Pro vs. Contra

Pro vs. Contra: Weniger Unterbrechungen im Spiel?

Hält die kleine Verschnaufpause zwischen zwei Ballwechseln nur auf? (©Roscher)

20.11.2015 - Haben Sie gewusst, dass im Tischtennis von durchschnittlich 42 Minuten Spielzeit nur sechs Minuten für das wirkliche Spiel verwendet werden - also für die Ballwechsel? Klingt auf den ersten Blick ziemlich wenig, die Frage ist allerdings, ob das positiv oder negativ ist. Lennart Wehking und Jan Lüke diskutieren diesmal im ‚Pro vs. Contra‘, ob eine weitere Verkürzung des Wettkampfs zum Beispiel durch den Einsatz mehrerer Bälle oder die Abschaffung von Netzaufschlägen sinnvoll ist.

 
 
 

PRO

15, 16, 17, 18 - richtig gezählt! Exakt 18mal prellt Novak Djokovic die Kugel, bevor die Nummer Eins der Tenniswelt den Filzball mit knapp 200 Sachen ins gegnerische Feld drischt. Eine für den Gegner elendig lange Wartezeit. Nicht nur für den. Vielen der Zuschauer in den Tennisarenen und an den Millionen Bildschirmen rund um den Globus ist die Konzentrationsphase des akribischen Serben schlicht zu lang. Langatmige Pausen zwischen den Ballwechseln, zu wenig effektive Spielzeit, so lauten die Klagen. Definitiv ein Nörgeln auf höchstem Niveau! Man möchte sich die Reaktionen gar nicht vorstellen, würde Djokovic nach jedem Vorhandwinner darauf warten müssen, dass sein Gegenüber den Ball aus Reihe vier im Mittelrang fischte, bevor es weiterginge. 

Im Tischtennis ist das Realität. Ein Ball pro Spiel. Und ich frage mich: Warum eigentlich? Mehr netto vom brutto! Ein Wahlslogan mit politisch eher fadem Beigeschmack passt in unserer Sportart besser denn je. Denn: Von den 42 Minuten durchschnittlicher Spielzeit eines Matches fliegt das Spielgerät lediglich knapp sechs Minuten wirklich über das Netz. Die „wahre“ Spielzeit macht also nur einen Bruchteil aus. Damit rangiert der Rückschlagsport in der Tabelle der Netto-Spielzeit sogar hinter den Werbefestspielen im Baseball oder Football (zum passenden SRF-Artikel). Natürlich: die Ballwechsel an sich sind sehr kurz und hochintensiv. Genau genommen im Schnitt unter 3,4 Sekunden. Die Aktiven brauchen dazwischen Pausen, um die Konzentration aufrecht zu erhalten, um wieder Hochspannung aufzubauen. All diese Argumente verstehe ich, und dennoch frage ich mich: Verringert die Verzögerung nicht die Intensität in einem Wettkampf - insbesondere für den Laien beim Zuschauen? 

Tischtennis zu verfolgen ist anstrengend und das nicht nur, weil der Sport an sich ein technisch höchst anspruchsvoller ist. Der sportliche Stillstand zwischen einem Aufschlag und dem nächsten sorgt nicht selten dafür, dass kein wirklicher „Spielfluss“ entsteht. Kleine Verzögerung hier, kurzes Verschnaufen da, die gebremsten Vorbereitungen vieler Tischtennisspieler auf den nächsten Punkt sind sogar ohne taktische Hintergedanken extrem langwierig. Für das eigentliche sportliche Geschehen am Tisch muss man als Zuschauer und als Gegner oft gute Nerven mitbringen. Schnelle Ballwechsel, feinste Rotation, trickreiche Variationen oder pure Athletik: Die Markenzeichen unseres Sports gehen zwischen den endlos langen Pausen zu oft unter. 

An einigen Stellschrauben wird sich nicht drehen lassen. Unterbrechungen zwischen den Sätzen soll und wird es immer geben, auch die Handtuchpausen sind, schon allein aus schweißpraktischen Gründen, obligatorisch. Trotzdem begrüße ich die Überlegungen darüber, wie die eigentliche Spielzeit im Verhältnis zu den Pausen deutlich angehoben werden kann. Was spricht gegen die chinesische Variante, mit mehreren Bällen gleichzeitig zu spielen? Auch ohne Balljungen eigentlich nichts. Ein paar mehr Wettkampfbälle wären im Einsatz, die während eines gewöhnlichen Punktspiels sowieso in der Seitentasche des Kapitäns lagern. Zwischen zwei gewöhnlichen Bällen ginge es ‚ratzfatz‘ weiter – aus eigener Trainingserfahrung kann ich sagen, dass der Einsatz mehrerer Bälle in einem Match den Zeitfaktor tatsächlich positiv beeinflusst! Eine weitere Option wäre eine Regel zur Verkürzung der (Handtuch)-Pausen, oder aber der Versuch, die Satzpausen auf 30 Sekunden zu reduzieren. 

