wollten wir ihn jetzt nicht noch mit der heißen Nadel für die WM fit machen - mit dem Risiko, dass er dann für längere Zeit ausfällt. Daher wird das jetzt einmal ordentlich gemacht und danach sollte er Ruhe haben. 

myTischtennis.de: Wie sieht dann jetzt genau die Therapie aus?

Dr. Toni Kass: Er hat eine Woche Pause gemacht und beginnt jetzt mit einem stufenweisen Wiederaufbau, teilweise bei seinem Vater in Hameln, wo er auch ein bisschen Tischtennis im „Low Level“-Bereich spielt, sich aber vor allem auf seine körperliche Reha und Stabilisierung konzentriert. 

myTischtennis.de: Timo Boll ist ja da schon einen Schritt weiter. Wie zufrieden sind Sie mit seinen Fortschritten nach der Knie-OP?

Dr. Toni Kass: Das Knie ist zu 99 Prozent wieder in Ordnung und kann als ausgeheilt betrachtet werden.

myTischtennis.de: Dafür plagt ihn jetzt ein Erkältung…

Dr. Toni Kass: Ja, er hat einen viralen Infekt. Da man davon ausgehen konnte, dass das mit Dänemark auch ohne ihn funktioniert, haben Timo, Rossi und ich zusammen entschieden, dass er heute Pause macht.

myTischtennis.de: Verletzungen sind in letzter Zeit ein großes Thema in der deutschen Mannschaft. Gefühlt gab es zuletzt kaum ein Großevent, bei dem nicht irgendjemand verletzt ausgefallen ist. Warum ist das so?

Dr. Toni Kass: Da kann man sich viele Gedanken zu machen. Ein Punkt ist sicherlich der Plastikball. Der neue Ball sorgt für 20 Prozent längere Ballwechsel. Es ist nicht mehr so stark die taktische Finesse gefragt, eher das Rabiate. Ich denke, dass das die Spieler auf eine andere Art und Weise belastet, als sie es kennen. Sie haben durch die längeren Ballwechsel einfach eine höhere Belastung. Da kann man sich drüber streiten, aber meiner Meinung nach ist diese Erklärung durchaus plausibel. Aber meistens ist es trotzdem eine Verkettung mehrerer Dinge.

myTischtennis.de: Der Plastikball ist auch ein Faktor, den die Chinesen als Erklärung für ihre Verletzungen angeben. Der Laie würde nicht denken, dass durchtrainierte Athleten auf solch eine letztlich geringfügige Veränderung am Material so krass reagieren…

Dr. Toni Kass: Auf dem Level wirken sich ganz kleine Faktoren schon extrem aus. Wenn man überlegt, dass sie sowieso schon am Limit spielen, reicht so etwas dann, um das Fass zum Überlaufen zu bringen. 

myTischtennis.de: Was können Sie da zur Vorbeugung empfehlen?

Dr. Toni Kass: Dass man sich grundsätzlich mobilisiert, stabilisiert und der Athletik genügend Raum im Training einräumt. Für mich als Nicht-Tischtennisspieler ist da zudem noch eine andere Sache: Bisher haben die Spieler darauf gewartet, dass die neuen Bälle so gut wie die alten werden. Ich glaube, dass man sich mittlerweile darauf einstellen muss, dass das nicht mehr passiert, und sich offensiver an die bestehenden Gegebenheiten anpassen sollte. Es ist ein neuer Ball, also muss ich was verändern und darauf reagieren. Es sind längere Ballwechsel, also muss ich mich im Training darauf vorbereiten. 

myTischtennis.de: Eine wichtige Frage noch zum Abschluss: Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass Dimitrij Ovtcharov und Timo Boll zumindest bei den Olympischen Spielen gesund und munter antreten werden und bei hundert Prozent sind?

Dr. Toni Kass: Groß! Ich sehe da für beide keine Schwierigkeiten. 

(JS)

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