Ein Beleg dafür, dass die leider deutlich schwindenden Zuschauer unbedingt viel „Netto-Tischtennis“ präsentiert bekommen wollen, ist jedes große Turnier. Die beste Stimmung bei vollsten Rängen kommt immer dann auf, wenn die besten verbliebenen Athleten an vier Tischen gleichzeitig zelebrieren. Dann jagt ein Highlight das nächste und der Zuschauer kann in jedem Moment Tischtennis pur aufsaugen. Das genau ist übrigens auch der Grund, warum ich in der Diskussion über den Einsatz von einem oder doch zwei Courts in der Tischtennisbundesliga klar die Variante mit zwei Tischen bevorzuge: doppelte Chance für die Zuschauer auf Netto-Spielzeit. (Lennart Wehking)

 
 
 
 
 
CONTRA

Am Flughafen beschleunigen allerorts Fahrsteige das ohnehin schon hektische Treiben. Im Supermarkt gibt es nicht nur zügige Kassiererinnen, sondern auch Express-Kassen. Mit noch zügigeren Kassiererinnen. Oder gleich komplett ohne. Und wer sich bei Online-Medien über das Geschehen des Tages informieren möchte, bekommt die wichtigsten Fakten vorab in Stichpunkten zusammengefasst. Damit er den folgenden Artikel nicht mehr voll und ganz lesen muss. Das spart – natürlich: Zeit!

Alles wird schneller, alles soll schneller gehen. Schneller ist gut. Das gilt auch fürs Tischtennis. Viele Überlegungen und Experimente, das Spiel weiter zu verändern, zielen genau darauf ab: Die Abänderungen sollen das Spiel verkürzen, sie sollen dafür sorgen, dass es schneller zu entscheidenden Situationen in einem Spiel kommt, dass sich das erhöht, was sich in der Sportlersprache so positiv konnotiert ‚effektive Spielzeit‘ nennt. Oder Netto-Spielzeit, die im Tischtennis derzeit circa 30 Prozent beträgt. Für wen das effektiver sein soll? Angeblich für die Spieler, noch mehr für die Zuschauer. Die bekommen in noch kürzerer Taktung Ereignisse präsentiert. Und darum geht es ja: Viel erleben in kurzer Zeit. Damit bloß keine Langeweile aufkommt. Ich muss sagen: Der Trend zum immer kurzweiligeren und beschleunigten Geschehen am Tisch sagt mir überhaupt nicht zu. Ich halte den Mehrwert für sehr fragwürdig.

Gut zu beobachten sind viele der potenziellen Neuerungen etwa in der bestfunktionierenden Innovations-Werkstatt des Welttischtennis: dem chinesischen Verband und dessen Vorzeigeliga, der Super League. Dort wird mit mehreren Bällen gespielt, die Ballkinder den Athleten zuwerfen. Dort wird der Entscheidungssatz verkürzt, um seinem Namen noch besser gerecht zu werden: Die Entscheidung wird dann noch früher getroffen. Dort wird das Doppel auch um einen Gewinnsatz verkürzt. Statt drei Gewinnsätze hat es nur noch zwei und kann bei unausgeglichenem Spielverlauf auch schon mal nur einige wenige Minuten dauern. Eine andere mögliche Neuerung probte nicht der chinesische Verband, sondern gleich die ITTF beim U21-Wettbewerb der letztjährigen Belarus Open. Sie ließ den Nachwuchswettkampf ohne ‚Let‘ spielen. Nach Netzaufschlägen gab es keine Wiederholung. Es ging einfach weiter. Hier taugte der Volleyballsport als Beispiel, in dem schon seit Jahren ein Netzaufschlag ein Aufschlag wie jeder andere ist.

Nun, all das mag in gewisser Weise schlüssig sein. Überlegungen dieser Art würden fördern, dass Tischtennis mehr Netto-Spielzeit bekommt, dass am Tisch mehr passiert, dass das Verhältnis von der Dauer der Ballwechsel zur Dauer von allem, was diese umrahmt, mehr zugunsten des Ballwechsels verschoben wird. Aber wem würde das etwas bringen? Als Aktiver empfinde ich genau diese Phasen zwischen Ruhe, zwischen Pausen, zwischen Unterbrechungen und dem eigentlichen Geschehen, um das es natürlich auch mir geht, als eine der Besonderheiten des Tischtennis. Denn natürlich sind die Phasen eines Matches, in denen das Spiel vermeintlich ruht, keine sinn- und zwecklosen Phasen. Sie machen für mich die Charakteristik dieses Sports aus. Die Fähigkeit zwischen Entspannung und Anspannung. Die Ruhe nutzen, um auf den Punkt genau wieder die Konzentration hochzufahren. Ich möchte nicht schneller von Punkt zu Punkt hetzen. 

Das gilt im Übrigen auch für meine Rolle als Zuschauer. Auch da mag ich das Wechselspiel zwischen Pausen und dem Geschehen am Tisch, das auch für einen Außenstehenden beim Zuschauen durchaus hohe Aufmerksamkeit und Konzentration erfordert. Beim Tischtennis, das kann man ja nun mal nicht anders sagen, geht es um Kleinigkeiten. Um Millisekunden, um Millimeter. Das funktioniert nicht, ohne auch im Publikum in Aufmerksamkeit und Konzentration zu investieren. Und deshalb sprechen für Pausen ja obendrein auch ganz pragmatische Gründe: Wenn ich mir über längere Zeit einen Wettkampf vor Ort anschaue, dann bin ich über Unterbrechungen doch jederzeit froh, um mich auszutauschen – oder einfach mal über was komplett anderes zu sprechen, das mit dem Spiel am Tisch so gar nichts zu tun hat. Auch das soll es geben. Sei es nach einem Netzaufschlag oder beim Ballholen. Weniger ist nicht immer mehr. (Jan Lüke)

 


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